Auf dem rechten Auge hellwach Über dem Zenit: Der Neonazi Karl Richter
Die Zutaten extrem rechter Ideologie sind stets die selben: Rassismus, Gewalt, Sehnsucht nach einem starken Führer, Hass auf alles, was nicht ins eigene Weltbild passt. Doch das Gewand, in dem diese Ideologie daherkommt, wandelt sich ständig. Deshalb gilt: Hellwach sein auf dem rechten Auge.
Von: Thies Marsen
Die bayerische NPD rühmte sich einst, der stärkste Landesverband der Neonazipartei zu sein, mit über 1.000 Mitgliedern. Der einstige Chef der Bundespartei Udo Voigt – auch er in Bayern wohnhaft – verkündete noch vor wenigen Jahren nach den NPD-Wahlerfolgen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern großspurig, man werde nun bald das Maximilianeum erobern und in den bayerischen Landtag einziehen. Das ist lange her, inzwischen ist der Zustand der NPD im Freistaat ebenso desolat wie auf Bundesebene.
Einst der Star der rechten Szene
Der Niedergang der bayerischen NPD ist eng verknüpft mit dem Namen Karl Richter. Der ist in München gerade wiedergewählt worden, als Stadtrat der neonazistischen Bürgerinitiative Ausländerstopp, einer Tarnliste der NPD. Das ist aber auch schon der einzige Erfolg, den Karl Richter derzeit vorweisen kann. Und auch der kam nur zustande, weil die Wahlbeteiligung in München derart niedrig war, dass 0,7 Prozent der Stimmen für ein Mandat ausreichten. Dabei war Karl Richter noch vor sechs Jahren der neue Star der NPD. Damals wurde er zum ersten Mal in den Münchner Stadtrat gewählt und Parteichef Voigt wurde nicht müde, Richter für seinen Einzug ins Rathaus der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" öffentlich zu loben. Gleichzeitig unterhielt Richter glänzende Beziehungen zur militanten Kameradschaftsszene, in seinem Umfeld tummelten sich verurteilte Schläger wie Philipp Hasselbach und Norman Bordin oder auch gerade aus der Haft entlassene Rechtsterroristen wie Karl-Heinz Statzberger. Statzberger hatte gemeinsam mit Martin Wiese einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums in München geplant.
Steiler Aufstieg - steiger Niedergang
Karl Richter fühlte sich derart unangreifbar, dass er bei seinem Amtseid den Arm zum Hitler-Gruß hob – ausgerechnet im Alten Münchner Rathaussaal, wo im November 1938 Goebbels den Befehl zur Reichspogromnacht erteilte, der Auftakt zu Plünderung und Mord an Juden im ganzen Deutschen Reich. Richter wurde dafür zu einer Geldstrafe verurteilt. Seinen Plan, den militanten Neonazi Norman Bordin als Mitarbeiter einzustellen, vereitelten die anderen Rathausfraktionen per Änderung der Geschäftsordnung, wonach Stadtratsmitarbeiter keine erheblichen Vorstrafen aufweisen dürfen. Seiner Parteikarriere haben diese Rückschläge indes lange nicht geschadet. Richter wurde Chefredakteur der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“, stieg in den Bundesvorstand und zum bayerischen Landeschef der National"demokraten" auf und wollte eigentlich bei der kommenden Europawahl für die NPD bis ins Europäische Parlament schaffen. Doch bei der Aufstellungsversammlung Anfang des Jahres war sein Stern schon im Sinken begriffen, seinen Job als Chef der Parteizeitung hatte er da schon verloren. Zudem war die ganze Partei längst verwickelt in einen Machtkampf, der buchstäblich mit allen Mitteln geführt wurde und immer noch wird.
Eine Partei demontiert sich selbst
Erstes Opfer war der Chef der Bundes-NPD, Holger Apfel, der selbst einst durch einen Putsch gegen den langjährige Vorsitzenden Udo Voigt an die Macht gekommen war. Sein Konzept der "seriösen Radikalität", das der NPD einen bürgerlichen Anstrich verpassen sollte, war ohnehin längst gescheitert. Mithilfe von Gerüchten über seine angebliche Homosexualität wurde er schließlich von der Parteispitze verjagt und durch den offen neonazistischen Udo Pastörs aus Mecklenburg-Vorpommern ersetzt. Doch dessen Machtbasis ist alles andere als gesichert: Pastörs wollte Spitzenkandidat für die Europawahl werden, unterlag aber ausgerechnet dem wieder aus der Versenkung auferstandenen Udo Voigt. Auch Karl Richters Versuch, den zweiten Listenplatz zu erobern, scheiterte kläglich. Wie es mit der Partei weiter geht, ist derzeit mehr als fraglich. Zumal inzwischen auch der langjährige Geschäftsführer, Peter Marx, aus dem Amt gejagt worden ist. Marx ist schon lange umstritten, nun wurde ihm die sogenannte "Peniskuchenaffäre" zum Verhängnis: Im Internet kursierten Partyfotos von Marx, auf denen er mit einem Gebäck in Penisform posierte – und zudem mit einer einstigen Pornodarstellerin, deren Gesinnung zwar unzweifelhaft braun ist, die in einigen ihrer Filmchen aber auch mit Menschen brauner Hautfarbe korpulierte, und das geht in der Neonazi-Szene nun einmal gar nicht. Die Bundes-NPD scheint sich also quasi in Auflösung zu befinden, und gleiches gilt auch für den bayerischen Landesverband. Die Kameradschaftsszene, die der NPD bislang als wichtiges Unterstützerumfeld diente, ging schon im Vorfeld der Kommunalwahlen auf Distanz zur NPD-Tarnliste BIA, in Nürnberg ebenso wie in München. Karl Richter musste deshalb seine ohnehin spärlichen Wahlkampfauftritte meist alleine absolvieren. Und nun scheint er sich auch noch von der NPD abzuwenden und zur Konkurrenz überzulaufen.
Richter geht jetzt fremd
Wie das aida-Archiv berichtet, versammelte sich ein Dutzend Neonazis ausgerechnet am 20. April, dem von Rechtsextremen immer noch gerne gefeierten Hitler-Geburtstag, im Münchner Osten, um einen Kreisverband der Partei "Die Rechte" zu gründen. „Die Rechte“ wurde vor einiger Zeit von Neonazi-Urgestein Christian Worch ins Leben gerufen und ist derzeit vor allem in Nordrhein-Westfalen aktiv. Die Splitterpartei versteht sich ausdrücklich als radikalere Konkurrenz zur NPD und bietet sich zudem als Auffangbecken an, sollte die NPD tatsächlich verboten werden. Und ausgerechnet bei der Gründungsversammlung dieser Konkurrenzpartei tauchte nun NPD-Funktionär Karl Richter auf, hielt sogar eine Ansprache. Ob er angesichts dessen noch lange NPD-Bundesvorstand und bayerischer Landeschef bleiben wird, dürfte spannend werden. Der einstige Star der NPD ist längst zur Knallerbse geschrumpft.