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STIKO-Empfehlung für Säuglinge Meningokokken B: Was halten Kinderärzte von der Impfung?

Eine Infektion mit Meningokokken B kann aus gesunden Kindern todkranke machen – innerhalb von Stunden. Seit Januar empfiehlt die ständige Impfkommission STIKO die Impfung dagegen, für Säuglinge ab zwei Monaten. Wie wichtig ist die Impfung, warum kommt die Empfehlung jetzt und was gilt es dabei für Eltern zu beachten?

Von: Monika Hippold

Stand: 15.04.2024

STIKO-Empfehlung: Meningokokken B: Was halten Kinderärzte von der Impfung?

Als sie 4,5 Monate alt ist, bekommt die kleine Zahra Fieber. Ihre Mutter Nadine geht mit ihr zum Kinderarzt, bekommt Fiebersenker, wartet ab. Doch das Fieber geht nicht runter. Beim Wickeln erbricht sich Zahra dann. Sie läuft blau an, verdreht die Augen, verliert kurz das Bewusstsein. Die Familie ruft sofort die 112. Der Rettungswagen kommt schnell. Nadine ist noch beim Wickeln, als die Notärztin eintrifft.

"Ich machte gerade den Body hoch, da fragte mich die Ärztin, ob ich diese Einblutungen auf ihrer Haut schon vorher gesehen hatte. Ich sagte: ‚Nein, die fallen mir jetzt zum ersten Mal auf,‘ Daraufhin sagt sie: ‚Packen Sie alles zusammen, wir haben keine Zeit.‘ Wir sind dann runter in den Rettungswagen. Und dann meinte sie: ‚Versuchen Sie, das Kind wachzuhalten!‘ Der Rettungssanitäter fragte: ‚In welches Klinikum?‘ Da sagte sie: ‚Egal, wir haben keine Zeit.‘ Da wusste ich als Mutter, die Lage ist ernst."

Nadine, Mutter

Anzeichen für Infektion: Einblutungen auf der Haut

Im Krankenhaus empfängt sie das Notarzt-Team schon vor der Tür. Die Ärzte handeln sofort. Sie versetzen die kleine Zahra ins Koma, geben ihr Antibiotika, beatmen sie. Denn: Zahra hat eine Meningokokken-Sepsis, eine Blutvergiftung, hervorgerufen durch Bakterien der Gruppe Meningokokken B.

Ein Anzeichen dafür können Einblutungen auf der Haut sein. Die Krankheit schreitet sehr schnell voran: Innerhalb von wenigen Stunden können die Kinder todkrank sein. Als der Arzt Nadine die Erkrankung ihrer Tochter schildert, bricht sie zusammen.

"Mein Mann konnte mich gerade noch auffangen. Ich hatte sehr große Angst, dass meine Tochter diese Infektion nicht überlebt."

Nadine, Mutter

Bei einer Infektion spielt Zeit eine entscheidende Rolle, weiß Prof. Joachim Wölfle, Leiter der Kinderklinik in Erlangen.

"Der Kreislauf bricht zusammen. Die Kinder brauchen extrem viel Volumen, kreislaufunterstützende Maßnahmen, dass die Durchblutung der Organe überhaupt noch gewährleistet sein kann."

Prof. Dr. med. Joachim Wölfle, Direktor der Kinderklinik, Uniklinikum Erlangen

Blutvergiftung oder Hirnhautentzündung durch Meningokokken

Eine Erkrankung mit Meningokokken ist selten, kann aber schwerwiegende Folgen haben. Denn die Bakterien der Art "Neisseria meningitidis" können eine Blutvergiftung (Sepsis) oder eine Hirnhautentzündung (Meningitis) hervorrufen. Etwa acht Prozent der Erkrankten sterben an einer Infektion. Bis zu 20 Prozent kämpfen mit Folgeschäden wie Amputationen, Hautdefekten, Nierenversagen, Epilepsien, Hörverlust, Hydrozephalus (Wasserkopf) oder psychischen Störungen.

Es gibt zwölf verschiedene Arten von Meningokokken – genannt Serotypen (Meningokokken A, B, C, E, H, I, K, L, W, X, Y, Z). Die einzelnen Serotypen kommen weltweit unterschiedlich häufig vor. In Deutschland gehen rund 60 Prozent der Erkrankungen auf den Typ B zurück. Zehn bis 15 Prozent jeweils auf die Serotypen C, W und Y.

