Rückenschmerzen Wege zu einem gesunden Rücken
Rückenschmerzen können viele verschiedene Ursachen haben. Wichtig ist daher eine fundierte Diagnose vor der Therapie. Was kann ich zur Vorbeugung tun? Wann muss operiert werden?
Der Rücken trägt uns durchs Leben, schafft Stabilität, hält im Alltag vielen Belastungen stand. Etwa vier von fünf Deutschen haben mindestens einmal im Leben Rückenschmerzen. Oft sind sie harmlos und gehen nach kurzer Zeit von selbst wieder weg. Meist lässt sich auch keine Ursache feststellen. Selten steckt eine gefährliche Erkrankung dahinter. Operationen sind meist nicht nötig. Die wichtigste Maßnahme bei Rückenschmerzen: Bewegung.
Experte:
Dr. med. Andreas Winkelmann, Leiter Interdisziplinären Schmerzambulanz, Leiter Physikalische und Rehabilitative Medizin, Muskuloskelettales Universitätszentrum München – MUM, Campus Innenstadt, LMU Klinikum München
Rückenschmerzen sind unterschiedlich starke Schmerzen an verschiedenen Regionen des Rückens, die ganz verschiedene Ursachen haben können. 25 Prozent der Patienten haben im unteren Rücken Schmerzen (Kreuz), 18 Prozent im Nacken, 14 Prozent im oberen Rücken. Kreuzschmerzen sind definiert als Schmerzen unterhalb des Rippenbogens und oberhalb der Gesäßfalten, mit oder ohne Ausstrahlung. Begleitend können weitere Beschwerden vorhanden sein. Man kann Kreuzschmerzen unterscheiden nach Ursache, Dauer oder Schweregrad. Meistens klingen die Schmerzen aber nach zwei bis drei Wochen ab.
Der Rücken besteht aus Muskeln, Gelenken und Knochen. Rückenschmerz ist meistens eine Muskelspannung, die auch Ausdruck von einer Überlastung sein kann. Es kann eine statische, aber auch eine psychosoziale Belastung sein. Rückenschmerz ist also ein Spiegel der Seele. Frauen leiden 1,2 Mal häufiger unter Rückenschmerzen als Männer, vor allem unter Nackenschmerzen.
"Rückenschmerz können fast alle mal im Laufe ihres Lebens haben. Wichtig ist, dass man weiß, es ist meistens nichts Gefährliches."
Dr. med. Andreas Winkelmann
Bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen ist der Grund für die Beschwerden nicht eindeutig erkennbar. Sie verschwinden in der Regel von selbst, so dass es auch nicht notwendig ist, die Ursache zu klären. Dies trifft auf etwa 85 bis 90 von 100 Betroffenen zu.
Ein spezifischer Kreuzschmerz dagegen ist auf eine eindeutige Ursache zurückzuführen, die in besonderer Weise behandelt werden muss: zum Beispiel ein Knochenbruch, eine Infektion oder – sehr selten – Krebs. Am häufigsten streuen Mamma-, Prostata- und Lungenkarzinome in die Wirbelsäule.
Es kommt häufig vor, dass ein bei Kreuzschmerzen veranlasstes Röntgen- oder MRT-Bild alters- und verschleißbedingte Veränderungen an der Wirbelsäule zeigt. Oft ist aber unklar, ob diese Auffälligkeiten wirklich der Grund für die Schmerzen und deren Stärke sind. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass solche Veränderungen auch bei vielen Menschen gefunden werden, die gar keine Beschwerden haben.
Wichtig bei der Ursachensuche ist, Hinweise auf Gefahren auszuschließen. Frauen sind auch von chronischen Rückenschmerzen häufiger betroffen als Männer. Anhand der Schmerzdauer unterscheiden die Fachleute zwischen akuten und chronischen Kreuzschmerzen (KS). Akute KS dauern weniger als sechs Wochen an, subakute KS mehr als sechs Wochen, chronische KS mehr als zwölf Wochen.
Der akute Schmerz ist eine Art Frühwarnsystem des Körpers. Er zeigt an, wenn etwas nicht in Ordnung ist. So können plötzlich auftretende Schmerzen beispielsweise auf eine Verspannung, eine Krankheit, eine Entzündung oder eine Verletzung hinweisen. Normalerweise gehen die Schmerzen nach einer gewissen Zeit von selbst wieder weg. Am häufigsten handelt es sich um eine funktionelle Ursache bei Rückenschmerzen. Dabei müssen zusätzliche Symptome beachtet werden wie Schmerzausstrahlung in die Beine, Gefühlsstörungen, Kraftminderung oder ausgeprägter Ruheschmerz.
