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Wirtshauskultur in Franken Zwischen Stammtischpoesie und Pachtstundung

Schon vor der Corona-Pandemie grassierte ein Virus, das viele Gaststätten dahingerafft hat. Die Krankheit heißt Wirtshaussterben. Doch einige Wirte in Oberfranken haben erstaunliche Lösungen gefunden.

Stand: 15.09.2020 | Archiv

Wirtshauskultur in Franken: Zwischen Stammtischpoesie und Pachtstundung

Das Wirtshaussterben begann schon in den 1970ern. Die Auslöser: kein Personal, kein Nachfolger, kein Geld für Renovierungen, knauserige Gäste. Dazu hat sich langsam ein neuer Lebensstil eingeschlichen: weniger Stammtische, mehr Amerikanische Drive-In-Restaurants. Manche Wirtshäuser haben ein wirkungsvolles Gegenmittel gefunden, andere sind eingegangen. Bei einer Rundreise durch Oberfranken ist ein Appetit machendes Bild entstanden mit erstaunlichen Lösungen und optimistischen Wirten.

Gasthaus Drei Linden in Tröbersdorf

Einen Katzensprung von der Bayreuther Innenstadt entfernt, zelebriert Wirtin Dani Taubenreuther seit 24 Jahren fränkische Gemütlichkeit und Gastlichkeit. Die Drei Linden in Tröbersdorf sind sommers wie winters Ausflugsziel für Städter und ein Ort der Geselligkeit für eine Handvoll Dorfbewohner. Bis zur coronabedingten vorübergehenden Schließung brummte es in dem alten Gemäuer.

"Uns ging es gut ja. Wir hatten ein gutes Auftragsbuch. Es war ja noch Winter, es wäre ja erst losgegangen außen. Wir konnten uns eigentlich nicht beklagen."

Dani Taubenreuther, Wirtin

Rot-weiß-karierte Gemütlichkeit

Dani Taubenreuther hat das historische, Efeu-bewachsene Sandsteinhaus mit dem eingewachsenen Garten im Jahr 1996 gepachtet und erst einmal den Staub der vergangenen Jahrzehnte entfernt. Seitdem regiert rot-weiß-karierte Gemütlichkeit.

Coronavirus und die Folgen für die Gaststätten

Am 21. März 2020 mussten im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus alle Lokale in Bayern ihre Gasträume schließen. Möglich waren wochenlang nur noch Take-Away, Drive-In und Lieferungen. Ab dem 18. Mai durften Gaststätten unter Auflagen ihre Biergärten wieder öffnen, eine Woche später auch die Innenbereiche.

Ende Mai geht es im Drei Linden in Tröbersdorf unter Auflagen wieder los. Dani Taubenreuther ist kurz vor der Wiedereröffnung mehr als skeptisch. Kann sie die Sicherheit ihrer Gäste und Mitarbeiter gewährleisten? Kann sie alle drei seit Jahren bei ihr beschäftigten Mitarbeiter halten? Reicht der Umsatz?

"Ich denke, dass wir, wenn es gut geht, 50 Prozent schaffen könnten von dem, was wir die Jahre vorher hatten. Wobei uns jetzt im April und Mai schon so viel Geld verloren gegangen ist durch das schöne Wetter, das wir hatten, und wir den Biergarten normalerweise schon bestückt und schon gute Umsätze gemacht hätten."

Dani Taubenreuther, Wirtin

Deutliche Umsatzrückgänge und eine Entlassung

Ende August haben sich einige Befürchtungen der Wirtin bewahrheitet. Obwohl an schönen Abenden jeder mögliche Platz – den Abstandsregeln entsprechend - unter den bunten Lichterketten besetzt ist, ist der Umsatz deutlich zurückgegangen.

"Eine Mitarbeiterin musste ich jetzt entlassen, weil ich eine Vollzeitkraft noch zusätzlich fürs Innengeschäft nicht bezahlen kann."

