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Für schwer Betroffene Neurodermitis – wirksame, neue Medikamente

Quälender Juckreiz, rote entzündete, schuppende Stellen: Neurodermitis gehört zu den chronischen Hauterkrankungen. Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden darunter – bei vielen fängt es schon im Kindesalter an. In den letzten Jahren hat sich bei der Behandlung viel getan. Seit kurzem stehen weitere Medikamente zur Verfügung.

Von: Julia Richter

Stand: 11.03.2024

Die 16-jährige Chiara aus Feldkirchen leidet, seit sie auf der Welt ist, unter Neurodermitis. Wenige Wochen nach ihrer Geburt ging es los. Die Familie probiert vieles aus: Klinikaufenthalte, Diäten, Kortison. Aber nichts hilft wirklich.

"Chiara hat, glaube ich, ihr ganzes Leben nicht eine Nacht durchgeschlafen. Wenn sie aufgestanden ist, war oft die ganze Bettwäsche blutig. Dann habe ich mal gesehen: An der Wand auf Chiaras Höhe waren braune Streifen. Ich habe gefragt: Was ist das? Hat da jemand gemalt? Und da hat Chiara gesagt: Nein, Mami. Ich kratze mich so."

Ana Isabel, Mutter von Chiara

Neurodermitis im Alltag

Raue Hände, entzündete Stellen im Gesicht - gerade als Kind ist das eine große Herausforderung. Einige Mitschüler wollen sie nicht anfassen, aus Angst, sich anzustecken. Was ihr hilft: Ballett. Seit sie klein ist, tanzt Chiara. Auch in den schlimmsten Zeiten ihrer Neurodermitis.

"Ich denke, dank meiner Lehrerin, bin ich sehr viel gewachsen: Wie ich mit meiner Haut umgehe. Und generell Disziplin. Ich habe sehr viel von ihr gelernt. Und ich glaube, ich wäre nicht so, wie ich jetzt bin, ohne Ballett. Es hat mir extrem für mein Leben geholfen."

Chiara

Auch die 50-jährige Mila hat Neurodermitis. Seit der Pubertät kämpft sie andauernd mit quälendem Juckreiz.

"Ich war kurz vor einer Depression. Es ist mir wirklich schlecht gegangen. Ich konnte nicht schlafen, hatte den ganzen Tag nur diese Haut im Kopf. Man kann sich auch gar nicht konzentrieren. Ich habe so wenig gearbeitet wie möglich. Ich bin nach Hause gekommen und habe mich viel ausgeruht."

Mila

Ursachen der Erkrankung

Neurodermitis verläuft schubweise, die Ursachen sind vielfältig. Es ist immer das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die die Erkrankung auslösen.

"Bis heute kennen wir nicht alle Auslöser. Wir kennen einige: Dazu gehört eine genetische Veranlagung, häufig aber nicht immer. Dazu gehört eine Störung der Hautbarriere, häufig aber nicht immer. Dazu gehören allergische Faktoren – die man hat oder auch nicht hat. Und das ist letztendlich unser Problem: Für den Einzelnen herauszufinden, was sind deine Auslösefaktoren."

Prof. Dr. med. Dietrich Abeck, Dermatologe, München

Früher dachte man, dass vor allem Nahrungsmittelallergien als Auslöser wirken. Heute weiß man, dass das nur ein Faktor von vielen ist.

Neue Medikamente haben in den letzten sechs Jahren für schwer betroffene Patienten wie Chiara und Mila die Wende gebracht. Auch in den letzten Monaten hat sich einiges getan in der Behandlung.

"Wir arbeiten heute mit Biologika – drei davon haben wir aktuell. Und wir arbeiten mit oralen, kleinen Molekülen – den Januskinase-Inhibitoren, Jak-Hemmer. Auch davon sind aktuell drei zugelassen. Das ermöglicht eine gute Therapie, auch für die schweren Fälle. Was noch kommen wird, sind die äußerlich einzusetzenden Januskinase-Inhibitoren. Auch da erwarte ich mir einen ganz großen Durchbruch: eine kortisonfreie Therapie, die funktioniert und äußerlich stattfindet."

Prof. Dr. med. Dietrich Abeck, Dermatologe München

Biologika für schwer betroffene Patienten

Chiara nimmt seit zwei Jahren ein Biologikum. Das hat ihren Alltag entscheidend verändert: Alle 14 Tage spritzt sie den Wirkstoff.

"Im Sommer war ich mit Freunden draußen und trotzdem hat es immer gejuckt. Das ist jetzt weggegangen. Und das finde ich gut, weil es alle in meinem Umfeld oft gestört hat. Niemand konnte neben mir schlafen, weil ich mich die ganze Zeit gekratzt habe. Das ist jetzt wirklich alles weggegangen."