Manchmal kann der Körper starke Schmerzen nicht vergessen (Schmerzgedächtnis). Das kann zu Veränderungen im Gehirn und Rückenmark führen. Als Folge reagieren Betroffene schon auf leichte Reize mit Beschwerden. Dann können Schmerzen bestehen bleiben, obwohl der ursprüngliche Auslöser längst verschwunden ist. Die Schmerzen verlieren weitgehend ihre "Warnfunktion" und machen sich selbstständig. So kann sich der Dauerschmerz selbst zu einer Krankheit entwickeln. Ob es dazu kommt, hängt unter anderem von seelischen Belastungen im Beruf oder privaten Umfeld ab. Hinzu kommt, dass manche Betroffene verzweifeln, traurig sind oder Angst haben, was die Beschwerden verstärken kann. Deshalb bekommen sie im Rahmen ihrer Behandlung immer wieder auch Fragen nach ihrer Stimmung und seelischen Verfassung gestellt. Das Behandlungsteam kann so mögliche seelische Ursachen und Auswirkungen der Schmerzen in die Behandlung einbeziehen. Die Arbeitsbelastung vieler Patienten hat zugenommen. Das macht sich im Rücken bemerkbar.
"Ich sehe sehr häufig die Muskelspannung, manchmal entsteht eine Fehlhaltung. Da geht es dann auch um die innere und äußere Haltung. Spätestens wenn der Schmerz länger anhält, sollte man an psychosoziale Faktoren denken."
Dr. med. Andreas Winkelmann
Es klingt zunächst paradox, aber die wichtigste Maßnahme gegen Kreuzschmerzen ist Bewegung. Schon 30 Minuten Spazierengehen helfen. Bettruhe ist schädlich, sie kann die Beschwerden verstärken. Kurzfristig können Schmerzmittel helfen, Aktivitäten im Alltag so gut wie möglich beizubehalten. Bessern sich die Beschwerden trotz Behandlung nach dem aktuellen Wissensstand längere Zeit nicht, sollte eine Kombination aus unterschiedlichen Maßnahmen zum Einsatz kommen. Dies nennt sich ein "multimodales Behandlungsprogramm". Es kombiniert ärztliche sowie physio-, ergo- und psychotherapeutische Behandlungen.
- Aktivierung der Betroffenen
- Risikofaktoren zur Chronifizierung ausschließen wie psychosoziale Faktoren (Depression, Arbeitsplatzsituation, Belastungen und persönliches Verhalten, schwache Rumpfmuskulatur, kein Sport, starkes Rauchen)
- möglichst früh multi- und interdisziplinäre Behandlungspläne
- Therapieorientierung an Schmerzen und aktuellem Funktionsstatus
- Behandlungsplan zwischen Ärztin/Arzt und Betroffenen abstimmen, Verständnis und Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit
- Im akuten Stadium medikamentöse Therapie zur Unterstützung der nicht-medikamentösen Therapie, damit übliche Aktivitäten frühzeitig aufgenommen werden können
- Bei chronischem nichtspezifischem KS medikamentöse Therapie, wenn zur Aktivierung erforderlich
- Akupunktur (bei chronischem KS),
- Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (bei akutem KS mit Chronifizierungsrisiko),
- Rückenschule (bei akutem KS, mit aktivierenden Maßnahmen),
- kurze Behandlungsserien Mobilisation/Manipulation,
- Massage (bei chronischem KS),
- Wärme (bei akutem KS mit aktivierenden Maßnahmen)
Nicht empfohlen:
- Bettruhe,
- Akupunktur (bei akutem KS),
- Elektrotherapie (Interferenzstrom, TENS, PENS),
- Ergotherapie (bei akutem KS),
- Physikalische Therapien: Wärme (bei akutem KS offen) / Kälte, Kurzwellendiathermie, Laser, Magnetfeldtherapie,
- Massage (akuter KS),
- Orthesen,
- Traktionen,
- Ultraschall
Bandscheiben sind rein mechanisch betrachtet die Stoßdämpfer zwischen den Wirbelkörpern. Bei einem Bandscheibenvorfall tritt Bandscheibengewebe zwischen den Wirbelkörpern hervor. Das vorgewölbte Gewebe kann auf die Nerven an der Wirbelsäule drücken und sie reizen. Meist sind Rückenschmerzen aber nicht die Folge eines Bandscheibenvorfalls. So haben Untersuchungen gezeigt, dass bei mehr als der Hälfte der 30-Jährigen, bei fast 70 Prozent der 40-Jährigen, bei 80 Prozent der 50-Jährigen sowie bei fast 90 Prozent der 60-Jährigen degenerative Bandscheibenveränderungen zu finden sind, sie aber beschwerdefrei sind. In der Regel muss ein Bandscheibenvorfall nicht operiert werden.