Meningokokken: die Zahlen bis 2019

Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa vier Menschen pro einer Million Einwohner an Meningokokken. Von 2015 bis 2019 starben insgesamt 59 Menschen an der Infektion mit Meningokokken B.

Am häufigsten von einer Infektion betroffen sind Kinder im ersten Lebensjahr. Laut Robert Koch-Institut (RKI) erkrankten in den Jahren 2015 bis 2019 etwa 3,5 von 100.000 Säuglingen und eines von 100.000 Kleinkindern zwischen einem und vier Jahren an Meningokokken B. Ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene trifft es seltener. Säuglinge und Kleinkinder verzeichnen auch die meisten Todesfälle unter den Erkrankten.

Ein Grund dafür ist wohl, dass das Immunsystem der Kinder noch nicht ausgereift ist, erklärt Prof. Dr. Joachim Wölfle.

"Wir vermuten, dass da noch eine gewisse Abwehrschwäche bei diesen Kindern vorliegt, die dann den Meningokokken ein leichteres Spiel lässt."

Prof. Dr. med. Joachim Wölfle, Direktor der Kinderklinik, Uniklinikum Erlangen

Impf-Empfehlung der STIKO

Eine Impfung kann Kinder schützen. Im Januar hat die ständige Impfkommission STIKO nun die Impf-Empfehlung für Meningokokken B ausgesprochen – für Kinder von zwei Monaten bis fünf Jahren. Eine Impf-Empfehlung gegen den selteneren Typ C gibt es schon seit 2006 – für Kinder ab zwölf Monaten. Seitdem infizieren sich laut RKI weitaus weniger Kleinkinder mit Meningokokken C.

Der Impfstoff gegen Meningokokken B ist seit 2013 zugelassen. Warum kommt die Impf-Empfehlung dafür genau jetzt? Das erklärt Mikrobiologe und Infektionsimmunologe Prof. Christian Bogdan. Bis März war er Mitglied der STIKO und hat die neue Empfehlung mit ausgearbeitet. Er sagt, die Empfehlung hätte schon ein, zwei Jahre früher passieren können. Durch die Corona-Pandemie habe die STIKO aber andere wichtige Aufgaben erfüllen müssen.

"Jede Impf-Entscheidung basiert eigentlich auf vier wichtigen Aspekten. Das eine ist immer die Frage, wie häufig eine Erkrankung ist. Das zweite ist, wie schwerwiegend sie ist. Das dritte ist, ob wir denn einen wirksamen Impfstoff haben und ob dieser Impfstoff sicher ist. Und zu dem Zeitpunkt, wo der Meningokokken-B-Impfstoff entwickelt worden war und zugelassen worden ist, da haben uns etliche Daten gefehlt, die jetzt zur Verfügung stehen. In den letzten Jahren – also 2020, 2021, 2022 – gab es eine ganze Reihe von Analysen aus Ländern, die ein Impf-Programm mit dem Meningokokken-B-Impfstoff implementiert haben. Und die haben wir jetzt zugrunde gelegt. Es sind keine schweren, unerwünschten Wirkungen aufgetreten, die wir jetzt in Betracht ziehen müssten."

Prof. Dr. med. Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Uniklinikum Erlangen

Das halten Kinderärzte von der Impfung

Die klinische Wirksamkeit der Impfung liegt bei etwa 85 Prozent. Die Impf-Empfehlung schließe nun eine Impflücke, findet Prof. Wölfle.

"Jeder Fall, den wir tatsächlich vermeiden können, der entweder eine schwere Meningokokken-Meningitis oder Meningokokken-Sepsis entwickelt, ist ein guter Fall. Das heißt für mich: Das ist eine gute Impfung."

Prof. Dr. med. Joachim Wölfle, Direktor der Kinderklinik, Uniklinikum Erlangen

Kinderarzt Prof. David Martin reicht die Datenlage hingegen noch nicht aus. 

"In Bezug auf die Null- bis Zwei-Jährigen ist die Datenlage sehr gering. Wir haben keine großen randomisierten, kontrollierten Studien, die zeigen, wie sehr man mit dieser Impfung die Todesfälle oder Erkrankungen vermindern kann. Und deshalb basiert diese Empfehlung an der Stelle auf Modellen. Das ist gut, aber aus meiner Sicht die Ausgangsbasis, um weiter wissenschaftlich zu untersuchen, wie viel sie wirklich bringt."