Dani Taubenreuther, Wirtin

Denn innen sitzen bei den Abstandsregeln – das ist schon im Sommer an Regentagen problematisch und ab Herbst sowieso. Maximal 16 Gäste passen in die kuschelige Gaststube, dazu kommt ein Tisch im Nebenzimmer. Das sind deutlich weniger Sitzplätze als vorher. Doch Dani Taubenreuther hat eine Idee, wie sie ihren Umsatz retten kann.

"Wir konzentrieren uns jetzt wieder auf unser Außer-Haus-Geschäft. Da werden wir jetzt eine Werbekampagne machen, wo die Leute sich ein zugeschustertes Paket abholen können. Entweder eine ganze Gans oder eine Ente, mit Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise."

Dani Taubenreuther, Wirtin

Angstfreier Blick in die Zukunft

Was Dani Taubenreuther in 24 Jahren in Tröbersdorf aufgebaut hat, ist mehr als eine Gaststätte. Es sind Beziehungen, manchmal auch Freundschaften. Zu ihren Mitarbeitenden ebenso wie zu den Gästen. Das machte sich bisher bezahlt. In Corona-Zeiten wurde es überlebensnotwendig. Heute blickt die Wirtin trotz aller Unsicherheiten angstfrei in die Zukunft.

"Das kriegen wir hin. Ich habe ein tolles Team. Ich habe wirklich zwei tolle Mitarbeiter, die mich unterstützen. Insofern bin ich da optimistisch."

Dani Taubenreuther, Wirtin

Gründe für das Wirtshaussterben

Die Gründe für das Wirtshaussterben auf dem Land sind vielfältig und haben viel mit gesellschaftlichem Wandel zu tun. Begonnen hat es in den 1970er Jahren. Sonntagsstammtische wurden seltener, amerikanische oder italienische Restaurants beliebter. Sportclubs bauten eigene Vereinsheime und Mitglieder saßen nicht mehr beim Wirt im Nebenzimmer. Die Menschen wurden mobiler und gingen nicht mehr zu Fuß ins Gasthaus um die Ecke, sondern fuhren in die nächste Stadt. Dazu gesellten sich im Lauf der Jahre das Rauchverbot, der Trend zum sogenannten Vorglühen zuhause, zu Clubs und Szenegaststätten. Gleichzeitig wurde das Arbeiten in der Gastronomie unbeliebter wegen der Arbeitszeiten und höherer Ansprüche an den Verdienst. Heute fehlen Fachleute in Küchen und Gasträume. Und mancherorts fehlen motivierte Erben, die den Betrieb der Eltern übernehmen.

Das Gasthaus zum Roten Ochsen

Im idyllischen Stadtteil Burk steht ganz oben, hoch über dem Kanal, seit 140 Jahren das Gasthaus zum Roten Ochsen. Wer hier essen möchte, verlässt die Hauptstraße und findet sich nach wenigen Metern an einem unerwartet ruhigen, großzügigen Platz wieder. Die Kirche steht gleich neben dem Lokal mit Nebengebäuden und Anbauten aus verschiedenen Jahrzehnten. Im Jahr 2020 hat der Familienbetrieb Roter Ochse die wohl größte Wandlung in seiner Geschichte erlebt. Konrad Scheller, ein Urenkel des ersten Wirts, hat dem Ochsen ein ganz neues Kleid angezogen.

"Ich habe eben in diesem Haus versucht, die Tradition mit der Moderne zu verbinden. Es cooler, pfiffiger zu machen. Man kann den Leuten auch zeigen, wie cool Tradition sein kann. Ich bin jetzt nicht das Lokal Konnis oder sowas, das wäre ja blöd. Aber die Geschichte mit dem Ochsen, der immer schon der Ochse hieß und plötzlich der Ox mit X wird – das hat was."

Konni Scheller, Wirt

Neuer Name, neues Outfit, neue Karte

Der Name ist anders, das Outfit und die Karte. Über hundert Jahre lang standen fränkische Speisen auf dem Menü. Braten, Blaukraut, Klöße. Das hat für Konni Schellers Ahnen gut funktioniert und lange Zeit auch für ihn selbst.

"Tatsächlich war es so, dass die vielen Stammgäste, die gerne fränkisch aßen, die wurden halt weniger. Wir hatten früher diesen typischen Nach-der-Kirche-Stammtisch. Das waren mal 15 Leute, dann 12. Am Schluss waren es zwei. Als dann der eine auch noch gestorben ist, ist der Letzte nicht mehr gekommen."

