Grimme-Preis für „Songs of Gastarbeiter“ Diese Doku erzählt die Geschichte von Deutschlands größtem Musik-Untergrund
Seit jeher wurde die Migration nach Deutschland musikalisch begleitet. In der Doku „Songs of Gastarbeiter: Liebe, D-Mark und Tod“ erzählt Regisseur Cem Kaya die Geschichte der einzigartigen Musik türkischer Gastarbeiter:innen. Der Film wurde nun mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
Der Film “Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod” handelt von türkischen GastarbeiterInnen, die ihre Musik über die Jahre nach Deutschland gebracht haben und hier eine eigenständige Subkultur aufbauen konnten. Das sagt der aus Schweinfurt stammende Regisseur Cem Kaya über den Ursprung des Dokumentarfilms.
Die Idee stammt nicht von mir, sondern vom Münchner Künstler: Bülent Kullukcu. Er und Imran Ayata, früher bei (der AktivistInnengruppe) Kanak Attak, die beiden haben sich zusammengetan und haben 2013 bei Trikont, auch hier in München, eine Compilation herausgegeben, die hieß “Songs Of Gastarbeiter.” Damit haben uns die Beiden in echter Pionierarbeit diese Musik nochmal ins Gedächtnis gerufen. Dann war das Thema in den Feuilletons. Sebastian Reier von den Kammerspielen und Tuncay Acer vom Habibi Kiosk haben die Musik und das Thema populär gemacht. Ich habe es nur filmisch umgesetzt.
Cem Kaya über die Verwendung historischer Aufnahmen für seine Dokumentation, in der man zum Beispiel die Ankunft türkischer GastarbeiterInnen am Münchner Hauptbahnhof sieht:
Damals gab es das Gleis 11, das war das Gleis ganz am Rand. Da kamen sie an. Da gab es eine Treppe nach unten, da konnte man sie gleich verschwinden lassen. Wir haben den Film mit WDR, RBB und Arte gemacht und ich konnte in die öffentlich-rechtlichen Archive rein. Da haben wir unglaublich viel Material gefunden über das kulturelle Leben der GastarbeiterInnen. Es ist ein politischer Film, weil wir das Zeitgeschehen mit eingebaut haben. Es gibt aber auch da Zäsuren. 1973, der Anwerbestopp nach der Ölkrise und dem Ford-Streik. Und 1982 die Rückkehrprämie unter der Regierung Kohl.
Im Film sehen wir MusikerInnen wie Cem Karaca, Yüsksel Özkasap, Derdiyoklar, Muhabbet oder Ata Canani, der erst 2021 - mit über 40 Jahren Verspätung sein Debüt rausbrachte - inklusive seinem Hit „Deutsche Freunde“. Der Regisseur über die Bedeutung von Musik für die GastarbeiterInnen in Deutschland.
So ein Ata Canani, der mit 17, 18 Deutsch sang, das war ja ein Hilferuf. Auf der einen Seite gab es natürlich diese Protestlieder. Weil die Bedingungen halt nicht die Besten waren. Nach dem Anwerbestopp 1973 ist die Migration eigentlich gestiegen, weil die Arbeiter ihre Familien nachgeholt haben. Und man musste Feste feiern: Beschneidungen, Verlobungen und Hochzeiten. Und dafür hat man Musiker gebraucht. Aber man hatte keine Musiker geholt, sondern Arbeiter. Es gab nur Amateurmusiker und aus ihnen wurden zwangsläufig Profi-Musiker. Die Hochzeiten waren improvisiert, wurden in Mehrzweckhallen gemacht. Das hat sich bei uns ins Gedächtnis eingebrannt. Man ist zu Hochzeiten gegangen, egal ob man eingeladen war oder nicht. Es war ein soziales Event, es gab ja sonst keine Unterhaltung.
Auch für Cem Kaya war türkische Musik in seiner Jugend in Deutschland relevant:
Musik lief immer. Kassetten sind zu erwähnen. Wenn man emigriert, ist man mobil, fährt viel rum. Wir sind auch in die Türkei mit dem Auto gefahren, das dauert 2,5 Tage. Deswegen war die Kassette als Medium so wichtig. Sie war billig und man konnte sie kopieren. Das ist auch Teil meines Films: die türkische Kassetten-Industrie war noch vor deutschen unabhängigen Musikproduktionen die größte Indie-Industrie überhaupt. Und sie war nie in den Charts.
Der Film endet bei Hip-Hop, bei Haftbefehl und Ebow. Heute sind die türkische und kurdische Acts ab und zu in den Charts vertreten. Cem Kaya darüber, warum auch die alten Geschichten Relevanz haben:
Die Frage war ja immer: warum wird diese Musik nicht dargestellt in den deutschen Medien? Wir haben die Musik auch immer unseren deutschen Freunden vorgespielt. Da stießen wir aber auch auf Ignoranz: nach zwei bis drei Minuten war das immer genug für die. Die fehlende Akzeptanz, das fehlende Interesse an der Kultur des Gegenübers, das ist das, was sehr verletzend ist. Das ändert sich zwar gerade, auch durch Pop und Hip-Hop, aber es ist noch ein langer Weg dahin.
“Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod” ist in der ARD Mediathek zu sehen.