Zwischen Naturgefahr, Verbauung und Bergidylle Schnalstal-Porträt 2024
Von Ötzi bis zur neuen Gletscherseilbahn reicht die Geschichte des Schnalstals, des ausgeprägtesten Tals, das sich vom Vinschgau nach Norden hin zum Ötztaler Hauptkamm zieht. Ein Streifzug zeigt die kontrastreiche Geschichte des Tals - und ganz aktuell, wie gefährlich hier Felsstürze werden können.
Der Bürgermeister vom Schnalstal, Karl Josef Rainer, hat turbulente Wochen hinter sich, seit zwei Felsstürze aus den steilen Bergflanken ins Tal gekracht sind. Einer der Felsbrocken, groß wie ein Auto, landete direkt auf der Straße, die seither nur noch tagsüber befahren werden darf. Geologen hatten unverzüglich die Abbruchstellen am Berg untersucht und herausgefunden, dass weitere Felsbrocken sozusagen auf der „Abschussrampe“ liegen. Die brüchigen Zonen werden seither mit Radar überwacht und bei Hangbewegungen die Ampeln an der Straße sofort auf Rot geschaltet.
Berge in Bewegung
Ganz oben, kurz vor dem Talschluss in Kurzras, wird zurzeit ein massiver Muren- und Lawinenschutzwall gebaut. Das zeigt, wie sehr die Berge in Bewegung geraten sind. Bilden weiter unten die Ablagerungen der eiszeitlichen Gletscher den Gefahrenherd, so ist es hier oben der Permafrost, der in den steilen Bergflanken schmilzt, wodurch der Fels seinen natürlichen Kitt verliert. Der Schutzwall ist nicht die einzige Baustelle, auch die Talstation der kürzlich erneuerten Gletscherseilbahn wird neu gebaut, mit einer Tiefgarage und Rolltreppen für den größeren Komfort der Skifahrer.
Bergbauernhöfe an speziellen Plätzen
Umso bemerkenswerter angesichts der Naturgefahren sind die uralten Schnalstaler Bergbauernhöfe, die zum Teil noch aus dem Mittelalter stammen und so klug hinter Geländekuppen oder Felsbuckeln gebaut wurden, dass sie viele Jahrhunderte allen Naturereignissen getrotzt haben. Auf dem Innerkofl-Hof hat Karl Josef Rainer als Bub die Sommermonate verbracht. Damals war es üblich, die Kinder zum Mithelfen zu den Bauern zu schicken, damit sie zuhause nicht durchgefüttert werden mussten.
Denkmal für den Seilbahnpionier
Später wurde der heutige Bürgermeister Grundschullehrer, seit 2010 steht er dem Schnalstal als Bürgermeister vor und versucht, die gewachsene Kulturlandschaft zu erhalten, aber auch Investitionen zu fördern. Mit Jahrgang 1953 umfasst die Lebenszeit des Bürgermeisters die Entwicklungsgeschichte des Schnalstals von einem Bergbauerntal zur Skitourismus-Destination. 1975 verwandelte der Eigentümer des Kurz-Hofs in Kurzras das Ensemble aus Bauernhof, Ross- und Kuhställen in ein Megaresort mit Gletscherskigebiet, das als Ganzjahres-Skigebiet für den Sommerskilauf gestartet war. Diese Zeiten aber sind schon lang vorbei. Vom Hochjochferner oben auf 2800 Metern, sind nur noch letzte Reste übrig. Trotzdem baut ein großes Südtiroler Unternehmen, dem das Skigebiet gehört, es weiter aus, weil die Höhenlage bis auf 3200 Meter in Zeiten des Klimawandels als zukunftssicher gilt.
Neben dem Neubau der Seilbahn und einer Talabfahrt gibt es Pläne, den großen Hotelkomplex um noch einmal 600 Betten zu erweitern. Wie nah die archaischen und modernen Welten hier zusammenliegen, zeigt der Name der neuen Piste: „Transhumanz“. Die Tiere, die hier den jahrtausendealten Schafübertrieb absolvieren, der auch ins immaterielle Kulturerbe der Menschheit aufgenommen wurde, laufen heute streckenweise auf der planierten Pistentrasse.
Die buchstäbliche „Schöne Aussicht“
Mittendrin zwischen Skizirkus und Ötztaler Gletschergipfeln steht die „Bellavista“, die Schöne-Aussicht-Hütte auf ihrem Logenplatz. 1896 als einfaches Steinhaus erbaut, ist sie heute ein Ensemble mit Sauna und Meditationshütte. In den vergangenen 40 Jahren hat Paul Grüner der Schönen Aussicht ihr heutiges Gesicht gegeben. Alpine Atmosphäre mit luxuriösen Zutaten lautet nun die Devise, und so kommt ein gemischtes Publikum von Weißkugel-Aspiranten bis zu den buchstäblichen Warmduschern, für die der Saunagang an der Gletschergrenze den eigentlichen Höhepunkt darstellt.
Die leicht erreichbaren Dreitausender in Hüttennähe machen die Schöne Aussicht zu einem guten Ziel für diejenigen, die einmal reinschmecken wollen ins Hochtourengehen. Die Tour vom Talschluss des Schnalstals hinauf auf die Gipfel gleicht einem Streifzug durch die Geschichte der Alpen – mit großartigen, zum Teil aber auch sehr widersprüchlichen Eindrücken, die zugleich nachdenklich machen über die Art und Weise wie wir heute mit den Alpen umgehen.
Eine Tour vom Talschluss bis auf die Gipfel des Ötztaler Hauptkamms zeigt Bergauf Bergab am morgigen Sonntag (7.7.) um 18:45 im BR-Fernsehen und jetzt schon in der ARD-Mediathek.