BR Fernsehen - Brettl-Spitzen

zum Audio Weiß Ferdl 04.02.1925 - Weiß Ferdl: Und unser Fähnelein ist weiß und blau


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Die Blütezeit der Volkssängerei

Stand: 26.10.2020 15:35 Uhr | Archiv

Historisches Stadtmodell von München. | Bild: Picture Alliance

Die Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts lockte Massen junger Leute vom Land in die Stadt. Sie siedelten sich in der Vorstadt an, wo sie unter beengten und teils elenden Verhältnissen lebten. Ihr Bedürfnis nach Ablenkung und Vergnügen war die Voraussetzung für das Entstehen der Volkssängerkultur. In die Wirtshäuser und Brettl-Bühnen gingen die Münchner, wenn sie sich für die Entbehrungen der ganzen Woche entschädigen wollten.

Vergnügen an allen Ecken

München, Schrannenplatz um 1835, historische Stadtansicht, Steindruck
aus dem 19. Jh.
Fotograf: Karl F. Schöfmann | Bild: picture alliance / imageBROKER

Die große Blütezeit der Volkssänger lag zwischen 1880 und 1920. In München gab es hunderte Wirtshäuser, in denen sie auftraten - darunter 47 große Bierhallen. Und das bei der halben Bevölkerungszahl im Vergleich zu heute!
Brettl-Bühnen waren damals DIE Vergnügungsstätten für's Volk. Im Programm wechselten sich Gesang, Einakter, kurzen Szenen und Solodarbietungen ab. Die Darbietungen tauschte man meist vierzehntägig. Für einen solchen Zeitraum wurden Volkssänger und deren Begleitung engagiert. Bei den Gesängen dominierte das Couplet, ein satirischer, zeit- und gesellschaftskritischer Sprechgesang in Strophenform mit einem kurzen Refrain, früher auch Kehrvers genannt. Man drückte in Couplets, Wut, Entsetzen und Freude aus. Angriffe auf Autoritäten waren allgegenwärtig. Volkssänger sangen spontane Strophen mit radikaler Kritik. Den Reichen und der Obrigkeit wurde mit Verachtung begegnet. Vor dem Fortschritt auf Kosten des kleinen Mannes wurde gewarnt. Die Volkssänger erfüllten somit auch eine wichtige soziale Funktion. Bis in die Zeit des ersten Weltkrieges zählten in München die Darbietungen der Volkssänger zur Massenunterhaltung. Sie waren ebenso beliebt wie heute die Fernseh- und Kinoprogramme.

Populäre Couplets und ihre Verbreitung

Troubadour-Figur an einem mittelalterlichen Haus in Rennes, Frankreich.
| Bild: picture alliance / Gilles Targat/Photo12 zum Artikel Kulturgeschichte Das Couplet

Das Couplet hat eine spannende Geschichte, die schon im Mittealter begann. [mehr]

Es waren aber nicht nur die Volkssänger, die zur Verbreitung beitrugen.  Das Couplet wurde zudem über die Dienstboten und Handwerker "transportiert". Diesbezüglich gab es einen regen Austausch innerhalb der Regionen und Städte. Auf diesem Weg hat sich das Couplet immer wieder verändert, denn es waren ja unterschiedliche "Volksstämme", die es verbreitet haben. Geändert haben sich dabei nicht nur Interpretationsform und Versmaß, sondern auch Dialekt und Melodie.

Berliner Schnauze

München Bayern, Innenansicht vom Hofbräuhaus, Blick in den Festsaal | Bild: Picture Alliance / arkivi

Zeitgleich entstand in Berlin die neue Form des städtischen Couplets. Bekanntester Vertreter sind Otto Reuter und die nicht minder beliebte Vortragskünstlerin Cläre Waldoff. Interessanterweise fand diese zumeist sehr süffisante, direkte und teilweise obszöne Coupletausprägung nie Eingang in München. In den Singspiel- und Bierhallen entwickelte sich erstmals eine Art Subkultur für das einfache Volk, die sich zu einem Massenphänomen entwickelte, ähnlich vielleicht dem Blues, Reggae oder auch dem Rock n Roll.

