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Gelenkersatz Wann brauche ich eine Gelenkprothese?

Eine Endoprothese, die heute implantiert wird, wird eine deutlich längere Haltbarkeit haben als ein solcher Gelenksersatz, der vor 20 Jahren implantiert wurde.

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 02.05.2023

Künstiches Hüftgelenk demonstriert am menschlichen Skelett | Bild: picture-alliance/dpa

Verbesserungen in Technik, Material und Operationsmethoden ermöglichen diese längere "Standzeit", wie es die Medizin nennt. Und das gilt, so der Experte Prof. Boris Holzapfel, für nahezu alle Gelenke wie Hüfte, Knie und Schulter.

Experte:

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel, Ludwig-Maximilians-Universität, Direktor Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Muskuloskelettales Universitätszentrum München, LMU Klinikum

Ein gesundes Gelenk erlaubt Beweglichkeit, Stabilität und Schmerzfreiheit in Ruhe und Bewegung. Bänder, Sehnen, Muskeln unterstützen dabei; Gelenkknorpel und Gelenkschmiere sorgen für Geschmeidigkeit. Zwei knöcherne Gelenkkörper treffen in der Gelenkskapsel zusammen.

"Diese knöchernen Anteile, die Gelenkabschnitte, sind mit einem Knorpel überzogen. Am Beispiel Hüftgelenk: Das ist ein Kugelgelenk, das aus Hüft-Kopf und Hüft-Pfanne besteht, der Hüft-Kopf ist in die Hüft-Pfanne gebettet. Pfanne und Kopf sind jeweils mit einem Knorpel besetzt. Dieser Knorpel-Überzug dient der Druckverteilung und letztendlich zusammen mit dem Gelenkswasser der Schmierung des Gelenkes."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

In einem kranken Gelenk lassen Abnutzung und Degeneration den Knorpel-Überzug schwinden. Der Hintergrund in den meisten Fällen: eine Arthrose. Ohne Schutz durch den Knorpel wird Druck direkt auf die Knochenenden gebracht. Der Körper versucht, diesen Druck abzufangen, indem er mehr Knochen anbaut, um so die wachsende Druckbelastung auf eine größere Fläche zu verteilen. Solche Knochenanbauten heißen Osteophyten. Schreitet die Degeneration eines Gelenks bis zur kompletten Zerstörung voran, versteift das Gelenk.

"Der Körper versucht selbst, durch die Knochenanbauten das Gelenk zu versteifen. Man spricht dann von einer Ankylose. Früher, das heißt vor Jahrzehnten, sind Patienten mit diesen versteiften Hüftgelenken alt geworden. Wir haben heute einen anderen Anspruch an Bewegung und wollen auch mit 80 Jahren oder mit 70 Jahren noch Sport machen können und mobil sein. Und haben zum Glück einfach auch die Möglichkeit, Gelenke auszutauschen."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

"Als 'primäre Arthrose' bezeichnen wir Arthrose-Formen, bei denen wir den Grund nicht kennen. Sekundäre Arthrose entstehen in Folge einer angeborenen Deformität, eines Traumas, also eines Unfalls, oder z.B. einer Infektion infolge eines Tumorleidens oder sonstiges."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Im einen Fall führt eine genetische Prädisposition zum Verschleiß des Knorpels, eine Veranlagung also, nämlich zum schnelleren Absterben von Knorpelzellen. Im anderen Fall beruht der Verschleiß z.B. auf Sportverletzungen, auf Fehlstellungen, auf Abweichungen in der Achse des Gelenkes.

"Ein häufiges Beispiel für eine sekundäre Arthrose ist zum Beispiel die sogenannte Hüftgelenksdysplasie, bei der der Hüftkopf nur unzureichend von der Hüftpfanne überdeckt ist. Dadurch kommt es zu schweren Belastungen am Knorpel und an der Gelenklippe und aufgrund dessen zur schnelleren Degeneration im Gelenk."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Am häufigsten wird der künstliche Gelenkersatz in Mitteleuropa aufgrund einer Hüftarthrose durchgeführt. Der zweithäufigste Grund: der Schenkelhalsbruch.

Bezieht man das hohe Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland mit ein, liegt die Bundesrepublik mit 230.000 jährlich durchgeführten Hüft-Endoprothesen auf einem mittleren Platz in Europa. Etwas weniger als zwei Drittel davon: Frauen.

Seit 2021 gibt es zur Orientierung, ob ein Hüft-Gelenk ausgetauscht werden muss und sollte, eine Leitlinie, nach der sich die Indikation zu einer Operation richten sollte. Eine Checkliste ist abzuarbeiten.

