Leben mit Immundefekt Wenn das Immunsystem nicht funktioniert
Ein Leben ohne intaktes Immunsystem birgt viele Gefahren. Gesundheit! Reporter Fero Andersen begleitet eine Patientin, die seit ihrer Geburt mit einem Immundefekt lebt. Worauf muss sie achten und wie kann die Medizin Menschen wie ihr helfen?
Unser Immunsystem ist ein komplexes Netzwerk mit dem Ziel, Krankheitserreger zu bekämpfen. Aber was, wenn das System nicht funktioniert? Gesundheit! Reporter Fero Andersen trifft Corinna, eine junge Frau. Seit ihrer Geburt lebt sie mit einem schweren kombinierten Immundefekt, abgekürzt SCID: Sie kam ohne T- Zellen auf die Welt, und die B-Zellen waren nicht funktionsfähig. Entwickeln sich die T-Zellen nicht, haben Viren- und Pilzinfektionen freie Bahn. Außerdem führt das zu Problemen bdei der Bildung von Antikörpern. Die Folge: Erreger bleiben im Körper, richten Schaden an und das wichtige immunologische Gedächtnis kann nicht ausgebildet werden.
Wie arbeitet unser Immunsystem?
Lebensrettende Stammzell-Transplantation
Ohne den wichtigen Schutz ihres Immunsystems hatte Corinna zahlreiche Infekte in den ersten Lebensmonaten, die ihre Lunge stark geschädigt haben. Die Diagnose des schweren Immundefekts erfolgte für heutige Verhältnisse, sehr spät.
"Das kam wirklich erst nach einem halben Jahr. Und da war mein Körper einfach schon durch Krankheiten schwer angegriffen. Das war wirklich eine Diagnose im letzten Moment. Meine Eltern haben mich dann nach Ulm gebracht, in die Transplantationsklinik. Dort wurde ich dann sehr, sehr schnell transplantiert. Ich hätte wahrscheinlich nicht mehr lange gelebt, einfach, weil meine Kraftreserven nicht mehr ausgereicht haben."
Corinna, Patientin mit Immundefekt
T-Zellen, wichtiger Teil des Immunsystems, können nach einer Stammzellentransplantation gebildet werden. Weil aber die B-Zellen auch nach der Transplantation bei Corinna nicht funktionieren und sich dadurch keine Immunglobuline, also Antikörper bilden, muss sie sich die selbst spritzen. Gewonnen werden sie aus Blutplasma. Immunglobuline oder Antikörper sind die wichtigsten löslichen Bestandteile unseres Immunsystems. Die lebenswichtigen Eiweiße zirkulieren im Blut und helfen entscheidend im Kampf gegen Krankheiten, in dem sie Erreger für andere Zellen des Immunsystems kenntlich und angreifbar machen.
Immundefekte: Welche Heilungschancen gibt es?
Vor einer Stammzelltransplantation erfolgt normalerweise eine Chemotherapie. Die vernichtet die eigenen Stammzellen und macht Platz für die neuen. Da Corinna vor ihrer Transplantation zu krank war, war eine Chemotherapie bei ihr nicht möglich. Deshalb ist sie auch heute nicht vollständig gesund. Und sie hat nicht nur einen Immundefekt. Seit dem Säuglingsalter trägt sie auch einen Zytomegalie-Virus in sich. Vor ein paar Monaten musste sie deshalb stationär ins Krankenhaus. Grundsätzlich muss sie regelmäßig zur Kontrolle untersucht werden. Prof. Manfred Hönig, Kinder-Hämatologe, Onkologe und Immunologe begleitet sie seit der Stammzellentransplantation. Corinnas Immunsystem leistet zu wenig. Bei anderen Immundefekten ist es genau umgekehrt, das Immunsystem ist zu aktiv. Welche Heilungschancen gibt es grundsätzlich bei Immundefekten? Gibt es möglicherweise Medikamente, die Corinna helfen können undwie weit ist die Forschung?
"Es gibt bei weniger schweren Immundefekten Medikamente, die gezielt eingreifen können. Leider ist es aber nicht so, dass wir das Immunsystem mit Medikamenten, die man als Tablette einnimmt oder als Sirup schluckt, richtig gut verbessern können. Und bei Corinna sind wir von therapeutischer Seite ein bisschen in einem Dilemma, weil auch eine erneute Transplantation bedeuten würde, dass sie eine Chemotherapie machen müsste. Die ist aber durch ihre momentan eingeschränkte Lungenfunktion ein sehr hohes Risiko.
Zur Forschung ist zu sagen, dass es da neue, vielversprechende Entwicklungen gibt: Man setzt zum Beispiel keine Chemotherapie sondern Antikörper ein, die dann gezielt gegen Stammzellen wirken, um Platz zu machen für gesunde Stammzellen von Spenderinnen und Spendern."
Prof. Dr. med. Manfred Hönig, Kinder-Hämatologie und -Onkolgie, Kinderklinik der Uniklinik Ulm
Fall für die Wissenschaft: Abwehrzellen trotz Immundefekt?