Der Stolz von der Au

Ganz besonders die Münchner Vorstädte waren fruchtbarer Boden für die neuen Münchner Typen, die in vielen Couplets besungen wurden. Als "Stolz von der Au" oder "Lucke und Kare", wurden sie zu regelrechten Gassenhauern, gleichzusetzen mit heutigen Schlagern. Für die bayerische Landeshauptstadt gehören Volkssänger zu den populärsten Aushängeschildern der Münchner Musikkultur überhaupt. Bekanntermaßen haben in dieser Zeit viele hundert Volkssänger erfolgreich agiert, doch sind nur wenige Dutzend davon mit gesicherten biographischen Daten greifbar. Absolute Stars waren damals zum Beispiel, "Papa" Geis, Alois Hönle, August Junker oder Anderl Welsch. Karl Valentin und der Weiß Ferdl folgen erst später. Alle hatten aber eins gemeinsam, sie standen fast allabendlich auf Münchner Bühnen, zum Beispiel im Oberpollinger (dem heutigen Kaufhaus), im Frankfurter Hof, Collosseum, Apollo, Monachia Brettl oder im Alten Simpl.

Krieg und Krise

München Bayern, Königliches Hofbräuhaus, Pferdegespann | Bild: Picture Alliance / arkivi

Kurz vor dem ersten Weltkrieg gab es rund 800 haupt- oder nebenberufliche VolkssängerInnen in München. Ab Mitte der 1920er Jahre blieb das Publikum in den Singspielhallen zunehmend aus. Neue Medien wie Radio und Kino zogen die Aufmerksamkeit auf sich. Das Interesse der Menschen wandte sich Unterhaltungsformen wie Kabarett oder Revuetheater zu. In der Nazizeit kamen politische Repressionen und Auftrittsverbote hinzu.
Nach dem zweiten Weltkrieg erwachte das Nachtleben in den Städten zwar wieder, aber die Volkssänger konnten nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Lediglich größere Bühnen wie das Apollo und das Platzl in München hielten sich. Bunte Abende wurden zur beliebtesten Unterhaltungsform sowohl auf der Bühne als auch im Radio und Fernsehen. Hier fand ein Teil der VolkssängerInnen sein Auskommen.

Kleine Leute, große Namen

Die meisten Volkssänger entstammten dem kleinbürgerlichen, handwerklichen Milieu. Aus dieser Szene gingen zur Blütezeit der Volkssängerkultur große Namen hervor, die heute noch in aller Munde sind, so etwa Liesl Karlstadt, Karl Valentin und Weiß Ferdl. Einige wenige Volkssänger wirkten noch bis in die 1960er Jahre; da gab es beispielsweise den Emil Vierlinger, die Bally Prell (Schönheitskönigin von Schneizlreuth), die Anni Reininger, die Seffi Braun, die Ratschkathln Ida Schumacher und Kathi Prechtl sowie den Roider Jackl. Danach war sie so gut wie verschwunden, die "satirisch-kabarettistische Volkslustbarkeit" in münchner Wirthäusern.

Berühmte Volkssänger

Roider Jackl beim Preissingen 1931 | Bild: privat zum Thema Roider Jackl Die Gstanzl, "die san von mir"

Er ist der ungeschlagene Meister der Derblecker. Seine Gstanzl sind eine Klasse für sich und bleiben unvergessen. Er war ein Mann, der die Musik und die Natur liebte - der Roider Jackl. [mehr]

Liesl Karlstadt und Karl Valentin | Bild: SZ Photo / Scherl zum Thema Karl Valentin und Liesl Karlstadt Zwei bayerische Komiker von Welt

Absurd, destruktiv, tragisch - die Komik von Karl Valentin und Liesl Karlstadt erschüttert Kategorien der Wirklichkeit und Lachmuskeln gleichermaßen. Die beiden Genies aus München sind längst Klassiker ihres Fachs. [mehr]


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