Prof. Dr. med. David Martin, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Witten / Herdecke

Zahl an Erkrankungen schwankte in vergangenen Jahren

Eine Schwierigkeit bei der Auswertung der Effektivität der Impfung besteht darin, dass die Zahlen für Meningokokken-B-Erkrankungen in den vergangenen Jahren variiert haben.

"Die Erkrankung ist in den letzten Jahren zurückgegangen, war dann sehr niedrig in der Pandemie-Zeit und hat 2022 wieder ein bisschen zugenommen. Aber im Allgemeinen geht sie weltweit zurück. Und deshalb finde ich es so wichtig, dass wir eine randomisierte, kontrollierte Studie machen, um zu wissen: Was macht die Impfung zusätzlich für einen Unterschied? Einerseits. Und andererseits: Wie sicher ist sie über die nächsten zehn, 20 Jahre in Bezug auf chronische Erkrankungen und so weiter. Es geht um eine lebenslange Beeinflussung des Immunsystems. Das wollen wir ja. Und deshalb gilt es auch, lebenslang zu schauen: Was hat das für Konsequenzen?"

Prof. Dr. med. David Martin, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Witten / Herdecke

Wissenschaftlich gibt es noch keine genaue Erklärung dafür, warum die Infektions-Zahl variiert, sagt auch Prof. Bogdan. Allerdings zieht er einen anderen Schluss daraus:

"Wir haben ohne eine spezifische Impfung gegen Meningokokken B, sondern nur gegen Meningokokken C, insgesamt gesehen, dass die Zahl der Fälle rückläufig ist. Wir wissen nicht, woran das liegt. Und trotzdem muss man natürlich sagen: Schwere Infektionen, die zu Amputationen führen können, zu bleibenden neurologischen Schäden – das ist schon ein deutliches Argument dafür, dass man dagegen impft, wenn denn ein sicherer und wirksamer Impfstoff vorhanden ist. Und deswegen hat sich die STIKO dazu auch entschieden."

Prof. Dr. med. Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Uniklinikum Erlangen

Langzeit-Daten stehen noch aus

Wie lange der Schutz der Impfung anhält, dazu gibt es noch keine Daten. Diese zu erfassen, fordert Prof. Martin.

"Wir blicken auf zehn Jahre zurück, aber nicht auf zehn Jahre randomisierte, kontrollierte Studien in einem Umfang, der uns etwas über seltene Langzeitfolgen sagen kann. Wir wissen von den Daten von Millionen von Kindern, dass wir keine hochgefährlichen Signale haben. Und deshalb ist die Impfung auch in Deutschland empfohlen. Diese Frage könnte man aber wissenschaftlich angehen, um sie richtig auch für die nächsten Generationen zu beantworten. Denn es beeinflusst Millionen von Kindern, wie man sich da entscheidet."

Prof. Dr. med. David Martin, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Witten / Herdecke

Nach der Zulassung und Einführung eines neuen Impfstoffs gehören sogenannte Post-Marketing-Untersuchungen zum Standard. Prof. Bogdan bestätigt, dass diese keine Gefahrensignale geliefert haben. Von unerwünschten Impfnebenwirkungen, die nicht im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung, sondern erst Jahrzehnte danach auftreten, geht er nicht aus:

"Dazu gibt es weder eine biologische Plausibilität noch immunologische Hinweise. Was die Dauer der Schutzwirkung der Meningokokken-B-Impfung betrifft, so können aufgrund der Seltenheit der Erkrankung nur bevölkerungsweite Beobachtungsstudien zeigen, ob die im Säuglings- oder Kleinkindesalter durchgeführte Impfung auch noch im Jugendlichen- und Erwachsenenalter Schutz vermittelt."

Prof. Dr. med. Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Uniklinikum Erlangen

Impf-Zeitpunkt: mit zwei Monaten

Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen Meningokokken B für Säuglinge ab zwei Monaten – gemeinsam mit der 6-fach Impfung und der Impfung gegen Pneumokokken. Ein Grund: Die Kinder sollen so früh wie möglich geschützt sein. Und:

"Es ging um die Frage: Wie kann man die Impfung in den Impfkalender integrieren, ohne zusätzliche Impfzeitpunkte zu generieren? Es ist kein Problem, zwei oder drei Impfungen gleichzeitig zu geben. Man könnte das theoretisch auch noch um jeweils eine Woche verschieben. Aber das führt dann eben zu zusätzlichen Arztbesuchen."