"Und daran sollte sich eigentlich jede Klinik halten. Das heißt, wenn der Patient kommt und Schmerzen im Hüftgelenk angibt, das Röntgenbild aber noch nicht viel Arthrose zeigt, dann sollte der Arzt sich an diese Leitlinie halten und nicht sofort zum Messer greifen."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Im Röntgenbild kann der Schweregrad der Arthrose abgeschätzt werden. So kann der Schaden an den Gelenkstrukturen in Stadien von eins bis vier eingeteilt werden. Damit die Indikation zur Endoprothese gestellt werden darf, muss mindestens Stadium drei der Arthrose vorliegen.

"Eine weitere wichtige Voraussetzung zur Indikation ist die Frage, ob konservative Therapiemaßnahmen vorausgegangen sind. Sie sollten als Arzt keine Indikation zur Hüft-Endoprothese oder zur Knie-Endoprothese stellen, ohne dass eine mindestens dreimonatige konservative Therapie stattgefunden hat. Und dazu gehören nicht nur Medikamente, sondern auch die nicht-medikamentöse konservative Therapie, die Bewegungstherapie."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Ebenfalls Voraussetzung zur Indikation: Patientinnen und Patienten sollten bereits an den Risiken für eine Arthrose oder deren Fortschreiten gearbeitet haben … Dazu gehören Übergewicht, Nikotin- oder Alkoholabusus oder ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit).

"Was als Risikofaktor fürs Gelenk gilt, gilt ebenfalls als Risiko für den Verlauf einer Operation und für die anschließende Genesung. Übergewicht z.B., also ein hoher Body-Mass-Index (BMI), ist mit schlechteren Ergebnissen nach einer Endoprothesen Versorgung für den Patienten vergesellschaftet. Patienten sollten wissen, dass Nikotinabusus oder Alkoholabusus mit einem höheren Risiko für Wundheilungsstörungen verbunden sind."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Die Medizin spricht von "modifizierbaren Risikofaktoren": Bei einem Body-Mass-Index über 30 müssen Ärztinnen und Ärzte vor einer Prothesen-Implantation dem Patienten eine Gewichtsabnahme empfehlen. Ebenso eine Nikotin-Karenz mindestens vier Wochen vor der Operation und mindestens bis zur abgeschlossenen Wundheilung.

Auch dieses orthopädisches Fachgebiet setzt auf Zusammenarbeit mit Patienten und Patientinnen:

"Wir streben heutzutage einen ganzheitlichen Blick auf Patientinnen und Patienten und eine sogenannte partizipative Entscheidungsfindung an. Da ist es nicht mehr wie früher, dass der Patient vor dem Arzt mit dem weißen Kittel sitzt und nichts zu sagen hat, sondern der Patient sollte aktiv in den Prozess der Indikationsstellung zur Endoprothesen-Versorgung mit eingebunden und dementsprechend auch informiert werden."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

"Nehmen wir als Beispiel das Kniegelenk: Hier erfolgt der Ersatz eines von Arthrose betroffenen Gelenkes in einem sehr hohen Prozentsatz letztendlich als sogenannter Oberflächenersatz. Wir entfernen nicht das gesamte Gelenk, wie man sich das manchmal vorstellt, sondern wir entfernen nur die Oberfläche."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Die Prothese des Kniegelenks wird Schlitten-Prothese genannt. Der betroffene Knochen und der nicht mehr oder nur geringfügig vorhandene Knorpel werden entfernt und der Knochen, der übrigbleibt, überkront.

"Man kann sich das vorstellen etwa ähnlich wie die Überkronung am Zahn. Auch für die Endoprothese am Knie ist eine Aktualisierung der bestehenden Leitlinien in Arbeit."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Auch beim Hüftgelenk wird im Rahmen der Hüft-Endoprothetik ein Teil des Gelenks auf diese Weise überkront, nämlich die Pfanne. Der andere Teil, der Hüftkopf, wird in den meisten Fällen entfernt. Als Ersatz für diesen Kopf wird ein Hüftschaft, der vorrangig aus Titan besteht, in den Oberschenkelknochen implantiert.

"Auf diesen Hüftschaft kommt eine Kugel, der sogenannte Hüftkopf, der zumeist aus Keramik besteht. In der metallischen Hüftpfanne liegt dann noch ein Inlay, zumeist eine Kunststoff-Einlage, auf der sich der Keramikkopf bewegt."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Früher wurden auch an der Hüfte nicht nur die Hüft-Pfanne, sondern auch der Hüft-Kopf überkront - also beide Gelenkteile, wie im Knie-Gelenk. Mit dem Effekt, dass es durch das Reiben von Metall auf Metall mit entsprechendem Abrieb zu Entzündungsreaktionen im Gelenk kam. Während ein Hüftgelenk meist komplett ausgewechselt wird, ersetzt man beim Knie-Gelenk in einem nicht unerheblichen Anteil der Fälle nur einen Teil des Gelenks, nämlich einen mittigen oder seitlichen Anteil.

