Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Blaise Pascals Wette: wer glaubt, gewinnt

Alle Beweise für oder gegen die Existenz Gottes sind gescheitert. Rational muss man die Frage, ob es Gott gibt, offenhalten.

Von: Olivia Mitscherlich-Schönherr

Stand: 22.07.2023

Olivia Mitscherlich-Schönherr | Bild: O. Mitscherlich-Schönherr

„Gott ist, oder er ist nicht. […] Man spielt ein Spiel. […] Was werdet Ihr wetten?“

Das berühmteste Gedankenexperiment von Blaise Pascal: seine Wette. Vor 400 Jahren wurde der Physiker, Mathematiker und Philosoph im französischen Clermont-Ferrand geboren. Das Problem, mit dem er sich in seiner Wette auseinandersetzt, ist bis heute relevant. Alle Beweise für oder gegen die Existenz Gottes sind gescheitert. Rational muss man die Frage, ob es Gott gibt, offenhalten. Existenziell ist das aber gerade nicht möglich. In Grenzsituationen, in Not, Bedrängnis, aber auch in Glücksmomenten hadern wir mit Gott, bitten, danken wir Ihm – oder eben nicht. Im Leben können wir nicht neutral bleiben, haben aber auch keine rationale Gewissheit zu erwarten.

Mathematiker Pascal rechnet aus, ob sich Glaube lohnt

In dieser Situation existenziellen Nicht-Wissens wäre ein Sich-Durchmogeln für Pascal nicht redlich, unwürdig. Weder die eigene Willkür noch der Zeitgeist haben darüber zu entscheiden, ob man in letzter Instanz sich selbst oder Gott vertraut. Pascal geht es demgegenüber um kritische Selbstprüfung. Dafür greift er auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung zurück – die selbst mit entwickelt hat. Wie im Glückspiel berechnet er, was sich eher lohnt: auf die Existenz Gottes zu wetten oder nicht. Sein Ergebnis ist eindeutig: christlicher Glauben rechnet sich aus. Zu gewinnen sei unendliches Glück, das die „vergifteten Freuden“ aus „Ruhm und Vergnügen“ bei Weitem übersteige – so Pascal.

In den vergangenen Jahrhunderten wurde Pascals Kalkül immer wieder nachgerechnet. Kritik wurde an der instrumentellen Anlage der Wette geübt. Sie müsse ihr Ziel notwendiger Weis verfehlen, eine Haltung des Glaubens, der Achtsamkeit und des Vertrauens zu verteidigen. Weder lässt sich nämlich das Glück des Glaubens quantitativ bemessen, noch kann man vertrauen, weil es sich auszahlt.

Nun wusste Pascal dies allerdings selbst. Man merkt es am spielerisch-ironischen Ton, in dem er sein Gedankenexperiment vorträgt und dabei Distanz wahrt. Vor allem bildet die Wette aber nicht das Ende, sondern den Anfang seiner tastenden Suche nach Orientierung in Fragen des Glaubens und des Glücks. In seiner Mathematik-begeisterten Zeit findet er im Wahrscheinlichkeitskalkül eine Sprache, um das Begehren nach dem Glück eines gläubig-vertrauenden Lebens zu kultivieren. Um das begehrte Glück dann tatsächlich zu erfahren, wendet sich Pascal anderen Praktiken und Ausdrucksformen zu.

Erst in der spirtituellen Begegnung zeigt sich das Vertrauen in Gott

Glauben kann man nicht einfach so. Glauben muss man praktisch einüben. Das ist nach Pascal zunächst eine ganz äußerliche Angelegenheit: es geht um Nachahmung. In Anschluss an seine Wette verweist er Leserinnen und Leser, die wie er selbst von einem gläubig-vertrauenden Leben angezogen sind, deshalb an Vorbilder. Indem man mitbetet, mitfeiert, lerne man eine Haltung der Achtsamkeit, in der Gott erlebbar wird. Und erst in der spirituellen Begegnung verstehen Gläubige nach Pascal die Berechtigung ihres Vertrauens in Gott – dessen Existenz rational nicht zu beweisen ist. Der Philosoph selbst trug stets ein Papier zur Erinnerung an eine persönliche Offenbarungserfahrung bei sich – eingenäht in seinen Rock.

Blickt man von Pascal her auf die Gegenwart zeigen sich Parallelen und Unterschiede. Rational konnte die Existenz Gotte auch in den letzten 400 Jahren weder stichhaltig begründet noch widerlegt werden. Existenziell unterscheidet sich unsere Situation allerdings grundlegend von derjenigen Pascals. Es fehlt uns nicht nur eine zeitgenössische Sprache für das Begehren nach dem Glück eines gläubig-hingebenden Lebens. Vor allem werden im Vergleich die spirituellen Leerstellen der christlichen Kirchen spürbar: sie sind nur noch selten Orte, an denen sich Glaubensvorbilder finden lassen. Wer heute von einem Leben in Achtsamkeit und Hingabe angezogen ist, bleibt leicht allein und ungeübt – oder wendet sich anderen Glaubenswegen zu.


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