Konni Scheller, Wirt

Zu diesem Zeitpunkt hat Konni Scheller im Roten Ochsen bereits seine Leidenschaft für eine andere Küche entdeckt. Auf der Karte finden die Gäste nun neben Fränkischem Sauerbraten auch hochwertige Rindersteaks. Der Wandel hat begonnen. Jetzt passt das Gesamte aber irgendwie nicht mehr zusammen.  

"Mit den dunklen Tischen, mit dem dunklen Holz, mit diesen Hängelampen, das schafft eine Atmosphäre, wo man sagt: Da kann man gut fränkisch essen. Aber man kommt nicht auf die Idee, dass es da Prime Beef mit Dry-Aged Färsenrind gibt."

Konni Scheller, Wirt

Konni Scheller packt den Ochs bei den Hörnern, im Januar schließt er den Laden zu und macht ihn erst wieder auf, als er ein völlig neues Gewand trägt. Der Rote Ochse heißt nun der Ox mit X und ist kein fränkisches Wirtshaus mehr, sondern ein stylisches Steakhaus. Tortillas haben die Klöße abgelöst. Holz spielt noch immer eine große Rolle im Ox, doch es ist hell. Die Stühle und die Sitzbank an der Wand sind mit Leder bezogen. Die Lehne hinter der Bank ist knallig-rot. Im Mai betreten die ersten Gäste den neuen Ox.

"Einige sind weggeblieben, aber es sind viele, viele neue dazugekommen. Um es ganz klar zu sagen: Corona-Überbrückungshilfe brauche ich nicht beantragen. Der Umsatz ist gestiegen gegenüber letztes Jahr."

Konni Scheller, Wirt

Bayerische Staatsregierung will Wirtshaussterben stoppen

Zurück ins Jahr 2019: Der Zufall will es, dass Konni Scheller genau zu dem Zeitpunkt in die Planung des neuen Outfits für den Ochsen einsteigt, als der Freistaat den zweiten Durchlauf seines Gaststättenmodernisierungsprogramm ankündigt. Das Programm soll ein Heilmittel der Regierung gegen das Wirtshaussterben sein.

Zwischen den Jahren 2006 und 2015 hat Bayern rund ein Viertel seiner Schankwirtschaften verloren. Die bayerische Staatsregierung will diesen Trend stoppen, der Arbeitsplätze kostet und sich negativ auf den Tourismus auswirkt. Das Gaststättenmodernisierungsprogramm soll individuelle Modernisierungen ermöglichen und unterstützen. Das Wirtschaftsministerium stellt 30 Millionen Euro zur Verfügung. Es will auf diese Weise die Wirtshauskultur vor allem in den ländlichen Gebieten Bayerns fördern. Nach Oberfranken fließen rund 2,3 Millionen Euro. In 35 Gaststätten.

Am 17. Mai 2019 um 10 Uhr sitzt Konni Scheller vor dem Computer und füllt das Antragsformular aus. Er muss sich beeilen, denn nur 125 Anträge aus ganz Bayern kommen zum Zug. Es dauert nur wenige Minuten, dann ist das Kontingent erschöpft. Der Rote Ochse ist dabei.

"Das stellt man normalerweise auf drei Beine: ein bisschen Eigenkapital sollte dabei sein, die Mittel des Förderprogramms und ein Kredit von der Hausbank. Um das kümmert man sich, und dann funktioniert es."

Konni Scheller, Wirt

Voraussetzungen für eine Förderung vom Freistaat

Die Gaststätten müssen für eine Förderung durch das Gaststättenmodernisierungsprogramm einige Voraussetzungen erfüllen:  Ihr Standort muss eine bayerische Gemeinde unter 100.000 Einwohnern sein. Der Wirt muss mindestens 20.000 Euro investieren. Sein Nettojahresumsatz darf eine Million Euro nicht überschreiten. Die Baumaßnahme darf noch nicht begonnen haben und die Gaststätte muss ein bestehender Betrieb sein. Die Fördersumme beträgt zwischen 30 und 40 Prozent der Modernisierungskosten.