Der Schaft des künstlichen Gelenks wird in den ausgehöhlten Markraum des Knochens (z.B. des Oberschenkelknochens) eingesetzt. Es gibt zwei Varianten der Befestigung:

  • die zementierte Hüftprothese. Das bedeutet, dass eine dünne Acrylschicht zwischen Knochen und Prothesen-Schaft eingebracht wird, die die Prothese fixiert.
  • die zementfrei befestigte Hüftprothese. Das bedeutet, dass das raue Implantat in den Knochen eingepasst wird (sog. Press-fit) und dann sekundär einwächst.

Die Entscheidung zwischen den beiden Varianten fällt situationsabhängig. Am Hüftgelenk werden Prothesen in einem Großteil der Fälle zementfrei eingesetzt, zumindest bis zum Alter von 75 Jahren.

Am Kniegelenk wird der Gelenkersatz meistens mit Zement eingebracht.

"Wir machen das durchaus vom intraoperativen Befund abhängig, wir machen es abhängig von der Knochendichte, vom Alter des Patienten, eventuell von bestehenden Nebenerkrankungen wie einer fortgeschrittenen Osteoporose, davon, ob der Patient unter Umständen bestrahlt worden ist aufgrund eines Tumorleidens."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Die minimalinvasive Operation sollte heute Standard sein. Sowohl am Kniegelenk als auch am Hüftgelenk.

"Als ich angefangen habe, hat man das Hüftgelenk noch weit aufgemacht, mit 20 Zentimeter langen Zugängen. Heutzutage ist das nicht mehr notwendig, weil uns Instrumente zur Verfügung stehen, die es möglich machen, dass man den Hautschnitt auf etwa acht Zentimeter und noch geringer reduziert. Damit minimiert man aber auch nicht nur den Hautschnitt, sondern - was sehr wichtig ist - auch den Gewebeschaden in der Tiefe."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Indem der Gewebeschaden in der Tiefe minimiert wird, müssen Patientinnen und Patienten direkt nach der Operation das Hüftgelenk nicht mehr entlasten. Sie können sofort mobilisiert werden, was wiederum Komplikationen wie Thrombosegefahr, Lungenentzündung oder einer Bronchitis durch längere Liegezeiten reduziert.

Dadurch, dass heute zusätzlich zur minimalinvasiven Methode ein sogenannter vorderer Zugang bei der Operation genutzt werden kann, ist auch die Gefahr einer früher gängigen Komplikation herabgesetzt: Nämlich die sogenannte Luxation. Bei einer Luxation springt der Hüft-Kopf aus der Hüft-Pfanne.

Das Hüftgelenk ist ein sogenanntes Form-geführtes Gelenk, ein Kugelgelenk, das den Bewegungsumfang limitiert. Das Kniegelenk dagegen ist ein Gelenk, das vorwiegend von Muskeln und Sehnen gehalten wird, ein sog. Kraft-geführtes Gelenk. Beides Vorbedingungen, die sich stark auf die Zeit nach der Operation auswirken.

"Die knöchernen Gelenk-Partner am Hüftgelenk passen sehr gut zusammen. Und das ist auch der Grund, weshalb ein Hüftgelenk fast immer funktioniert. Beim Kniegelenk ist es anders, da passen die gelenknahen Anteile von Ober-und Unterschenkel nicht so recht zueinander. Die muskuläre Führung ist hier wichtiger als beim Hüftgelenk. Und das ist auch der Grund, warum nach endoprothetischem Ersatz des Kniegelenkes im Gegensatz zum Hüftgelenk nicht alle Patienten - und es sind in etwa zehn bis 15 Prozent nach neuester Datenlage - vollständig beschwerdefrei sind. Ja, auch das muss der Patient wissen. Nicht vollständig beschwerdefrei ist jedoch natürlich nicht gleichzusetzen mit 'schlechter als vorher' oder 'genauso schlecht wie vorher'. Eine Besserung der Beschwerden nehmen die meisten Patienten wahr."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Auch wenn die Knie-Prothese perfekt implantiert wurde und die knöcherne Formgebung komplett wiederhergestellt ist, bleiben bei der Knieprothese des Öfteren Restbeschwerden. Denn: Am Knie ist die Muskulatur oft selbst nicht in der Lage, das Kniegelenk zu stabilisieren. Das macht im Vergleich die Ergebnisse am Hüftgelenk besser vorhersehbar.

So oder so wird nach dem Implantat einer Endoprothese der Rehabilitation eine wichtige Rolle zugeschrieben, egal in welchem Gelenk.

"Ich sage immer zu den Patienten: 50 Prozent leisten wir und 50 Prozent leisten sie in der Prä- und in der Post-Rehabilitationsphase. Das heißt, wir beraten die Patienten eigentlich auch schon präoperativ und halten sie an, mehrere Wochen vor der Operation nicht nur Risiken zu minimieren, sondern auch gezielt Muskelaufbau zu betreiben. Also Spazieren gehen, Radfahren, unter Umständen auch schon mal zum Krankengymnasten, sich Übungen zeigen lassen. Man kann durchaus präoperativ schon starten, sofern es denn die Schmerzen zulassen."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Schonendere Operationsmethoden als früher erlauben den Betroffenen, entsprechende Reha-Maßnahmen nicht mehr stationär, sondern ambulant zuhause durchzuführen (bei entsprechender sozialer Unterstützung). Im Vergleich allerdings dauert die Rehabilitation des Kniegelenks länger als die des Hüftgelenks. Für den Aufbau der Muskulatur des Kniegelenks nach endoprothetischer Versorgung muss man mindestens drei Monate rechnen.

Ein Sonderfall der Reha sozusagen: Die Schulter-Endoprothese. Implantate im Schultergelenk werden nicht so häufig wie an Hüftgelenken und Kniegelenken eingesetzt, aber ebenso routinemäßig.

"Und auch hier können die Ergebnisse sehr gut sein. Je kleiner das Gelenk ist, (ein Beispiel ist das Sprunggelenk), desto schlechter funktioniert jedoch die endoprothetische Versorgung. Der Vorteil der Schulter ist natürlich, dass man nach der Operation weniger Belastung auf dem Gelenk hat, weniger Gewichtsbelastung als am Kniegelenk oder im Hüftgelenk. Das heißt, man kann den Arm durchaus am Körper halten, in einer Art Schlinge, in einer Art Bandage und so die ersten Wochen gut damit zurechtkommen. Wobei es auch ganz wichtig ist, dass das Gelenk frühzeitig aus dieser Bandage heraus mobilisiert wird, sodass es nicht zur Kontraktur, also sozusagen zur Verkürzung der Gelenkstrukturen kommt."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

"Vorausschicken möchte ich, dass die angesehene Zeitschrift 'Lancet' vor wenigen Jahren die Hüft-Endoprothesen-Implantation weltweit zur Operation des Jahrhunderts erkoren hat. Der Grund: Sie steht vom Risiko her oder von der Wahrscheinlichkeit, dass ein Zwischenfall entsteht, eben sehr gut da."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Die Garantie für eine nebenwirkungsarme und risikoarme Versorgung - ob bei Hüft-, Knie- oder Schulterprothesen, so der Experte: am ehesten ein Krankhaus mit Spezialisierung, mit einer hohen Zahl an Prothesen-Implantationen, sowie Chirurgen und Chirurginnen, die die Operation häufig durchführen. Um Zwischenfälle zu vermeiden, seien aber durchaus auch Patienten und Patientinnen gefordert.

"Ein Patient mit einem Body-Mass-Index über 40 hat eine deutlich erhöhte Rate an periprothetischen Brüchen, also an Brüchen, die um die Prothese liegen. Und er hat eine deutliche erhöhte Rate an Wundheilungsstörungen und Infektionen. Deswegen versuchen wir, präoperativ daran zu arbeiten und die Risiken zu minimieren."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Das Alter allein ist - bei guter Gesundheit - kein Risikofaktor per se für Zwischenfälle nach Endoprothesen-Implantaten.

"Wenn sie gesund sind und 95 Jahre alt sind und gut auf sich aufgepasst haben, dann ist es nicht abwegig, eine Prothese zu implantieren. Das Alter ist natürlich assoziiert mit einer erhöhten Krankheitswahrscheinlichkeit. Das heißt, wenn ich alt bin, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich unter verschiedenen Krankheiten leide, die per se einen Risikofaktor für einen Zwischenfall nach Endoprothese darstellen."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Manche Orthopäden und Orthopädinnen sind der Meinung, eine sehr frühzeitige Implantation eines Gelenkersatzes garantiere einen besseren Operationserfolg. Lasse man zu viel Zeit vergehen, könne das Ergebnis nach der Operation unbefriedigend sein. Gibt es dazu eine Lehrmeinung?

