Zum Sonntag Demokratie und Religion
Glaube und Politik können sich gegenseitig befruchten, wenn sie sich in ihrer jeweiligen Sphäre akzeptieren. Dort wo Politik oder auch Religionen dies nicht tun, gerät die Freiheit in Gefahr, meint Hans-Joachim Vieweger.
Wie viel Religion braucht Demokratie? Mit dieser Frage hat sich in der vergangenen Woche die Hanns-Seidel-Stiftung beschäftigt und dazu Politiker und Vertreter von Religionsgemeinschaften eingeladen. In einer Zeit, in der sich viele Sorgen um die Demokratie machen. Viele Menschen, das zeigen Umfragen, das zeigen Wahlergebnisse, sind unzufrieden mit Entwicklungen in unserem Land - die Krisen der vergangenen Jahre, von der Euro-Krise über die Flüchtlings- und die Corona-Krise bis hin zur Ukraine-Krise haben tiefe Spuren hinterlassen. Können da Kirchen und andere Religionsgemeinschaften womöglich einen Beitrag zu mehr Zuversicht leisten?
Zunächst eine Warnung: Religionen, die in den Dienst der Politik gestellt werden sollen, stehen in der Gefahr, ihren Kern aufzugeben. Selbst, wenn es um so ehrenwerte Ziele wie den Einsatz für Werte oder ein gutes Miteinander geht. Glaube, der zu einem Zweck gemacht wird, ist kein Glaube mehr. Der Glaube an Jesus Christus bedeutet, um es persönlich zu sagen, Frieden mit Gott durch die Zusage, dass mir durch Jesus alle Schuld vergeben ist und mir dadurch der Himmel offensteht.
Doch es gilt eben auch: Glaube kann positive Auswirkungen auf das Umfeld und damit auch auf die Gesellschaft haben, eben weil er ein Wertegerüst begründet, das nicht ständig hinterfragt wird. Darauf hat schon in den 1960er Jahren der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang von Böckenförde mit seinem berühmt gewordenen Satz hingewiesen: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Soll heißen: Eine Gesellschaft braucht mehr als formale Regeln für ein gedeihliches Miteinander, sondern eine Art moralische Substanz. Hier können Menschen, die sich als Gläubige ihrer Verantwortung vor Gott bewusst sind, einen wichtigen Beitrag leisten. Manche ungeschriebenen Regeln - das tut man nicht, oder: man hält sein Wort und bricht es nicht - manche dieser Regeln haben durchaus einen religiösen Hintergrund. Vielleicht haben so manche Veränderungen im gesellschaftlichen Klima mit dem Absinken des christlichen Grundwasserspiegels zu tun.
Zugleich können sowohl der Staat als auch die Religion übergriffig werden. Ein Staat, der in die Gewissensfreiheit der Menschen eingreift, genauso wie ein Glaube, der abweichenden Glauben oder Unglauben anderer nicht dulden will. Hilfreich finde ich hier die Botschaft des Neuen Testaments, die zwischen den letzten und den vorletzten Dingen unterscheidet, zwischen Zeit und Ewigkeit: Jesus sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt, er fordert explizit zum Gehorsam gegenüber dem Staat auf: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Zugleich ergänzt er diese Botschaft mit dem Satz: Gebt Gott, was Gottes ist. Also Steuern zahlen ist okay, da kann sich ein Christ nicht einfach auf eine scheinbar höhere Erkenntnis berufen. Aber wenn es um die Frage der Glaubensfreiheit geht, da hat der Christ, um mit einem anderen biblischen Wort zu sprechen, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.
Wenn man diese doppelte Botschaft ernst nimmt, können sich Glaube und Politik gegenseitig befruchten, wenn sie sich in ihrer jeweiligen Sphäre akzeptieren. Dort wo Politik oder auch Religionen dies nicht tun, gerät die Freiheit in Gefahr.