"Ich will ein Rind von Dir."

Im Fall von Konni Scheller kommt noch eine Handvoll Humor mit ins Menü. Für seinen neuen Oxen lässt er Bierfilze mit Sprüchen drucken, die jetzt schon legendär sind. "Suchst du Beef?" "Zu Bier oder zu mir?" "Aller guten Dinge sind dry-aged." "Ich will ein Rind von Dir."

Das Wirtshaus "Zur Linde" in Preussling

Zeitreise in die Vergangenheit. Denn das Wirtshaus "Zur Linde" in Preussling ist bereits seit fünf Jahren Geschichte. Die Gaststätte galt als Geheimtipp, die Currywurst und der Wurstsalat waren berühmt. Heute beherbergt das Anwesen mit den beiden alten Linden vor der Tür einen Reiterhof. Ingrid und Bernhard Wöhrl, die letzten Wirte des Familienbetriebs, wohnen noch immer direkt daneben. Die beiden haben in dem urigen Sandsteingebäude vor vier Jahren zum letzten Mal Bier gezapft. Die Wöhrls haben nicht nur Fotos aus der Zeit in der Linde in ihren Ruhestand gerettet, sondern viele schöne Erinnerungen und einen ganzen Stammtisch. Vor 45 Jahren haben sich in der Linde vier Ehepaare kennen und mögen gelernt. 

Die Tür ins Gasthaus – immer offen

Die acht Stammtisch-Mitglieder erinnern sich mit einem weinenden und einem lachenden Auge an die Linde, die im Volksmund liebevoll "Ponderosa" genannt wurde. Die Rosa, das war die alte Wirtin, die Mutter von Ingrid Wöhrl. Die Türe ins Gasthaus war immer unverschlossen. Die Rosa wohnte ja oben drüber. An Wochenenden und am ersten Maifeiertag pilgerten die Gäste zu Fuß, sternförmig aus den umliegenden Dörfern zur Ponderosa, bevölkerten den Biergarten ebenso wie die Wirtsstube.

"Wichtig war, dass sich die Leute wohl gefühlt haben, dass sie gesagt haben: Schee war´s, wir kommen wieder."

Ingrid Wöhrl, ehemalige Wirtin

Und sie kamen immer wieder. Ganze Generationen saßen in der Linde Seite an Seite. Viele hatten nur ein Bier oder eine Cola vor sich stehen. Das war kein Problem für die Wirte. Denn sie hatten gegenüber anderen Gaststätten einen großen Vorteil.

"Wir haben keine Miete, keine Pacht zahlen müssen. Die Tische, die Gläser, die Theke – das war alles Eigentum. Da tut man sich als Wirt leichter, wenn auch nur mal zwei oder fünf Mann sitzen. Wenn man Miete oder Pacht zahlen müsste, dann, muss ich sagen, hätten wir zu machen müssen."

Ingrid Wöhrl, ehemalige Wirtin

Zu alt zum Weitermachen

Das Aus kommt dann im Jahr 2015 mit dem Tod der alten Wirtin Rosa. Auf sie lief auch die Konzession. Die Wöhrls sind zu diesem Zeitpunkt selbst schon über 60 und fühlen sich zu alt zum Weitermachen. Die Linde schließt. Zurück bleiben, wie an vielen anderen Orten in Bayern, verwaiste Gäste.

Wirtshauskultur: Herzlichkeit und Einfallsreichtum der Wirte

Mit jedem Wirtshaus schließt ein Heimathafen, stirbt ein Stück Tradition. Wirtshauskultur ist auch eine Haltung. Die Atmosphäre, der Spirit einer Gaststätte hängt nicht zusammen mit dem Design ihrer Lampen oder der Holzart ihrer Tische. Sie lebt und überlebt wegen Menschen. Es geht um die Herzlichkeit und den Einfallsreichtum der Wirte. Um Treue und Zahlungsbereitschaft der Gäste. Um Unterstützungsangebote der Regierung. Um das Wirtshaussterben zu verhindern, müssen viele gemeinsam anpacken.


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