Zum Sonntag Kognitive Verzerrung
Zu rationalem Denken sind wir als Spezies nur so mittelgut in der Lage, und das lässt sich im Grundsatz auch nicht ändern. Aber wir können uns immer wieder daran erinnern, dass vieles von dem, was wir mit Sicherheit zu wissen glauben, höchstwahrscheinlich falsch ist, sagt Antje Schrupp.
Verzweifeln Sie auch manchmal an Ihren Mitmenschen?
Ich schon, und zwar nicht, weil sie oft andere Ansichten haben als ich, sondern weil sie so unlogisch sind. Da werden Zusammenhänge hergestellt, wo gar keine sind, Statistiken falsch interpretiert und Schlussfolgerungen gezogen, die keinerlei Grundlage haben. Seit ich kürzlich den Science-Fiction-Roman "Das Ministerium für die Zukunft" gelesen habe, bin ich etwas milder gestimmt. Darin beschreibt der US-Autor Kim Stanley Robinson eine Zukunft, in der die Menschheit es schafft, die Klimakatastrophe haarscharf noch abzuwenden. Allerdings erst nach vielen Katastrophen, Millionen von Toten und unvorstellbarem Leid.
Nur eher beiläufig erwähnt Robinson einen Aspekt, der dem allen womöglich zugrunde liegt, und zwar das Phänomen der kognitiven Verzerrungen. Das sind Wahrnehmungs-Irrtümer, so ähnlich wie optische Täuschungen, nur eben nicht in Bezug auf die Sehfähigkeit, sondern auf die Erkenntnisfähigkeit.
Ein Beispiel ist die so genannte Ankerheuristik: Wir neigen dazu, bei unserer ersten Einschätzung einer Sache zu bleiben, beziehungsweise die erste Information, die wir über etwas bekommen, für wahr zu halten - vollkommen egal, was wir später noch darüber hören. Das ist natürlich komplett irrational. Wir halten auch verständliche Erklärungen für wahrscheinlicher als komplexe, nach dem Motto: Wenn es für mich zu kompliziert wird, muss es falsch sein. Aus diesem Grund sind Populisten so erfolgreich: Sie behaupten simple Zusammenhänge, die viele Menschen allein schon deshalb für richtig halten, weil sie sie verstehen.
Ein weiteres Problem sind sehr große Zahlen. So tendieren wir dazu, Millionäre und Milliardäre für mehr oder weniger dasselbe zu halten. Dabei sind Millionäre uns Normalsterblichen ziemlich ähnlich, nur eben sehr reich, während Milliardäre praktisch in einer anderen Galaxie leben. Für sie ist Geld überhaupt keine Kategorie mehr.
Ganz besonders schlecht sind wir Menschen bei der Abschätzung von Risiken. Wir haben eine irrationale Angst vor Gefahren, deren Eintreten ganz unwahrscheinlich ist, während wir umgekehrt vollkommen ungerührt bleiben bei Dingen, die wirklich gefährlich sind.
Leider hilft das Wissen um solche kognitiven Verzerrungen kaum dabei, sie zu vermeiden. Dieselben Fehler werden, jedenfalls statistisch gesehen, von allen Testpersonen gemacht, unabhängig von persönlichen Voraussetzungen. Es ist leider eine Tatsache: Wir Menschen machen konstant viele Fehler bei der Beurteilung von Situationen, und wir vertrauen unserem Urteilsvermögen mehr, als es der Situation angemessen ist.
Zu rationalem Denken sind wir als Spezies nur so mittelgut in der Lage, und das lässt sich im Grundsatz auch nicht ändern. Was wir tun können ist, uns immer wieder auf diese Schwäche aufmerksam machen. Uns daran erinnern, dass vieles von dem, was wir mit Sicherheit zu wissen glauben, höchstwahrscheinlich falsch ist. Oder, wie es im Philipperbrief heißt: Der Friede Gottes ist höher als alle Vernunft.