Deutschland im Taylor-Swift-Wahn Wie der "Taylor-Swift-Professor" den Hype erklärt
Ihr erstes Deutschland-Konzert der „Eras“-Tour spielt Taylor Swift in „Swiftkirchen“, wie sich Gelsenkirchen diese Tage nennt. Wie konnte um eine Pop-Sängerin so ein Hype entstehen? Ein Anruf beim "Taylor-Swift-Professor" in Franken.
Fans campen seit dem Morgengrauen vor der Veltins-Arena, im Stadtzentrum wurde dazu eigens die Fanlocation „Taylor Town“ errichtet – Gelsenkirchen ist bereit für den heutigen Deutschland-Tour-Auftakt von Taylor Swift. Oder sollte man besser sagen „Swiftkirchen“? Denn die Ruhrpottstadt hat sich für die Ankunft des US-Megastars umbenannt – und damit eingereiht in den Hype um die Pop-Sängerin Taylor Swift.
Eine Sängerin, deren Tourneen binnen Minuten ausverkauft sind. Eine Sängerin, für die Fans im Schnitt über 1.000 Euro pro Konzerttag ausgeben, deren Publikum Erdbeben auslöst. Zeitweise waren die ersten 14 Plätze der US-Single-Charts von Taylor Swift besetzt – das ist nur einer ihrer Rekorde. Wie das Manager-Magazin vorrechnet, dürfte Deutschlands Wirtschaft durch die sieben Swift-Konzerte mehr geboostet werden als durch die Fußball-Heim-EM.
Was hat Swift, was andere Popstars nicht haben?
Und ich frage mich: Was bitte hat denn diese Frau Besonderes an sich? Ich bin weder Fan noch großer Hater, ich denke bloß, dass es Pop-Sängerinnen doch schon seit Jahrzehnten gibt. Die wenigsten davon wurden wie Swift zur Milliardärin oder zur „Person of the Year“ des Time Magazins gekürt. Und niemand hatte so eine loyale Fanbase, die ihrem Idol in den Sozialen Netzwerken regelmäßig zur Hilfe kommt. Und zu keiner anderen Popsängerin gab es ganze Themenpartys in Uni-Städten wie Regensburg, in denen die Gäste den ganzen Abend lang VÖLLIG UNIRONISCH! jede Zeile jedes Songs inbrünstig mitsingen.
Weil ich das Phänomen einfach verstehen will, rufe ich jemanden an, der es wissen muss: Jörn Glasenapp, Bamberger Literatur-Professor, der sich in den vergangenen Wochen als „Taylor-Swift-Professor“ einen Namen gemacht hat. Der 54-Jährige thematisiert den US-Star in seinen Vorlesungen, hat ein Buch über Taylor Swift geschrieben – und ist selbst ein „Swiftie“, wie sich die Anhänger*innen des Popstars bezeichnen.
Ich frage ihn also, was der Hype soll – und werde erstmal für den Begriff gerügt. Denn Swift sei seit über einem Jahrzehnt schon Star, und spätestens mit der 2014-Hitsingle „Shake It Off“ ein „Mega-Weltstar“ geworden, da könne man längst nicht mehr von einem kurzfristigen Hype sprechen. Wie erklärt sich also Swifts Erfolg?
Jörn Glasenapp nennt fünf Gründe.
Erstens: Konstanz
Swift habe seit 2006 regelmäßig Alben herausgebracht, und die Qualität dabei kontinuierlich hochgehalten. „Das gelingt schon mal nur wenigen Popstars und Bands“, sagt Glasenapp.
Zweitens: Ihr nahbares Image
„Die Vorstellung als bodenständige, sympathische Frau, die auf dem Teppich geblieben ist, obwohl sie erfolgreich ist“, das sei für die Fans ausgesprochen interessant und ein wichtiger Faktor von Swifts Erfolg.
Drittens: Social Media
„Taylor Swift ist ohne Social Media überhaupt nicht zu denken“, sagt Glasenapp. Von Beginn ihrer Karriere an habe Swift Soziale Netzwerke verwendet, um den Kontakt zu ihren Fans zu suchen. Dies sei einerseits Grund für ihr nahbares Image bei den Fans und biete Swift außerdem die Möglichkeit, ihr Angebot an ihren Fans auszurichten. „Unternehmerisch gesagt kennt Swift ihre Kunden über Social Media sehr gut. Sie weiß, was die wollen und auch wie weit sie bei ihren Genrewechsels gehen kann“, sagt Glasenapp. Damit wären wir beim vierten Punkt.
Viertens: Der Musikstil.
„Taylor Swift macht Musik, die im allerbesten Sinne Mainstream ist“, sagt Glasenapp. Andere Megastars wie Beyoncé müssten sich in der Zielgruppe weitestgehend auf Menschen beschränken, die mit Hip-Hop und RnB auch etwas anfangen können. Swifts Musik sei „middle of the road“, und anschlussfähig für viele Menschen, egal ob beim Joggen, Bügeln oder Entspannen auf der Couch.
Und fünftens: Die Texte.
Auch über ihre Lyrics schaffe es Swift, sich extrem nahbar zu geben. Sie schaffe es, Themen wie Beziehungsstress und Herzschmerz so zu formulieren, „als würde man in gewisser Weise Trost von der großen Schwester Taylor Swift bekommen“.
"Fans sind keine gehirngewaschenen Idioten"
Ich werfe einen Einwand ein. Über Liebeskummer zu singen, das ist doch genauso wenig neu wie das Prinzip Popstar? Es antwortet diesmal der Fan Glasenapp: Die Qualität mache den Unterschied. „Über Liebe singen können viele, aber so wie es zum Beispiel Taylor Swift in der Ten-Minutes-Version von ‘All Too Well’ tut, das kann nur Taylor Swift.“ Er könne nur empfehlen, sich mal genauer mit den Lyrics zu befassen.
Und was, wenn Taylor Swifts Nahbarkeit nur eine geschickt gestrickte Marketing-Illusion ist? Glasenapp schüttelt den Kopf. Man solle Fans nie als „gehirngewaschene Idioten“ abtun, die sich eine Nähe einbilden, wo keine sei. „So dumm sind die Fans nicht, insbesondere sind die Fans nicht über einen so langen Zeitraum so dumm.“
Taylor Swift: Eine Profiteurin ihrer Zeit
Okay, okay. Aber warum geht Taylor Swift gerade heute nochmal so viel mehr durch die Decke? Könnte es nicht auch sein, dass zwischen all den Kriegen und Krisen und gesellschaftlicher Spaltung einfach auch die Sehnsucht groß ist, gemeinsam mit Gleichgesinnten so etwas Harmloses wie eine Pop-Sängerin abzufeiern? Mit anderen Swifties Freundschaftsbänder tauschen als Gegengeste zum allerorts übergreifenden Hass?
„Dem würde ich sofort zustimmen“, sagt Glasenapp. Taylor Swift stehe für Inklusion und Diversität, und damit für einen Safespace in der Wirklichkeit hypermaskuliner Männer wie Putin oder Trump. Swiftie zu sein habe da auch einen kompensatorischen Charakter. „So brutal es klingt: Taylor Swift ist sicherlich eine Profiteurin unserer Zeit.“