Experten warnen vor Folgen Übergewichtige Schwangere und das Risiko fürs Kind
Experten sind alarmiert: In Deutschland ist mittlerweile fast die Hälfte der Schwangeren übergewichtig. Und dieses Übergewicht kann gesundheitliche Folgen für das Kind haben.
In einem Untersuchungszimmer misst eine wissenschaftliche Mitarbeiterin Körpergröße und das Gewicht von Dawid. Schon seit seiner Geburt sammeln Forschende Daten zur Gesundheit des achtjährigen Jungen, seinem Lebensumfeld und seiner körperlichen Entwicklung – wie viele Muskeln, wie viel Fettmasse hat der Junge?
Carolin Gassenhuber notiert sich Dawids Blutdruck. "Wir nehmen auch Blutwerte ab: Wie sieht der Zucker- und Fettstoffwechsel aus, gibt es da vielleicht schon Auffälligkeiten? Wir untersuchen vor allem Cholesterinwerte, Triglycerid-Werte, eben auch Glukose, Insulin, für den Zuckerstoffwechsel", sagt Gassenhuber, die als Studienkoordinatorin an der Langzeitstudie "Peaches" mitarbeitet.
Langzeitstudie "Peaches" begleitet Mutter-Kind-Paare
"Peaches" steht für "Programming of Enhanced Adiposity Risk in Childhood – Early Screening". Die Studie läuft schon seit dem Jahr 2010 und will herausfinden, welche gesundheitlichen Auswirkungen das Übergewicht einer Frau während der Schwangerschaft auf ihr Kind haben kann. Dafür werden deutschlandweit Daten von mehr als 1.700 Mutter-Kind-Paaren gesammelt.
Jolanta Ilkiewicz und ihr Sohn Dawid aus München nehmen an "Peaches" teil. Bereits bei Dawids Geburt war Jolanta Ilkiewicz übergewichtig – sie ist besorgt, dass das gesundheitliche Folgen für ihren Sohn hat.
Überernährung kann zu Fehlprägung des Kindes führen
Denn Übergewicht und eine Überernährung im Mutterleib können zu einer Fehlprägung des Kindes führen, sagt Studienleiterin Prof. Regina Ensenauer.
"Es geht darum, dass der Fötus einer Vielzahl an Nährstoffen ausgesetzt ist, die die Gene und auch die Organstrukturen bei diesem noch ungeborenen Kind so verändern, dass es nach der Geburt anfällig wird, frühzeitiger und auch stärker Übergewicht und andere ernährungsmitbedingte Erkrankungen zu entwickeln."
Prof. Dr. med. Regina Ensenauer, Leiterin Institut für Kinderernährung, Max Rubner-Institut, Karlsruhe
Das heißt: Die Kinder können ein höheres Risiko haben, einen Diabetes-Typ-2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bekommen. Die Forschenden wollen deswegen auch bestimmte Biomarker im Nabelschnurblut und aus einem Abstrich der Wangenschleimhaut identifizieren. "Die sollen uns Hinweise darauf geben, ob das jetzt ein Kind ist, das ein erhöhtes Risiko hat, später Übergewicht zu entwickeln", sagt Prof. Ensenauer.
44 Prozent der Schwangeren sind übergewichtig
Die Forschungsarbeit ist wichtig. Denn die Bundesauswertung „Perinatalmedizin Geburtshilfe“ zeigt: In Deutschland bringen fast 44 Prozent der schwangeren Frauen zu viel Gewicht auf die Waage.
Nicole Schulz: "Ich habe viel versucht. Aber das hat einfach zu dem Lebensstil, den ich führe, und zu meinem Tagesablauf nicht gepasst."
Das trifft auch auf Nicole Schulz zu. Im Vorfeld der Schwangerschaft hatte sich die 33-Jährige aus dem oberbayerischen Landkreis Ebersberg viele Gedanken über ihr Gewicht gemacht.
