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Höhenbergsteigen im Winter in eisiger Kälte Das Buch „Winter 8.000“

Alle Achttausender sind bestiegen – längst auch ohne Sauerstoff, längst auf schwersten Routen. Doch der Schein, dass die großen Ziele so langsam ausgehen, der trügt. Denn die vermutlich härteste Disziplin des Bergsteigens entwickelt sich unaufhaltsam weiter: das Höhenbergsteigen im Winter, eine Disziplin für nur sehr wenige Alpinisten. Der Schweizer AS-Verlag hat nun ein wirklich lesenswertes Buch herausgebracht, das die Entwicklung jener härtesten Disziplin im Höhenbergsteigen nachzeichnet: „Winter 8.000 – in eisiger Kälte auf den höchsten Bergen der Welt“.

Von: Kilian Neuwert

Stand: 19.02.2022 | Archiv

Höhenbergsteigen im Winter in eisiger Kälte | Bild: AS-Verlag

„Hört ihr uns? Hört ihr uns? Hört ihr uns? Kommen.- Negativ. Bitte wiederholen. Wiederholen. - Ratet mal, wo wir sind! - Wo seid ihr? Kommen. - Auf dem Gipfel. Auf dem Gipfel.“ Dieser Funkspruch vom 17. Februar 1980 dokumentiert Alpingeschichte, denn der Gipfel, von dem er abgesetzt wurde, war nicht irgendeiner: Gesendet wurde dieser Funkspruch vom Gipfel des Mount Everest, 8.848 Meter hoch und damit der höchste Berg der Welt.

Krzysztof Wielicki auf dem Gipfel des Mount Everest, 17. Februar 1980 – die erste Winterbesteigung eines Achttausenders.

Am 17. Februar 1980 standen erstmals im Winter Menschen auf dem Dach der Welt und meldeten ihren Erfolg per Funk ins Basislager: Es waren die Polen Krzysztof Wielicki und Leszek Cichy. Ihre Everest-Besteigung im Winter war gleichsam die erste Winterbesteigung eines Achttausenders überhaupt. Inzwischen sind alle 14 auch im Winter bestiegen worden – der letzte war der K2. Am 16. Januar 2021 standen zehn nepalesische Bergsteiger auf dem Gipfel des zweithöchsten Achttausenders -  auch eine historische Leistung in vielfacher Hinsicht.

Élisabeth Revol am Nanga Parbat im Winter 2012/13 während des Versuchs an der unbegangenen Mummery-Rippe mit dem Italiener Daniele Nardi.

Der Geschichte des Winterbergsteigens hat der AS Verlag nun ein Buch gewidmet. „Winter 8.000: In eisiger Kälte auf den höchsten Bergen der Welt“ zeichnet das jahrzehntelange Ringen um diese Gipfel nach. Geschrieben hat es die kanadische Alpinautorin Bernadette McDonald, übersetzt wurde es vom Autor, Filmemacher und Himalaya-Kenner Jochen Hemmleb. Das Buch erzählt in 14 Kapiteln vorrangig die Geschichte der erfolgreichen Winter-Erstbesteigungen, und zwar in chronologischer Reihenfolge. Fast 200 Expeditionen mit über 1500 Bergsteigern hatten sich über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten im Winter an den höchsten Bergen der Welt versucht. Die meisten von ihnen – das führen die Zahlen vor Augen – scheiterten bei ihren Besteigungsversuchen, und viele ließen dabei auch ihr Leben.

Winterbergsteigen ist die wohl härteste Disziplin des Höhenbergsteigens. Das führt das Buch eindrücklich vor Augen. Die Autorin hat Expeditionsberichte aufgearbeitet und die entscheidenden Bergsteiger interviewt. Ihre Schilderungen machen klar, wo die Gefahren und die Risiken in diesen Höhen im Winter lauern – nur einige Zitate aus dem Buch:

„Als sie höher kamen, traf sie der Jetstream mit voller Wucht und warf sie aus dem Gleichgewicht.“. „Das Thermometer zeigte -40 ° Celsius. Im Inneren des Zelts.“

„Über den Zelten ragten die Lhotseflanke empor, ein durchgängiges Schild aus glashartem Eis. Das Team hatte auf Schnee gehofft, in den sie leicht Stufen treten konnten. Doch die Winterstürme hatten die Flanke bis hinunter auf das Eis blankgefegt.“

„Die Temperaturen im Winter auf 8000 Metern überstiegen das Vorstellungsvermögen. Ungeschützte Haut gefriert in Minuten. Finger und Zehen sterben ab. Metall bricht.“

„Winterbergsteigen an den höchsten Himalaya-Gipfeln ist die Kunst des Leidens.“

Denis Urubko (l.) und Adam Bielecki (r.) mit Élisabeth Revol nach ihrer geglückten Rettung am Nanga Parbat, 28. Januar 2018.

Zu den Meistern des Leidens oder zu Meistern dieser Disziplin wurden polnische Bergsteiger, heute auch bekannt als „Eiskrieger“. Auf ihr Konto gehen zehn der Winter-Erstbesteigungen an den 14 Achttausendern. Ihr Tun war hochriskant. Anfangs von Nationalstolz getrieben, dann von der Jagd nach Rekorden, traten sie allen Widrigkeiten entgegen, beschafften Ausrüstung, Papiere, Geld und waren letztlich immer wieder erfolgreich. Das Buch erzählt die Geschichten dieser herausragenden Alpinisten, ohne sie zu glorifizieren, denn manche Expedition endete tödlich, die Leidtragenden sind die Angehörigen.

Auch die Erfolge des italienischen Ausnahme-Höhenbergsteigers Simone Moro werden im Buch geschildert. Er konnte an die Leistungen der „Eiskrieger“ anknüpfen. 2016 gelang ihm die Winter-Erstbesteigung des Nanga Parbat – nach einer dramatischen Expedition, deren Geschichte Bernadette McDonald aufgearbeitet hat. Genau wie sie lebendige Beschreibungen der Männer und Frauen präsentiert, die sich der Härte dieser Expeditionen aussetzen. Im Kern kann ihr Buch wohl auch verstanden werden als eine wunderbare Geschichte über Leidenschaft und über den schmalen Grat auf dem diejenigen wandeln, die für diese strengste Form des Bergsteigens brennen.

Informationen zum Buch:

„Winter 8.000: In eisiger Kälte auf den höchsten Bergen der Welt“ von Bernadette McDonald. Übersetzt von Jochen Hemmleb. AS-Verlag. 320 Seiten. 37 Euro.


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