Doch es besteht Grund zur Hoffnung. Vor zehn Jahren haben sich bei Corinna eigene T-Zellen gebildet. Das kommt sehr selten vor. Deshalb wird seitdem am Uniklinikum Ulm an ihrem Immunsystem geforscht. Bei Corinna war als Ursache des Immundefekts eine Mutation im sogenannten JAK3-Gen gefunden worden. Diese Mutation liegt in den eigenen T-Zellen nun nicht mehr vor.
Im immunologischen Labor der Kinder- und Jugendklinik Ulm untersucht Dr. Eva-Maria Jacobsen, ob und welchen Einfluss diese unerwartete Rückmutation im JAK3-Gen für die Funktion der Zellen hat.
"Letztendlich können wir damit untersuchen, ob die T-Zellen ihre normale Funktion erfüllen können. Also zum Beispiel, wenn ein neuer Erreger wie das SARS CoV2 Virus auftaucht, ob Patienten tatsächlich in der Lage sind, eine Immunität gegen den Erreger aufzubauen. Bei Corina war tatsächlich das spannende Ergebnis, dass sowohl die eigenen T-Zellen in der Lage sind, das neue Virus zu erkennen und darauf zu reagieren als auch die Spender T-Zellen, sodass sie da auf jeden Fall eine Immunität aufbauen konnte."
Dr. rer. physiol. Eva-Maria Jacobsen, Immunologisches Labor, Kinderklinik der Uniklinik Ulm
Für die Untersuchung von Corinnas T-Zellen werden die Lymphozyten aus dem Blut isoliert. Danach können zum Beispiel die Rezeptoren der Spender- und der Empfängerzellen verglichen und auf ihre Funktionalität untersucht werden. Mit ihrer Arbeit erhoffen die Forscherinnen neue Therapieansätze für Corinna und andere Patienten zu finden. Einer dieser Ansätze ist zum Beispiel die sogenannte Gentherapie: Der Gendefekt der Immunzellen der Patienten wird im Labor korrigiert und die Zellen anschließend den Patienten zurückgegeben. Bei einigen schweren Immundefekten wird diese Therapie bereits erfolgreich durchgeführt.
Leben mit Immundefekt: Bewegung ist gesund
Bewegung ist grundsätzlich gesund. Die körperliche Aktivität verändert sogar die Zusammensetzung der aktiven Zellen im Blut und aktiviert B- und T-Zellen, die uns vor Krankheitserregern schützen. Corinna ist von Beruf Lokführerin und macht regelmäßig Sport. Dabei hat sie schon einiges ausprobiert.
"Judo, Reiten. Was ich lange sehr gerne gemacht habe und noch immer tue, ist Tanzen, Standard- und Lateintanz. Und irgendwann bin ich dann so auf Schwimmen gekommen, weil es eine sehr moderate Form von Belastung ist. Sport ist wichtig für mich. Es geht darum, diesen Abwärtstrend der Lunge aufzuhalten und einen stabilen Zustand zu erreichen. Und natürlich ist eine gewisse Form von Training einfach grundsätzlich wichtig, um gegen Krankheitsphasen gewappnet zu sein.."
Corinna, Patientin
Liebe und Partnerschaft
Seit mehr als zwei Jahren ist Josef an Corinnas Seite und gibt ihr Kraft. Welche Rolle spielen Offenheit und Verständnis für das Zusammenleben der beiden?
"Sie hat relativ zu Anfang deutlich gemacht, dass sie eben diese Erkrankung hat. Sie hat auch erklärt, was daraus folgt. Ich hatte kurz darüber nachgedacht, was es eben für mich bedeutet und festgestellt, es spielt für den Alltag weniger eine Rolle. Wir sind beide von Anfang an sehr direkt und offen miteinander. Das ist wichtig und hilft, wenn man einfach direkt kommuniziert, das kann ich, das kann ich nicht, da brauche ich Unterstützung und da nicht."
Josef
Wie viele Paare beschäftigt auch die beiden das großes Thema Kinderwunsch. Keine einfache Sache.
"Josef: Wir wollen eigentlich beide Kinder. Also ich schon, bevor ich Corinna kennengelernt habe. Und sie, bevor sie mich kennengelernt hat.
Corinna: Es hat aber bisher nicht geklappt. Ob das jetzt am Immundefekt liegt oder nicht, kann man nicht sagen. Und bei mir ist es so, was fängst du mit dem Wissen an, dass es eine 50-prozentige Chance gibt, dass das Kind dann krank ist. Dank des Neugeborenen-Screenings werden heute aber eh alle Kinder sofort darauf untersucht. Bei mir ganz explizit noch mal genauer."
Corinna und Josef
Corinnas Offenheit und ihr Umgang mit der Krankheit sind beeindruckend und machen Mut. Bleibt zu wünschen, dass vielleicht schon bald neue, vielversprechende Therapien Menschen wie ihr das Leben weiter erleichtern können.