Chiara

Heute plant sie sogar einen USA-Austausch: Nächstes Jahr soll es nach Kalifornien gehen – wegen des milden hautfreundlichen Klimas. Das ist nur dank der Therapie möglich.

"Biologika wirken dadurch, dass sie bekannte Entzündungsmediatoren blocken, und zwar bei der Bindung an ihre Zelle. Damit wird die Reaktion gestoppt. Das Ganze findet außerhalb der Zelle statt. Die antientzündliche Wirkung tritt ein und der große Vorteil ist, sie haben kaum Nebenwirkungen."

Prof. Dr. med. Dietrich Abeck, Dermatologe München

Inzwischen ist das erste Biologikum, das auf dem Markt war, sogar für sechs Monate alte Babys zugelassen.

Jak-Hemmer im Kampf gegen Neurodermitis

Ein Biologikum ist aber nicht für jeden Patienten geeignet: Wegen der Neurodermitis hatte Mila schwere Augenentzündungen. Deshalb darf sie kein Biologikum nehmen – das würde die Beschwerden verschlimmern. Sie bekommt nun einen Januskinase-Hemmer. Jeden Tag nimmt sie eine Tablette.

"Der große Unterschied ist, sie wirken nicht so selektiv wie ein Biologikum. Das heißt, sie haben verschiedene - auch unerwünschte Wirkungen, die wir nicht unbedingt haben wollen. Der große Vorteil: Sie wirken sehr schnell. Aber letztendlich kann man aufgrund der unterschiedlichen klinischen Wirkung eigentlich sagen, dass man gerne mit einem einfachen Biologikum anfängt. Und wenn man sieht, dass es funktioniert, den Patienten auch so weiter therapieren kann. Und wenn es nicht funktioniert, haben wir die Möglichkeit, den Januskinase-Inhibitor einzusetzen."

Prof. Dr. med. Dietrich Abeck, Dermatologe München

Der Jak-Hemmer wirkt in Studien teilweise sogar besser als ein Biologikum. In der Regel verschwindet der Juckreiz innerhalb von 24 Stunden. Wegen möglicher Nebenwirkungen müssen Patienten regelmäßig zur Blutkontrolle. Manche bekommen etwa häufiger Infekte oder höhere Cholesterinwerte. Mila verträgt die Therapie gut und ist sehr zufrieden. Ihr Hautbild hat sich massiv verbessert. Nur noch wenige kleine Stellen sind zu sehen.

"Ich bin einfach nur glücklich. Wenn ich diese Medikamente nehme, ist so gut wie alles weg. Die ersten Monate war es so, dass ich wirklich aussah, als hätte ich niemals irgendwas gehabt. Das waren für mich Glücksgefühle."

Mila

Hautpflege bleibt wichtig

Für jeden Neurodermitis-Patienten bleibt Hautpflege ein wichtiger Bestandteil im Alltag. Falls Mila wieder einen Schub bekommt, nimmt sie lokal ein Kortison. Für das Gesicht benutzt sie einen sogenannten Calcineurin-Hemmer. Der ist entzündungshemmend und juckreizstillend – eine gute Alternative für die dünne, empfindliche Gesichtshaut.

Eine rückfettende, feuchtigkeitsspende Hautpflege bleibt generell das A und O. Chiara cremt sich bis zu zehnmal am Tag ein. Um die Haut nicht zu reizen, trägt sie vor allem Baumwolle und achtet darauf, Allergieauslöser zu meiden - etwa beim Essen.

Viele schwer betroffene Patienten sind trotz systemischer Therapie nicht zu hundert Prozent beschwerdefrei – anders als Psoriasis-Patienten. Laut Prof. Abeck liegt das daran, dass die Neurodermitis komplexer ist in den Entzündungsreaktionen.

Nicht alle Patienten brauchen die neue Therapie – nur die wenigsten kommen dafür infrage.

"Wenn man alle Patienten vergleicht, haben wir ungefähr 80 Prozent leichte Fälle. Sie kommen wunderbar zurecht, indem sie die Provokationsfaktoren kennen. Indem sie ihre Hautpflege intensiv betreiben und bei Bedarf Kortison oder Calcineurin-Inhibitoren einsetzen. Die mittelschweren bis schweren Fälle – da muss man auch alles versuchen. Und wenn man hier sieht, sie kommen nicht zurecht, es ist nicht möglich eine dauerhafte Abheilung zu erzielen, dann werden diese Patienten systemisch therapiert."

Prof. Dr. med. Dietrich Abeck, Dermatologe München


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