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Buchtipp Tommie Goerz – "Im Tal"

Tommie Goerz hat seit 2010 fast jedes Jahr ein, manchmal gar zwei Bücher veröffentlicht. Einige seiner Krimis sind preisgekrönt. Sein neuestes Buch heißt "Im Tal". Es ist spannend wie ein Krimi, kommt aber ganz ohne Kommissar aus.

Von: Susanne Roßbach

Stand: 07.08.2023

Cover von Buch "Im Tal" von Tommie Goerz | Bild: BR / Julia Hofmann

Es klingt so idyllisch. Irgendwo im Fränkischen stehen zwei kleine Höfe am Waldrand oberhalb des Dorfes. "Im Tal" heißt der Flecken widersinnigerweise. Ein kleiner Bach schlängelt sich durch die Wiese. Doch es wird schnell klar: Das ist kein Idyll. Der eine Hof ist längst verfallen. Im anderen Hof liegt ein Toter. Es ist Toni Rosser. Er ist 71 Jahre alt geworden.

"Die Umstände seines Todes scheinen klar, im Totenschein vermerkt der Arzt 'Herzstillstand', zu den Umstehenden sagt er 'Altersschwäche, Unterernährung, Verwahrlosungszustand' und zuckt dazu mit den Schultern. Ihm geht es kaum anders als den Übrigen: Im Grunde ist man froh, dass man ihn endlich los ist, es sagt nur keiner. Er war – na ja."

Auszug aus 'Im Tal' von Tommie Goerz

Info und Bewertung:

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

"Im Tal" von Tommie Goerz ist im ars vivendi-Verlag erschienen. Das Buch umfasst 232 Seiten und kostet 22 Euro.

Na ja, wie war er denn? Der kleine Toni wächst mit einem gewalttätigen Vater in der Einsamkeit auf. Es ist ein karges, kaltes, freudloses Leben im Tal und wenn es so scheint, als könnte es schlimmer nicht kommen, kommt es schlimmer. Toni erlebt den Ersten Weltkrieg und den Zweiten. Er arbeitet hart, auf dem Hof, als Metzger und später als Flößer. Doch er kommt immer wieder zurück ins Tal. Die Erinnerungen an seine Kindheit, und vor allem an den brutalen Vater, verfolgen ihn ein Leben lang. Allein schon, weil er ihm äußerlich immer ähnlicher wird. So karg wie das Leben der Hauptfigur, so ist auch die Sprache, die Tommie Goerz gewählt hat, um davon zu erzählen.

"Ich wollte einfach mal etwas schreiben, wo man das Gefühl hat, die Sprache lässt einen nicht los. Die Sprache bindet einen. Und ich denke auch, das ist die einzige Art Sprache, die man wählen kann, um so eine Geschichte zu erzählen. Die muss eben ganz schwer sein, die muss relativ klar sein. Es sind sehr einfache Worte zu einem sehr einfachen Menschen und einem letztlich sehr einfachen, aber sehr schweren, vorgeprägten, ausweglosen Leben."

Tommie Goerz, Autor

Das Buch entfaltet einen starken Sog

Was Goerz geplant hat, ist ihm gelungen. Sein Buch entwickelt einen starken Sog und am besten liest man es in einem Rutsch durch. Es entwickelt sich ein Mitgefühl für die gequälte Hauptfigur. Toni empfindet lange nur dann sowas wie Glück, wenn er bei den Tieren ist, alltägliche Arbeiten verrichtet, auf dem Hof zu tun hat. Dann verliebt er sich in Maria, himmelt sie jahrelang an, stottert herum, wenn er sie trifft. Derweil bringt er seinen Hof auf Vordermann. Alles soll schön sein für Maria, für später, wenn er sich getraut hat, es ihr zu sagen. Doch dann eröffnet Marias Mutter Marga ihm ein Geheimnis und Toni ist entsetzt.

"Es rauscht in Tonis Kopf. Er hört, was Marga sagt, versteht es auch, doch kommt nichts an. Und trotzdem weiß er ganz genau, was ist. Glasklar stehen Margas Worte da, kristallklar, messerscharf, eiskalt. Jedes einzelne wie ein Messerstich mitten ins Herz. Maria. (…) Seine Welt liegt ihm in Trümmern wie viele Dörfer der Franzosen damals im Krieg. Zerbombt, zerschossen, rauchende Fassaden, leere Fensterhöhlen, alles unbewohnbar und kaputt. Das Rauschen unter seiner Schädeldecke wird immer heftiger und lauter, immer stärker. (…) Ein fürchterlicher Schrei erfüllt die Nacht im Tal."

Auszug aus 'Im Tal' von Tommie Goerz

Tommie Goerz: Hüttenwirt, Wahlkampfmanager, Dozent, Rentner

Tommie Goerz hat lange in der Werbebranche gearbeitet. Er weiß, wie man Cliffhanger baut und Spannung erzeugt, durch Andeutungen, durch Halbsätze, durch Fragen, die sich durch das ganze Buch ziehen. Was ist mit Tonis Mutter geschehen? Ist Toni denn nun tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben? Oder hat ihn seine Vergangenheit eingeholt? Die Zeit im Krieg? Tommie Goerz hat für dieses Buch viel recherchiert. Die Kriegsbeschreibungen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sind authentische Berichte von ehemaligen Soldaten. Wie Flößer früher gearbeitet haben, weiß er aus dem Flößermuseum in Unterrodach. Die Arbeit auf einem Hof hat er selbst kennengelernt.

"Ich war zu Beginn der Corona-Zeit sechs Wochen lang auf einer Alpe im Piemont, um da – ich bin jetzt Rentner, jetzt kann ich´s, ich kann mich noch halbwegs bewegen – einfach mal den Umgang mit Tieren und das Käsen zu lernen. Und das ist so ein Tagesablauf, der beginnt früh um fünf und endet abends um elf, mit zweimal am Tag 35 Kühe melken, die Milch verarbeiten, Weidezäune abstecken, umstecken, sich um die Tiere kümmern. Aber: Abseits von allem, wunderschön, und das muss man mögen."

Tommie Goerz, Autor

Tommie Goerz hat auch schon als Hüttenwirt im Tessin gearbeitet, war der Wahlkampfmanager des ehemaligen Nürnberger Oberbürgermeisters Ulrich Maly und Lehrbeauftragter für Text und Konzeption an der Ohm-Hochschule in Nürnberg. Er ist gerne unter Menschen. Er beobachtet sie und hört ihnen genau zu.

"Oft ist es so, dass ich mit Freunden irgendwo im Wirtshaus sitze und es wird etwas gesagt und ich schreib das dann auf und die sagen 'Was schreibst denn schon wieder?' Denen ist das dann gar nicht aufgefallen. Ganz banale Sätze, die plötzlich urkomisch sind, oder die typisch sind für bestimmte Situationen, wo man mit wenigen Worten ganz viel sagt. Ja, für sowas bin ich sensibilisiert."

Tommie Goerz, Autor

Es ist also Einiges dem Leben einfach abgelauscht?

"Ja, sicherlich. Mir geht es so, wenn ich Bücher schreibe. Ich kann keine Geschichten erfinden. Alles ist irgendwo geerdet. Natürlich wird es dann überhöht und verfremdet, und das ist die künstlerische Freiheit, aber es ist eigentlich alles aus dem Leben gegriffen."

Tommie Goerz, Autor


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