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Kristalle aus der Konserve Wie Schneekanonen das Verhältnis zur Natur beeinflussen

Jetzt ereignet sich doch noch der Gau für die alpinen Wintersportorte, denn nichts ist schlimmer für Skipisten als Regen bis hoch hinauf. Da geht der Schnee weg wie im März. Dabei hatte der Winterbeginn für die Seilbahnen- und Pistenbetreiber recht gut ausgesehen: Nach dem warmen Herbst, in dem sich Kitzbühel mit seinem Saisonstart Mitte Oktober ordentlich verkalkuliert hatte, gab es vor gut einer Woche eine längere Kälteperiode - ideal zum Beschneien.

Von: Georg Bayerle

Stand: 22.12.2018 | Archiv

Wie Schneekanonen das Verhältnis zur Natur beeinflussen | Bild: BR; Georg Bayerle

Heute ist der Kunstschnee flächendeckend und das alpine Skifahren von einem Natursport zu einer Industrie geworden.

Mürbe knirscht der Schnee in der Hand: feine Kristalle, wenig Luft, gut befahrbar. Das ist die Welt von Michael Manhart. In Lech am Arlberg wurde der heute 76-Jährige aus, der aus einer Seilbahnerfamilie stammt, zu einem der Pioniere des Kunstschnees in den Alpen. Im Idealfall wirkt die Illusion perfekt und die Skifahrer merken gar keinen Unterschied. Als Michael Manhart in den 1970er-Jahren nach Aufenthalten in Nordamerika mit den ersten Versuchen startete, war er seiner Zeit voraus. Inzwischen wird weltweit beschneit - im Interesse des Skibetriebs und der Starttermine in die Wintersaison.

Düsen, Nukleatoren und Propeller

Die an sich simple Methode, durch Druckluft einen Schneekern zu erzeugen, um den herum dann das Wasser zu einem Eiskristall gefriert, ist heute der Standard auf nahezu allen Pisten in den Alpen. 7000 Schneekanonen verlassen pro Jahr die Hallen des Weltmarktführers Technoalpin in Bozen. Die leistungsstärkste Maschine kostet rund 40.000 Euro und produziert 10 Lastwagenladungen Schnee in 24 Stunden. Marketingleiterin Patrizia Pircher ist längst mit der ganzen Welt vertraut, denn sogar in Südafrika, der Mongolei und Sibirien wird beschneit – in Sibirien, weil es dort oft so kalt wird, dass der Schnee zu trocken ist, um ihn bearbeiten zu können.

Komplettbeschneiung am Rettenbachferner

Allein in Österreich wurden in den vergangenen Jahren über 100 Millionen Euro pro Jahr nur in den Ausbau der Beschneiung investiert. Die größte Propelleranlage in Saalbach-Hinterglemm hat über 900 Propeller, in Ischgl sogar über 1000. Das sind die Daten der totalen Industrialisierung des Pistenbetriebs. Im Milliardengeschäft Wintertourismus darf der Schnee nicht dem Zufall überlassen bleiben. Das bedeutet: Kunstschnee statt Naturschnee und die Schneekanone als Signatur einer Epochenwende – wobei, Pardon, es heißt ja nicht Kunstschnee, sondern Maschinenschnee und nicht Schneekanone, sondern Beschneiungsgerät, um emotionalen Druck wegzunehmen. Der hohe Energie- und Wasserverbrauch der künstlichen Schneeerzeugung hat von Anfang an die Natur- und Umweltschützer auf den Plan gerufen. Im Grunde handelt es sich um ein Paradoxon, denn am Ende befeuert die Pistenindustrie durch den hohen Energieverbrauch den Klimawandel, den sie bekämpfen will. Und nicht nur bei vielen Skifahrern bleibt ein zwiespältiges Grundgefühl darüber, dass der Natursport Skifahren ohne die industrielle Unterstützung nicht mehr möglich ist und sich von seinen natürlichen Grundlagen entkoppelt hat.

Speichersee und Beschneiungsanlage im Stubai

Doch der Zug der Beschneiung hat längst rasante Fahrt aufgenommen, erklärt Patrizia Pircher, die Marketingleiterin von Technoalpin, und ermöglicht viele Anwendungs-Möglichkeiten wie zum Beispiel auch die Indoor-Beschneiung von der Skihalle bis zum Wellnessbereich und hin zu Shopping-Malls, wo Winterjacken in künstlichem Schnee-Ambiente anprobiert werden können. Das wäre dann die Realität 4.0: der durch Indoor-Schneekanonen hergestellte künstliche Winter, während uns der echte Winter im Klimawandel abhandenkommt.

Wie die Schneekanone unser Verhältnis zur Natur verändert hat, ist Thema in der Radiorevue am Zweiten Weihnachtsfeiertag um 11:05 und um 18:05 hier in Bayern 2.


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mark, Freitag, 04.Januar 2019, 10:43 Uhr

2. Wenn Dummheit sich mit Gier paart

Kann Dietrich Schwägerl nur zustimmen. Das ist genau der Punkt. Ursache ist aus meiner Sicht der noch immer sehr stark begrenzte Horizont vieler Verantwortlicher, denen es ausschließlich um wirtschaftliches Wachstum mit Hilfe alter Prozesse geht, weil es offensichtlich zu schwer ist, sich mit Kreativität um neue Lösungen, Ideen und Wege zu bemühen. Es muss das Alte so lange ausgelutscht werden, bis gar nichts mehr geht - in diesem Sinne hier - wir entweder keine keine Luft oder kein Wasser (dann auch keine Nahrung) mehr haben oder die Temperaturen nicht mehr aushalten. Ich bin leidenschaftlicher Skifahrer, aber wenn keinSchnee liegt, dann fahre ich nicht und ich sehe auch keinen Sinn darin, der Freude des Skifahrens künstlich die Basis zu legen. Und wenn ich allein die Autoschlangen an den Wochenenden sehe ... Aber da stecken sehr viele wirtschaftliche Interessen (und psychoneurotische Belange) dahinter, das ist nicht nur der Tourismus. Die Skiindustrie, die Bekleidungsindustrie, etc

Dietrich Schwägerl, Samstag, 22.Dezember 2018, 10:09 Uhr

1. Musterbeispiel für Schizophrenie

Ein hervorragend guter Beitrag über diesen selbstmörderischen Unfug! Man verschafft sich Krücken gegen den Schneemangel und heizt gerade dadurch dessen Ursache, den Klimawandel, noch weiter an. Ein Musterbeispiel für Schizophrenie.
Mittlerweile haben sicher sehr viele die zu Herzen gehende Botschaft Alexander Gersts gesehen oder gelesen - und was macht eine große Mehrheit daraus? Wie willenlose, falsch programmierte Roboter treiben die Leute den Unfug weiter, "business as usual". Bei hinreichender Vernunft würden sie die Schneekanonen boykottieren, bis die mangels Kundschaft stillgelegt werden müssen.
Auf der Titanic haben die Menschen vor dem Aufprall auf den Eisberg getanzt. Zwei Drittel von ihnen sind jämmerlich ersoffen. Aber die hatten vorher keine Information darüber. Heute können es all wissen.

  • Antwort von alberto, Montag, 24.Dezember, 16:08 Uhr

    Beispiel für was?
    Passt doch, fragen sie doch einmal in ihrem Umfeld nach wer mit weniger auch zufrieden ist!