Zum Sonntag Jugendsünden: Auf die Haltung kommt es an!
So mancher dürfte sich gerade hier in Bayern in den vergangenen Tagen gefragt haben: Was ist eigentlich eine "Jugendsünde". Was bedeutet der Seufzer: Ach ja, das war eine Jugendsünde, lange her.
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Man kommt schon ins Schwitzen, wenn man darüber nachdenkt. Wenn ich selber meine alten Fotos ansehe – aus den letzten Jahren der Schulzeit. Diese grauenhafte Frisur, der ewige Parka und die hautengen Hosen, unten weit ausgestellt. Furchtbar! Wie konnte ich bloß so rumlaufen?
Man findet sich halt im Nachhinein sehr peinlich
Oder der erste Alkoholrausch dank billigem Spumante oder Apfelkorn. So heftig, dass manch einer sich mit Filmriss morgens vor dem Partyraum wiederfand. Oder peinliche Liebesbriefe – völlig daneben und an (im Rückblick) schauerliche Adressaten gerichtet. Schön war das alles nicht, aber kein Mensch kam ernsthaft zu Schaden. Man findet sich halt im Nachhinein sehr peinlich.
Andere Erfahrungen erschüttern jemanden unvergesslich. Der Ehemann und Vater, der sich nur sehr zögerlich erinnern will, dass er seinen ersten Sex mit einem Jungen hatte. Sowas erzählt man nur den vertrautesten Menschen! Uneheliche Kinder, die auf Schützenfesten gezeugt werden, von zwei Menschen, die sich kaum kennen. Oder der Schüler, dem der Rauswurf droht, weil er einen Kothaufen vor dem Direktorat platziert hat. Das Mädchen, das versucht, den Kunstlehrer zu küssen, weil unsterblich verliebt - und sich dabei eine sanfte aber deutliche Abfuhr holt.
Junge Leute, die gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf protestierten
Vielleicht kann man solche Verirrungen unter "Beschämung" abheften. Ich schäme mich für Situationen, in die ich einst geraten bin oder geraten wollte und werfe das meinem früheren Ich vor. Und dann gibt es die Jugendsünden, die böse Konsequenzen hatten: Junge Leute, die in den Achtzigern gegen die Wiederaufbereitungsanlage für Atom-Brennstäbe in Wackersdorf protestierten, Strafanzeigen kassierten oder festgenommen wurden. Wenn sie ehrlich sind, würden die heute Regierenden denen am liebsten Orden verleihen.
Wie wird das dereinst bei den Klimakleberinnen sein, die sich ohrfeigen und anpöbeln und jetzt bis zu einem Monat ins Gefängnis sperren lassen, weil sie den Autoverkehr störten. Werden sie eines Tages unsere Vorbilder sein – oder unsere Ministerinnen?
Jugendsünde: In der Rückschau schätzt man manches anders ein
Ich denke an die jungen Leute, die in den Siebziger Jahren bei der Kommunistischen Partei Deutschlands waren, die ihren Marx lasen, wie fromme Christen die Bibel. Die Flugblätter verfassten gegen das Großkapital, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Machtfülle der USA. Sie fielen unter den sogenannten Radikalenerlass, wurden also von Berufen im öffentlichen Dienst ausgeschlossen, weil sie während ihrer Ausbildung oder ihres Studiums staatskritische und demokratiefeindliche Töne angeschlagen hatten. Der bayerische Staat hatte bis Anfang der Neunziger eine Art "lebenslänglich" für sogenannte "systemfeindliche" junge Menschen. Lebenslang durften sie weder Richter noch Staatsanwälte werden, keine Lehrerinnen und auch kein politisches Amt anstreben.
Es kommt also immer darauf an, was bekämpft und was akzeptiert wird. Und manches sieht im Rückspiegel ganz anders aus. Im Wort "Jugendsünde" oder "Jugendtorheit" steckt die Erfahrung beim Älterwerden, dass man in der Rückschau einiges anders einschätzt. Dass man sich der Überzeugungen oder Äußerungen früherer Jahre bisweilen richtig schämt, wenn man anderen geschadet hat, dumpf-dumme Überzeugungen hatte oder tödlichen Unsinn verbreitet hat.
In solchen Momenten müssen wir lernen uns selbst zu verzeihen
In solchen Momenten müssen wir lernen uns selbst zu verzeihen. Und uns vergeben lassen von anderen. Offen darüber sprechen: Was hab ich falsch gemacht? Meinen Kindern erzählen, wie dumm ich einmal war. Wir müssen laut über unsere Verirrungen sprechen, damit die Menschen, die sich an uns orientieren, nicht verwirrt werden und auf krumme Wege geraten.
Wir Christen, liebe Hörerinnen und Hörer, gehen davon aus, dass wir im Leben eine Menge falsch machen, dass wir aber immer wieder neu anfangen können. Dass wir nicht auf unsere Fehler und Untaten festgenagelt werden. Vorausgesetzt: Ich mache mich ehrlich, falls ich anderen geschadet habe oder sie in die Irre geführt habe, sehe mein Fehlverhalten ein und sorge dafür, dass die Generation, die mir folgt diese Fehler nicht wiederholt.