Bayern 2

     

Jung und seelisch krank? Wie die Corona-Pandemie Kinder und Jugendliche belastet

Hoffnungslosigkeit, Depression, Angst und Panik - Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen nehmen während der Corona-Zeit zu. Ist damit die Entwicklung einer ganzen Generation beeinträchtigt? Wie ist zu helfen? Wie ist gegenzusteuern?

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 01.03.2022 |Bildnachweis

Eine junge Frau steht in ihrer Wohnung an einem Fenster. | Bild: dpa-Bildfunk/Fabian Sommer

"Nur" betrübt oder schon depressiv? – Die Nöte von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie

Die einen haben Einschlafprobleme und sind energielos, die anderen leiden plötzlich unter ständigem Kopfschmerz, wieder andere unter Hoffnungslosigkeit, großer Angst und Depression: Das Spektrum der psychischen Belastungen während der Corona-Pandemie ist auch im Kindes- und Jugendalter breit.

Experte:

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Dementsprechend sind auch die Unterschiede groß, wie junge Menschen auf die Belastungssituation der Corona-Zeit reagieren: Die einen ziehen sich zurück, sind weniger aktiv, zweifeln an der Zukunft, sorgen sich um ihre Eltern oder sorgen sich um die eigene Gesundheit. Andere denken in dieser Situation vermehrt über den eigenen Körper nach, beschäftigen sich zwanghaft mit ihm und entwickeln Essstörungen.

"Es gibt insgesamt in dieser Zeit eine ganz starke Tendenz, dass Kinder depressiv und ängstlich werden. Auch bei uns in der Klinik werden zunehmend Kinder vorgestellt mit depressiven Symptomen oder Angstsymptomen. Aber wenn wir uns in der klinischen Versorgung schwere Verläufe von psychischen Erkrankungen anschauen, sind es vor allen Dingen junge Frauen mit Essstörungen. Das hat sehr deutlich zugenommen. Wir haben im Rahmen der stationären Behandlung tatsächlich eine deutliche Zunahme von Patientinnen und Patienten mit Essstörungen. Diese jungen Menschen beschäftigen sich dann teils ganztägig damit abzunehmen. Ganz besonders schwierig wird es, wenn sie schon im Vorfeld, vor Corona, mit einer Essstörung belastet waren."

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne

Auch unter normalen Bedingungen äußern Kinder immer wieder Ängste vor Krankheiten. Mit diesen Ängsten werden sie jedoch meist in kurzer Zeit wieder fertig.

"Jetzt aber beobachten wir, dass sich Kinder nachhaltig Sorgen um ihre Zukunft, um die Schule, um Erkrankungen bei sich, ihren Freunden und ihren Angehörigen machen. Diese Sorgen halten jetzt länger an und beschäftigen die Kinder doch auch massiv."

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne

Gerade Kinder und Jugendliche vermissten während der Lockdown-Phasen Zukunftsperspektiven, äußerten große Verunsicherung bis hin zu suizidalen Gedanken. Alles bei gleichzeitig fehlendem affektiven Ausgleich und fehlender sozialer Kontakte während des Homeschoolings.

Schon vor dem Lockdown suchten, so die Erfahrung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Schulte-Körne, viel zu wenige Jugendliche, die sich belastet fühlen, Hilfe und Behandlung. Oder zumindest den Rat, ob eine Therapie nötig ist.

"Und das hat sich in diesen Phasen der Corona-Pandemie leider noch einmal deutlich verstärkt. Im Lockdown wurde erst recht keine Hilfe gesucht, aber das Angebot war auch geringer und fand, bedingt durch den Lockdown, oft auch nicht persönlich statt."

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne

Als Risikogruppen für psychische Erkrankungen galten auch schon vor der Corona-Pandemie Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen oder aus Familien, in denen z.B. ein Elternteil psychisch schwer erkrankt ist.

"Und auch aus Familien, die z.B. aufgrund ihres Migrationshintergrundes wenig Zugang zu unserem Versorgungssystem haben. Die sprachlichen Barrieren sind im Bereich der Versorgung für psychisch erkrankter Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien immer noch recht hoch."

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne

Gerade diese Risikogruppen und gerade junge Menschen, die bereits vorher psychisch belastet oder vielleicht auch schon erkrankt waren, trifft es in der Corona Pandemie besonders schwer. Die Wiedererkrankungsrate für Jugendliche mit depressiven Störungen ist erheblich.

"Sie sind meistens von den Stressoren der Umwelt besonders betroffen."

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne

Allerdings: Die Kinder- und Jugendpsychiatrie registriert seit der Pandemie eine Belastung dieser Altersgruppe über alle sozialen Strukturen hinweg, also über die bekannten Risikogruppen hinaus.

"Das heißt, wir haben auch Kinder aus Familien, wo vorher nie jemand gedacht hätte, dass das Kind vielleicht psychisch belastet sein oder erkranken könnte. Insgesamt erleben wir bei vielen Familien erhebliche Belastungen psychischer Art, die vorher eigentlich sich niemand wirklich vorstellen konnte."

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne