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Wieder frei Luft holen Was Atemphysiotherapie bewirken kann

Physiotherapeutische Atemtherapie ist ein wesentlicher Bestandteil der nichtmedikamentösen Behandlung von Erkrankungen der Atmungsorgane. Verschiedene manuelle Anwendungen, Atem- und Bewegungstechniken unterstützen Patientinnen und Patienten bei der Wiederherstellung ihrer bestmöglichen Atemfunktion.

Von: Susanne Dietrich

Stand: 19.04.2022 |Bildnachweis

Eine Frau macht Atemübungen im Freien | Bild: picture-alliance/dpa

Atemphysiotherapie kann durch den Hausarzt, Internisten oder Lungenfacharzt verordnet werden und wird von den Krankenkassen erstattet.

Expertin:

Sabine Weise, Atemphysiotherapeutin in München, langjährige Lehrkraft an der staatlichen Berufsfachschule für Physiotherapie an der LMU München, Mitinitiatorin und Dozentin der Fortbildungsreihe "Atemphysiotherapie" der AG Atemphysiotherapie im Zentralverband für Physiotherapie

Ambulant wird Atemphysiotherapie in Physiotherapiepraxen angewendet. Stationär kommt sie in Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken und Palliativstationen zum Einsatz, aber auch in Pflegeeinrichtungen und Hospizen.

Ein Therapieschwerpunkt liegt in der Vermittlung von Selbsthilfetechniken zur Verbesserung der Atmung. So sollen Betroffene auch im Alltag eine bestmögliche Kontrolle über die krankheitsbedingten Einschränkungen und damit vor allem Lebensqualität zurückerlangen.

Der Text beruht auf einem Gespräch mit Sabine Weise, Mitinitiatorin und Dozentin der Fortbildungsreihe "Atemphysiotherapie" im Zentralverband für Physiotherapie.

Um das Blut mit Sauerstoff zu versorgen, arbeiten zwei sehr unterschiedliche Organsysteme zusammen. Auf der einen Seite die Lunge als eine Art Chemiefabrik, in der die Sauerstoffaufbereitung des Blutes stattfindet – auf der anderen Seite die sogenannte Atempumpe, die mit der Atemmuskulatur Luft in die Atemwege pumpt. Beide Organsysteme sind gleichermaßen lebenswichtig. Störungen des einen Systems ziehen stets auch Störungen des anderen Systems nach sich.

"Zur Atempumpe zählen neben dem Zwerchfell und weiteren Atemmuskeln auch die Atemhilfsmuskulatur im Hals- und Schultergürtelbereich und die Ausatemmuskulatur in Bauch und Rücken. Die Skelettanteile Wirbelsäule, Rippen und Becken geben der Atempumpe Stabilität. Aber auch das Atemzentrum im Stammhirn und die peripheren Nerven, die die Muskeln innervieren, gehören zur Atempumpe. Das Atemzentrum steuert und reguliert nach unserem Bedarf Atemtiefe und Atemfrequenz. Bei verschiedenen funktionellen Problemen im Bereich der Atempumpe kann die Atemphysiotherapie Unterstützung bieten."

Sabine Weise

Die Atempumpe ventiliert täglich im Durchschnitt 20.000 bis 30.000 Liter Luft durch die Atemwege und ist für deren Reinigung über den Hustenmechanismus verantwortlich. Ein wesentlicher Teil der Atempumpe ist das Zwerchfell, eine Muskel-Sehnen-Platte, die Brust- und Bauchhöhle voneinander trennt.

"Die Muskelfasern des Zwerchfells sind ähnlich angeordnet wie die Speichen eines Schirms. Sie haben ihren Ursprung am unteren Rippenrand und an der Lendenwirbelsäule und setzen im Zentrum des Zwerchfells an einer Sehnenplatte an. Das Zwerchfell ist mit der Lunge gleitend verbunden. Wenn seine Muskelfasern sich kontrahieren, zieht sich das Zwerchfell nach unten in Richtung Bauchraum zusammen. Durch den Unterdruck zwischen Lungenfell und Zwerchfell wird die Lunge mit nach unten gezogen – bei Ruheatmung sind das ungefähr zwei bis drei Zentimeter, bei tiefer Atmung sind es zehn bis zwölf Zentimeter."

Sabine Weise

Bei der Ausatmung entspannen sich die Muskelfasern des Zwerchfells. Durch die elastischen Kräfte der Lunge wird das Zwerchfell wieder in seine Ausgangsposition tief in den Brustkorb gezogen.

"Ein entspanntes Zwerchfell ragt wie eine hohe Kuppel bis zur vierten Rippe in den Brustkorbraum. Bei Zwerchfellatmung werden die Bauchorgane nach vorne verdrängt. So können wir die Atembewegungen des Zwerchfells durch das Heben und Senken der Bauchdecke wahrnehmen."

Sabine Weise

Die Bewegung des Zwerchfells hat Auswirkungen auf viele Körperbereiche. Dabei entstehen nicht nur im Brustkorb, sondern auch im Bauchraum wechselnde Druckverhältnisse. Sog und Druck wirken sich zudem auf die Blutgefäße, Lymphbahnen und Bauchorgane aus. Außerdem zieht der Unterdruck über die Venen das Blut zurück ins Herz. Auch das vegetative Nervensystem und die Verdauungsorgane werden durch die Zwerchfellbewegungen stimuliert und angeregt.