"Das sehe ich persönlich nicht so. Der Patient ist in meinen Augen erst reif für die Endoprothese, wenn er Schmerzen hat, die ihn nicht mehr durchschlafen lassen, die ihn zwingen, Schmerzmittel einzunehmen. Wenn der Schmerz anfängt, seinen Lebensalltag signifikant zu beeinträchtigen, dann kommt der Patient von selbst. Und dann wünscht er eine endoprothetische Versorgung. Also wenn der Patient die Schmerzen noch erträgt und seinen Alltag noch bewältigen kann, dann ist jeder Monat, jedes Jahr ohne Prothese ein gewonnenes Jahr."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

In den meisten Fällen - und das gilt für die Hüfte wie für das Kniegelenk - empfiehlt der Experte sogenanntes Watchful Waiting. Voraussetzung: Kontrolle, regelmäßige Check-ups, regelmäßiger Arztbesuch und Röntgenbild. Ausnahme: ein Hüftgelenk, das kurz vor dem Einbruch steht. Auch individuelle Gegebenheiten und Entscheidungen spielen eine Rolle.

"Spitzensportler, deren Hüften ersetzt werden sollen und die auch wieder auf Weltniveau spielen können, die muss man natürlich ganz anders beraten. Für einen Spitzensportler ist es unter Umständen ja existenziell, dass er noch zwei bis fünf Jahre auf höchstem Niveau spielt. Bei einem 80-Jährigen ist es unter Umständen auf der anderen Seite existenziell, dass er seine Einkäufe und sein Leben noch eigenständig meistern kann, um unabhängig zu bleiben."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Haben Endoprothesen ein "Verfallsdatum"? Häufig wird einer Endoprothese maximal 20 Jahre Lebensdauer zugeschrieben.

"Das ist nicht richtig. Wir sprechen in der Medizin von sogenannten Überlebensraten - Survival Curves - einer Prothese. Wenn man eine solche Kurve anschaut, haben - betrachten wir die Hüfte - fünf Monate nach der Operation nahezu 100 Prozent aller Patienten ihre Prothese noch im Körper. Nach zehn Jahren haben noch ungefähr 90 Prozent oder sogar mehr als 90 Prozent der Patienten ihre Prothese noch im Körper. Nach 20 Jahren sind es dann noch ungefähr 80 Prozent der Patienten, die ihre Prothese noch im Körper tragen. Es ist also mitnichten so, dass nach 20 Jahren alle Prothesen, die wir implantiert haben, gewechselt werden müssen."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Das Deutsche Ärzteblatt meldet, dass etwa 0,5 bis zwei Prozent aller Patienten eine periprothetische Infektion (also eine Infektion am Knochen oder im Gelenkraum) ihres Hüft- oder Kniege­lenks erleiden. Und zwar sowohl in der frühen Phase nach der Operation als auch Monate bis Jahre danach.

"DieInfektion eines solchen Implantates ist eine der größten Befürchtungen in der Endoprothetik, weil sie verheerende Folgen hat. Dann muss dieses Implantat entfernt oder Teil-entfernt werden, um die bakterielle Besiedelung des Implantates beherrschen zu können."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Der Hintergrund: Bakterien fühlen sich an Fremdmaterialien im Körper sehr wohl, bilden dort einen sogenannten Biofilm, und sind für Antibiotika über die Vene nicht mehr erreichbar.

"Und deshalb arbeiten wir mittlerweile mit Hochdruck - auch hier an der LMU-Klinik - an antiinfektiven Oberflächen. Das heißt, wir beschichten unsere Prothesen in einer Art und Weise, die gegen diese Bakterien-Besiedelung wirkt und im Idealfall auch Keime abtötet. Das ist ein Projekt der Zukunft, an dem viele Arbeitsgruppen auch weltweit arbeiten."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel

Auch die Robotik kommt heute in der Endoprothetik zum Einsatz. Nur wenige Menschen haben ein Durchschnittsgelenk – der Einsatz von Robotern in der Endoprothetik soll Prothesen so anpassen, dass die individuelle Anatomie des Patienten oder der Patientin erhalten bleibt.

"Zwar ist die Haltbarkeit einer Prothese nach Verwendung eines Roboters nicht größer, wie uns die neuesten Daten zeigen. Aber die Verwendung des Roboters erlaubt uns, genauer zu arbeiten, weniger Fehler zu machen. Und das ist für einen Chirurgen und für den Patienten schon wichtig. Also ich denke schon, dass die Robotik uns die nächsten Jahre deutlich weiterbringt."

Prof. Dr. med. Boris Holzapfel