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Waale als immaterielles Kulturerbe der Menschheit „Wiesnwassern“ im Vinschgau

Wasser auf die Wiesen: Im Vinschgau geht es dabei nicht um Abkühlung, sondern um die Bewässerung von Wiesen, die den Menschen mit ihrem Vieh über Jahrhunderte das Überleben gesichert hat. Im Vinschgau wurde das so genannte „Wiesnwassern“ jetzt als immaterielles Kulturerbe der Menschheit ausgezeichnet.

Von: Georg Bayerle

Stand: 10.08.2024

Waale als immaterielles Kulturerbe der Menschheit | Bild: BR; Georg Bayerle

Klares Wasser rinnt durch einen in den Hang eingeschnittenen Kanal. Es stammt aus dem Haidersee unterhalb des Reschensees. Von dort wird das Wasser dem natürlichen Gefälle folgend in die Waale der Malser Heide geleitet, wo sich diese Kanäle verzweigen. Engelbert Partscheider stapft mit einer Hacke durch die blühenden Wiesen: Mit der Wiesenhaue öffnet und schließt er die Abflüsse. Er ist einer von drei Waalern und dafür zuständig, dass das Wasser jeden Tag auf andere Grundstücke geleitet wird.

Bewässerung nach genauer Regelung

Versetzen eines Damms

Mit Brettern und Rasenpolstern dichtet er einen alten Abfluss ab und hackt, ein gutes Stück weiter, eine neue Lücke in den Kanal, durch die jetzt das Wasser auf die nächste Wiese strömt. So geht es reihum: Rund 400 Hektar Wiesen werden auf der Malser Heide im Oberen Vinschgau bewässert. Vom Reschenpass herab führt die Straße in Kehren durch ausgedehnte Wiesenhänge. Was eiligen Reisenden aber oft entgeht, ist das ausgeklügelte Netz der Waale, das die Wiesen durchzieht. Viele Einheimische erinnern sich daran, wie sie als Kinder am unteren Ende der Wiesen stehen und melden mussten, wenn das Wasser ankam. Luis Deiner stand damals bis über den Kopf von Roggenhalmen zugedeckt mit einem Fähnchen in den Feldern, auf denen damals das Getreide für die berühmten Vinschger Paarln wuchs.

Praktikabel bis in die Gegenwart

Ein Netz kleiner Waale

Die Zeiten dieser Kinderarbeit sind längst vorbei; aber die Bauern vertrauen nach wie vor dieser nachhaltigen Technik, die schon seit dem Mittelalter funktioniert, ohne in der Natur Schaden anzurichten. Einst war das überlebenswichtig in der inneralpinen Trockenzone des Vinschgau, wo es so wenig regnet wie in Sizilien, das Wasser aber aus den Bergen kommt. Diese Quelle wird hier auch im Klimawandel nicht versiegen, sind sich die Einheimischen sicher.

Artenvielfalt auf den Wiesen

Lichtnelken

Ein paar Schritte weiter auf dem Waalweg, der den Kanälen folgt, beobachtet der Biologe Udo Thoma durch das Fernglas, wie ein Neuntöter mit seinem roten Rücken gerade ein Beutetier frisst. Der Würgevogel ist ein Beispiel für die Artenvielfalt, die es dank des „Wiesnwasserns“ gibt. Weil die Wiesen nur alle drei bis vier Wochen bewässert und zurückhaltend genutzt werden, sind sie ein Lebensraum für Wiesenbrüter. Nur zweimal im Jahr werden sie gemäht, so dass die Pflanzen aussamen können. Somit zeigen die traditionellen Bewässerungsformen ihren hohen kulturlandschaftlichen Wert und wurden von der UNESCO vor kurzem als immaterielles Kulturerbe der Menschheit ausgezeichnet.

UNESCO-Auszeichnung auch für fränkische Wässerwiesen

Ein Neuntöter vor der Linse

Auch die „Wässerwiesen“ rund um Nürnberg und Forchheim wurden jetzt von der UNESCO als Kulturerbe ausgezeichnet. Hier wird Wasser aus Wiesent, Regnitz und Rednitz ausgeleitet und aufgestaut, so dass es dann über die Wiesen rieselt - eine Technik, die ebenfalls schon seit dem Mittelalter praktiziert und heute noch von Landwirten mit viel Herzblut weitergeführt wird. Wie in Südtirol gibt es auch hier kleinere Wanderwege entlang der Bewässerung. Sie eignen sich bestens, um diese besondere Form der Kulturlandschaft kennenzulernen und sind genau das Richtige an heißen Sommertagen.


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