Prof. Dr. med. Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Uniklinikum Erlangen

Kinderärztin Dr. Dilek Önaldi-Gildein empfiehlt ihren Patienten schon seit Jahren die Impfung gegen Meningokokken B. Bisher hat sie die Säuglinge allerdings etwas später geimpft – mit drei Monaten. Drei Spritzen an einem Tag: Was bedeutet das für die Kinder? 

"Die drei Impfungen an einem Tag, das macht für die Kinder keinen Unterschied. Es ist vielleicht psychologisch für die Eltern ein bisschen einfacher, wenn sie nur eine Impfung haben. Weil ich viele Eltern habe, die dann fragen: Wird das nicht zu viel für die Kinder? Aber tatsächlich kann ich auch nachvollziehen, dass mit zwei Monaten zu impfen sinnvoll ist, weil wir natürlich sehr früh diesen Impfschutz aufbauen wollen für die Kinder."

Dr. med. Dilek Önaldi-Gildein, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, München

Paracetamol nach der Impfung geben?

Sobald die STIKO-Empfehlung vom gemeinsamen Bundesausschuss GBA in die Schutzimpfungs-Richtlinie aufgenommen und in Kraft getreten ist, müssen alle Krankenkassen die Kosten für die Impfung übernehmen. Bis dahin ist dies eine IGeL-Leistung der Krankenkassen, also eine freiwillige Leistung.

Der Impfstoff gegen Meningokokken B gilt als sehr reaktogen. Das heißt: Er löst bei vielen Kindern Impfreaktionen aus. Häufig sind lokale Schmerzen, eine Schwellung oder Rötung der Einstichstelle sowie Fieber. Deswegen empfiehlt die STIKO, Kindern unter zwei Jahren gleich nach der Impfung vorsorglich Paracetamol zu geben.

"Es gibt entsprechende Arbeiten, die zeigen, dass die Gabe von Paracetamol die Wirksamkeit der Impfung nicht negativ beeinflusst."

Prof. Dr. med. Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Uniklinikum Erlangen

Bessere Aufklärung statt prophylaktische Fiebersenker

Zum ersten Mal findet sich dieser Zusatz in einer STIKO-Empfehlung – und er hat viele Kinderärzte überrascht.

"Dass man Paracetamol als Prophylaxe gibt, haben wir bisher nicht so gemacht. Wir haben damit auch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich hätte mir gewünscht, dass man das ein bisschen offener formuliert und uns mehr Spielraum lässt, weil ich das Gefühl habe, dass es einfach eine Reihe von Eltern gibt, die mit Fieber eigentlich ganz gut klarkommen, wenn man sie gut und ausreichend informiert."

Dr. med. Dilek Önaldi-Gildein, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, München

Prof. Dr. Martin ist auch Fieberforscher. Er plädiert auf mehr Studien und eine bessere Aufklärung zum Thema Fieber. Die STIKO könne Ärzten und Eltern ruhig mehr zutrauen.

"Tatsächlich ist die Rate von Fieber von 70 Prozent auf 39 Prozent reduziert, wenn man Paracetamol dazugibt. Die Studie beinhaltet aber nur 155 Kinder. Wenn das Kind starke Schmerzen hat, dann kann man ihm Paracetamol geben. Aber Fieber zu verhindern ist kein Ziel an sich – weder nach Impfungen noch bei Infekten."

Prof. Dr. med. David Martin, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Witten / Herdecke

Medikamente gegen die Spätfolgen

Die kleine Zarah hat ihre Infektion mit Meningokokken B vor acht Jahren überlebt. Seitdem leidet sie aber an einer Niereninsuffizienz und nimmt Medikamente. Die Familie hat lange gebraucht, um den Schock zu verarbeiten.

"Auf jeden Fall soll kein Elternteil mitmachen müssen, was wir mitgemacht haben."

Nadine, Mutter

Fest steht: Die Impfung gegen Meningokokken B kann kleine Kinder weitestgehend vor der furchtbaren Erkrankung schützen. Die meisten Experten sehen die Impfung als Fortschritt. Langzeit-Daten stehen noch aus.

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