Der Autor und Regisseur zur Heldin seines Films
Nichts davon war ihr in die Wiege gelegt - wenn es denn überhaupt eine wiege war, und nicht bloß ein Strohsack: nicht über kurze Berühmtheit als Schriftstellerin, nicht der Tod in Chicago. Aber wenn man ausgerechnet in einem Ort namens "Schiefweg" zur Welt kommen muss, was kann man da vom Lebenslauf schon erwarten? Was für hundert, für tausend andere bloßer Zufall ist, für Emerenz Meier ist mit dem Namen des Geburtsortes das ganze Leben vorweggenommen.
Dabei fängt es vielversprechend an: Sie kommt am 3. Oktober 1874 als Wirtstochter zur Welt. Das verheißt zwar Arbeit, aber nicht Armut. Obwohl die Armut öfter als einmal in die Wirtstube dringt, hereingetragen von den Gästen, den Knechten und Mägden und Kleinbauern, von den Bittenden und Bettelnden: daheim ist sie anderswo. Zunächst wenigstens.
Daheim ist die Armut fast überall auf den Dörfern im unteren Bayerischen Wald - auch in Schiefweg (etwa in der Mitte gelegen zwischen Passau und der böhmischen Grenze) am einstmals Goldenen Steig, der inzwischen längst verwildert ist. Armut, Not und Elend - das sind drei Begriffe, mit denen sich schon das Kind Emerenz herumschlagen muss; weil es mit wachen Sinnen durch die Welt geht. Den Eltern oft zu gescheit, zu versponnen, zu träumerisch, zu aufsässig und rechthaberisch - besonders, wenn es um Unrecht geht.
Ihr Schriftstellerleben beginnt sie mit einer Erzählung aus der Kindheit: von einem alten Weib schreibt sie, das jauchzend, mit einem "Juhschroa" diese Welt verlässt, als sie endlich sterben darf, von der Bauerntochter zur Streunerin, zur "Quartierfrau", heruntergekommen. Das ist die erste Geschichte, die Emerenz Meier an eine Passauer Zeitung schickt. Auch diese Geschichte ist kein Zufall. Die 19jährige Wirtstochter hat damit (fast) ihr eigenes Ende beschrieben: in Chikago allerdings, an einem Februartag des Jahres 1928. Heimatlosigkeit und Alkohol haben das früh bewunderte Talent zugrunde gerichtet. Mit 32 Jahren hat sie auswandern müssen, nach dem Scheitern verschiedener Unternehmungen, die nur den einen Zweck hatten: Geld zu verdienen.
Da hatte ihr Vater schon alles verloren, war auf der Flucht vor den Gläubigern - und sie hatte nichts zu verlieren, außer ihrer Heimtat, außer dem Nährboden für ihre Geschichten und Gedichte. Der Weg zurück war verwehrt. Für die Dichterin begann in Amerika ein Dasein als Putzfrau und Fabrikarbeiterin. Für die Schriftstellerin war Amerika das Ende: außer ein paar anklagenden und verzweifelten Gedichten, außer einigen bösen und herzzerreißenden Briefen hat sie in Chikago nichts mehr geschrieben. Deshalb ist ihr Werk klein geblieben und heute wohl auch weitgehend vergessen.
Der Film führt noch einmal in ihre Kindheit zurück, in das Schiefweg des Jahres 1884; die kleine Emerenz ist zehn Jahre alt. Alle Darsteller im Film sind Laien. Die aufnahmen entstanden überwiegend im Museumsdorf Dreiburgensee-Tittling.
Jo Baier, März 1989