Unterschied Hexenschuss/Bandscheibenvorfall
Was bei einem Hexenschuss passiert
Beim Hexenschuss kommt es zu einem Reizzustand der kleinen Wirbelgelenke (jeder Wirbelkörper hat zwei obere und zwei untere Gelenkfortsätze, die mit den benachbarten Wirbelkörpern ein Gelenk bilden) oder das Darm-Kreuzbeingelenk. Dies ist meist ausgelöst durch Fehlbelastungen oder eine akute Überbeanspruchung.
Dieser Schmerz macht die Patienten oft bewegungsunfähig und führt zu einer Schonhaltung ein, die jedoch selbst wieder zu einer schmerzhaften Muskelverspannung führen kann.
Wann ein Bandscheibenvorfall vorliegt
Vom Bandscheibenvorfall spricht man dann, wenn sich Einrisse im Faserring der Bandscheibe bilden und Material aus dem Bandscheibenkern durch die Risse in den Wirbelkanal rutscht. Dadurch können Nervenwurzeln gedrückt werden, was zu einem massiven Schmerz im betroffenen Bein führen kann. In einigen Fällen wird dadurch auch das Nervensignal zu den Muskeln bzw. der Blase abgeschwächt und es kommt zu einer Muskel- oder Blasenlähmung. In diesem Fall ist eine sofortige Operation unausweichlich.
Es gibt aber auch Hinweise auf eine ernsthafte Pathologie, die auf Gefahren hinweisen. Dann sollte man umgehend in die Klinik fahren, möglicherweise hilft dann auch nur noch eine Operation. Alarmzeichen ist ein konstanter, progressiver, nicht mechanischer Schmerz oder ein Thoraxschmerz bzw. Brustschmerz. Fieber, schlechter Allgemeinzustand und systemisches Unwohlsein sind ebenfalls Hinweise auf gefährliche Rückenschmerzen. Auch bei ungewolltem Gewichtsverlust und längerdauernder systemischer Steroid- oder Cortisoneinnahme sollte der Arzt hellhörig werden. Treten neurologische Ausfälle auf, kann man kein Wasser mehr halten oder den Stuhlgang nicht mehr kontrollieren, sollte der Betroffene innerhalb von Stunden in die Klinik fahren.
"Egal ob akute oder chronische Beschwerden: Es ist die ärztliche Aufgabe zu erfassen, ob Hinweise auf Gefahren vorliegen. Zum Beispiel Gewebezerstörungen durch Unfall, Knochenbrüche, Entzündungen durch Tumor oder Gefäßerkrankungen." Dr. med. Andreas Winkelmann
Es gibt zwar keine "Rücken-Diät", aber natürlich spielt grundsätzlich die Ernährung eine Rolle. Eine ausgewogene, vollwertige Ernährung ist wichtig. Wenn wir zum Beispiel vermehrt Süßgetränke oder Fastfood essen, viel nebenher zu uns nehmen, dann haben wir ein Risiko, Übergewicht zu entwickeln. Dadurch fehlt uns vielleicht auch Leistungsfähigkeit. Die Folge: Überlastung, Stress-Situationen, Anspannung und Rückenschmerz. Oft leiden Übergewichtige auch unter Bewegungsmangel. Rückenschmerzen können sich so chronifizieren. Aber einen ganz direkten Zusammenhang gibt es nicht.
"Man kann also nicht sagen: Wenn ich das und das esse, bekomme ich Rückenschmerzen."
Dr. med. Andreas Winkelmann
Weitere Tipps für eine gesunde Lebensweise: ausreichend Schlaf, ein gesunder Tag-Nacht-Rhythmus, nicht kurz vor dem Schlafengehen essen. Sonst ist der Schlaf weniger erholsam, wir wachen weniger erholt und etwas gestresster auf und haben dadurch allgemein ein höheres Risiko für Schmerz.
Wichtig bei der Diagnose und Therapie: Der Arzt sollte auch die Psyche und das soziale Umfeld des Patienten beachten. Grundsätzlich gilt: Bewegung statt Bettruhe. Weiter gilt: Schmerzmittel so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Kurzfristig können Schmerzmittel helfen, Aktivitäten im Alltag so gut wie möglich beizubehalten. Bei chronischen Schmerzen empfiehlt sich eine kombinierte Behandlung, also ein multimodales Behandlungsprogramm.
Kleine Rückenschule
Körpergewicht
Übergewicht abbauen und regelmäßig Sport treiben: Dabei wird der Rücken entlastet und die Muskulatur wird trainiert.
Aufstehen und Hinlegen
Richtiges Aufstehen und Hinlegen: Die Bewegung sollte immer über die Seite und bei angespannter Bauch- und Beckenbodenmuskulatur geführt werden.
Richtig Heben
Kontrolliertes Heben: Lasten sollten immer mit geradem Rücken und bei angespannter Becken- Bauch- und Rückenmuskulatur aus der Hocke heraus gestemmt werden, nie über den gebeugten Rücken. Der Gegenstand sollte möglichst nah am Körper geführt werden, einseitiges Heben gilt es zu vermeiden.