Sie wollte auch auf Anraten ihrer Frauenärztin abnehmen. "Ich habe viel versucht. Einen Essensplan zu machen und bewusst auf viele Sachen noch mal zu achten. Aber das hat einfach zu dem Lebensstil, den ich führe, und zu meinem Tagesablauf nicht gepasst", erinnert sich die junge Mutter. "Und das war eben mehr Frust." Die Schwangerschaft verlief komplikationslos. Und vor mehr als einem Jahr kam ihr Sohn Vincent gesund zur Welt.
Übergewicht in Schwangerschaft birgt Risiken für Mutter und Kind
Doch das ist nicht immer so, sagt die Münchner Frauenärztin Marianne Röbl-Mathieu. Sie warnt vor den Risiken sowohl für die Mutter als auch das Kind.
"Für die Mutter, die mit Übergewicht in die Schwangerschaft geht, gibt es ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten, Frühgeburten und für die Entwicklung eines Schwangerschaftsdiabetes oder von Komplikationen durch erhöhten Blutdruck zum Beispiel."
Dr. med. Marianne Röbl-Mathieu, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, München
Die Frauenärztin ergänzt: "Für das Kind bedeutet eine Mutter, die mit Übergewicht in die Schwangerschaft geht, dass es ein höheres Fehlbildungsrisiko hat. Und dass es auch ein höheres Risiko hat, mit einem überdurchschnittlichen Gewicht zur Welt zu kommen, was dann wiederum mit Komplikationen bei der Geburt verbunden sein kann."
Die Frauenärztin spricht ihre schwangeren Patientinnen deswegen immer gezielt auf ihr Gewicht an, versucht, für diese Risiken zu sensibilisieren – für viele Betroffene ein sehr schwieriges Thema. "Das muss man sehr individualisiert machen und natürlich immer auch im Auge haben, dass man die Frau jetzt nicht überfordert und gleichzeitig halt zu versuchen, dass sie immer wieder neu motiviert wird", sagt Röbl-Mathieu.
Die ersten 1.000 Tage sind entscheidend
Die gute Nachricht: Auch nach der Geburt kann noch gegensteuert werden. Denn die ersten 1.000 Tage – also vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des zweiten Lebensjahres, sind entscheidend, sagt Expertin Regina Ensenauer.
Wichtiger Baustein sei das Stillen mit Muttermilch: "Es ist nicht nur Ernährung für das Kind, sondern da finden sich auch bioaktive Substanzen, bestimmte Bakterien, bestimmte Immunabwehr-Stoffe, die das Kind fit machen gegenüber den Bedingungen, denen es jetzt ausgesetzt ist nach der Geburt", sagt Prof. Ensenauer. Künstliche Säuglingsmilch könne diese Wirkungen nicht eins zu eins ersetzen.
Stillen mit Muttermilch ist ein wichtiger Faktor
Doch viele Mütter haben Probleme beim Stillen, geben frühzeitig auf. Wie diesen Müttern geholfen werden kann – das untersucht ein Ableger der Peaches-Studie, die Studie namens "BEARR" ("Breastfeeding Education for Risk Reduction").
Fiona Zugmann und ihr Sohn Simon sind im Rahmen dieser Studie in den vergangenen sechs Monaten von einer Stillberaterin unterstützt und beraten worden. Das Stillen sei "nicht so intuitiv, wie man sich das vielleicht vorstellt. Also man muss schon erst den Bogen rauskriegen", sagt Zugmann. Die Stillberatung habe ihr sehr geholfen.
Prof. Regina Ensenauer weiß um die Bedeutung des Stillens. Darum müssten die Frauen so gut wie möglich unterstützt werden, am besten bereits in der Geburtsklinik. "Es braucht jemanden, der sich die Zeit nimmt, mit der Mutter zu arbeiten und nicht gleich mit der Flasche kommt, weil das Kind schreit", sagt Prof. Ensenauer. Es brauche Durchhaltevermögen von allen Beteiligten: "Wir müssen sehr stark arbeiten, denn Stillen ist allererste Präventionskonzept im Leben."