Zum Sonntag Haltung!
Kann man Haltung und Politik trennen? Viele Trump-Wähler in den USA meinen anscheinend, ja. Schwester Nicole Grochowina sagt: Nein, es ist gerade die Haltung zur Welt, die politische Entscheidungen beeinflusst.
Auch Tage nach der Wahl in den USA bin ich immer noch sprachlos. Es will mir einfach nicht den Kopf, dass wir erneut vier Jahre Präsidentschaft von Donald Trump erleben werden. Und: Es will mir auch nicht in den Kopf, dass Menschen nach der Wahl erklären, sie würden die Haltung von Trump zwar ablehnen, aber sie hätten ihn dennoch gewählt, weil man zwischen den Haltungen von Menschen und ihrer Politik unterscheiden müsse. Will heißen: Natürlich sei es kein guter Zug, ganze Länder wie Puerto Rico als Müll zu bezeichnen oder Menschen Gewalt anzudrohen. Und natürlich sei es auch nicht gut, dass mit Trump ein verurteilter Straftäter Präsident würde, aber: Zwischen Haltung und Politik sei zu differenzieren.
In aller Sprachlosigkeit frage ich mich also: Geht das eigentlich? Geht es, dass Haltungen nicht die Politik prägen? Ich gehe davon aus, dass das nicht geht. Vielmehr ist es doch gerade unsere Weltsicht, die uns dazu bringt, zu Entscheidungen zu kommen. Klar, all dies kann reflektiert und abgewogen werden. Aber das ändert doch nichts daran, dass Haltung Politik prägt.
Haltung also. Unabhängig von Trump ist dies auch in Deutschland in diesen Tagen ein wichtiges Thema. Damit meine ich nicht allein den Koalitionsbruch, ausgerechnet am Tag der US-Wahl. Nein: Auch mit Blick auf den 9. November sehen wir, wie sehr Haltung Politik gestaltet. Der 9. November stellt uns hier eine große Ambivalenz vor Augen, denn: Am 9. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen und Tausende Jüdinnen und Juden wurden misshandelt, verhaftet oder getötet. Und mehr noch: Diese Nacht war der seit Jahren angebahnte und nun sichtbare Auftakt zu einem Vernichtungsfeldzug sondergleichen, der von Deutschland ausgegangen ist. Mehr als deutlich zeigt der Blick auf diesen 9. November: Haltung führt zu konkreter Politik.
Wir erinnern uns aber auch an den 9. November vor 35 Jahren, als die Berliner Mauer gefallen und der Eiserne Vorhang vollends zerrissen worden ist. Auch für diese Zeit ist festzuhalten, dass Haltung zu einer konkreten Politik geführt hat. Dies aber war eine Politik, die auf der Straße stattgefunden und viele mutige Menschen in Leipzig, Berlin und in vielen anderen ostdeutschen Städten und Regionen zum friedlichen Protest, zu Friedensgebeten in die Kirchen und dann letztlich zu einem neuen Kapitel in der Geschichte geführt hat. Kein Zweifel also: Haltung führt zu konkreter Politik.
Und so hoffe ich am Ende dieser Woche auf eine Haltung, die sich weder in den USA noch in unserem Land lebensfeindlichen Kräften anbiedert, sondern stattdessen mit demokratischen Mitteln das Wissen um die Würde aller Menschen hochhält und dies im Alltag und im politischen Diskurs klar vertritt. Dazu gehört für mich unbedingt, die Hoffnung nicht herzuschenken - und das meint die Hoffnung darauf, dass Haltungen sich ändern können, wenn sie entsprechende Vorbilder finden und auf Realitäten stoßen. Sicher, das ist kein einfacher Weg. Aber: Das Besetzen von Kapitol oder Reichstag ist gerade kein Ausdruck einer solchen lebensdienlichen Haltung. Wohl jedoch das scharfe, klare und mutige Gespräch und das ebenso klare wie scharfe Votum in Parlamenten und auf der Straße. Darauf wird es in den kommenden Wochen ankommen.