Allgemeinmedizin IGeL-Leistungen – Sinnvoll oder überflüssig?
In den meisten Arztpraxen werden IGeL-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen) angeboten, die die Patienten aus eigener Tasche bezahlen müssen. Diesem Angebot stehen viele Patienten ratlos gegenüber: Sie möchten einerseits keine sinnvolle Vorsorgeuntersuchung versäumen, die ihnen womöglich das Leben rettet, andererseits sind diese nicht gerade billig. Allgemeinarzt Dr. Klaus Tiedemann klärt auf, welche gängigen IGeL-Leistungen wirklich sinnvoll sind und welche Sie sich getrost sparen können.
Diabetes-Früherkennung durch Bestimmung des HbA1c-Wertes
Kosten: etwa 16 Euro
Da Diabetes, vor allem am Anfang, zu keinen Beschwerden führt, bleibt die Krankheit bei vielen Patienten lange Zeit unerkannt. Wird die Zuckerkrankheit im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung frühzeitig erkannt, kann sie entsprechend behandelt und Folgeschäden können abgewendet werden.
Von den Krankenkassen wird im Rahmen des "Check-ups" ab 35 Jahren ein Glukose-Test bezahlt (Bestimmung des Nüchternblutzuckers). Das ist jedoch immer nur eine Momentaufnahme, die leicht zu beeinflussen ist. Ein Diabetiker, der normalerweise nicht darauf achtet, was er isst und wieviel Alkohol er trinkt, muss nur zwei Tage vor der Blutabnahme "anständig" sein, um gute Zuckerwerte zu erzielen.
Der HbA1c-Wert im Blut (IGeL) hingegen zeigt an, wie hoch der Durchschnittsblutzuckerspiegel in den vorangegangenen drei Monaten war. Der Arzt kann an diesem Wert auch bei Patienten, deren Nüchternblutzucker noch normal ist, erkennen, ob sie diabetesgefährdet sind, wenn beispielsweise die Werte nach dem Essen oder nachts zu hoch sind.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Die Bestimmung des HbA1c-Wertes ist genauer als die des Nüchternblutzuckers und vor allem für über 50-Jährige sowie übergewichtige Patienten sehr zu empfehlen."
Früherkennung von Alzheimer-Demenz durch MRT (Magnetresonanztomographie)
Kosten: etwa 500-600 Euro
Bei einer Demenz zeigen sich Veränderungen im Gehirn, die man mit Hilfe einer MRT erkennen kann. Deshalb ist die Magnetresonanztomographie bei Verdacht auf Demenz auch eine der sinnvollen Diagnosemethoden und wird von den Krankenkassen bezahlt.
Eine MRT zur Früherkennung ist eine IGeL-Leistung.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Erkennt man eine Demenz im Frühstadium, kann man diese häufig bremsen. Eine MRT zur Früherkennung von Demenz würde ich aber nicht empfehlen. Zwar lassen sich tatsächlich bereits in einem sehr frühen Stadium von Demenz Gehirnveränderungen erkennen, es muss aber nicht sein, dass sich daraus später wirklich eine Demenz entwickelt. Auch der Zeitpunkt des Ausbruchs lässt sich nicht vorherbestimmen. Zudem ist die Untersuchung sehr teuer.
Billiger, zuverlässiger und schneller ist der DEM TECT Test und/oder der Uhrentest nach Shulman, den jeder Hausarzt durchführen kann. Dabei wird dem Patienten eine Serie von Fragen gestellt, mit denen verschiedene Gehirnfunktionen getestet werden. Der Test dauert etwa 10 Minuten. Die erreichte Punktzahl gibt Aufschluss darüber, ob die Gehirnleistung altersgemäß normal ist oder ob eine Vorstufe der Demenz oder bereits Demenz vorliegt. Der Test kostet nur etwa 20 Euro."
Früherkennung von Prostatakrebs mit PSA-Test
Kosten: etwa 22 Euro
Je früher Prostatakrebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen.
Die Krankenkassen zahlen bei Männern ab 45 Jahren jährlich ein Abtasten der Prostata. Bei Verdacht auf Prostatakrebs übernimmt die Kasse auch den PSA-Test, als reine Früherkennungsuntersuchung ohne Verdacht ist er eine IGeL.
Das PSA (Prostata-spezifisches Antigen) ist ein Eiweißmolekül, das vorwiegend in der Prostata hergestellt wird. Bei Prostatakrebs wird mehr PSA produziert und gelangt ins Blut, wo es durch den PSA-Test nachgewiesen werden kann.
Aber: Es muss nicht immer Krebs vorliegen, wenn der PSA-Wert erhöht ist. Dafür kann es auch andere Gründe geben, beispielsweise eine Entzündung oder eine gutartig vergrößerte Prostata. Auch postkoital ist der PSA Wert erhöht.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Ich halte den PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs für sinnvoll, wenn er jährlich wiederholt wird. Dann ist nämlich die Aussagekraft höher."
Früherkennung von Darmkrebs durch M2-PK-Stuhltest
Kosten: etwa 27 Euro
Je früher Darmkrebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen.
Die Krankenkassen übernehmen für Patienten ab 50 Jahren jährlich die Kosten eines Blutstuhltests und alle 10 Jahre - je nach Befund auch häufiger - für eine Darmspiegelung.
Bei dem M2-PK-Stuhltest (IGel) wird in einer Stuhlprobe gemessen, wie hoch die Konzentration des Enzyms Pyruvatkinase ist, das auf Darmkrebs beziehungsweise eine Vorstufe hinweisen soll.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Ich empfehle Patienten über 50 Jahren eine Darmspiegelung (Koloskopie), da das die sicherste Methode zur Früherkennung von Darmkrebs ist. Patienten unter 50 Jahren, bei denen die Krankenkassen keine Darmspiegelung als Vorsorge bezahlen, sind mit dem M2-PK-Stuhltest besser beraten, als mit dem Blutstuhltest, der von den Krankenkassen übernommen wird, denn der M2-PK-Stuhltest ist zuverlässiger. Eine Studie hat ergeben, dass mit dem Blutstuhltest in drei von vier Fällen Darmkrebs nicht erkannt wird. Aber der M2-PK-Stuhltest ist nicht so sicher wie die Darmspiegelung."
Vitamin-B12-Bestimmung
Kosten: etwa 70 Euro
Der Körper benötigt Vitamin B12 (Cobalamin) für die Blutbildung, die Zellteilung sowie das Nervensystem. Ein Mangel kann zu Blutarmut, Haarausfall, depressiver Verstimmung, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörung, brennender Zunge, trockener und schuppender Haut sowie Muskelschwäche führen. Da der Körper B12 nicht selber bilden kann, müssen wir es über die Nahrung aufnehmen. Natürliche Quellen sind Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte. Da Vitamin B12 ausschließlich in tierischen Produkten vorkommt, leiden vor allem Veganer häufig unter Vitamin B-12-Mangel.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Ein kleines Blutbild kostet nur ungefähr 55 Cent. Da ist der MCV-Wert dabei, der ansteigt, wenn B12 fehlt."
Ultraschall der Halsschlagadern (Carotis Doppler)
Kosten: 39 Euro
Die Carotiden, die Halsschlagadern, liegen sehr knapp unter der Haut des Halses, sind also mit dem Ultraschallgerät gut beurteilbar.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Ultraschall tut nicht weh, ist völlig ungefährlich und erlaubt eine gute Beurteilung des Gefäßsystems. Verkalkungen lassen sich feststellen, wenn sie noch unter 1 Millimeter dick sind. Von meiner Seite eine sehr empfehlenswerte Untersuchung."
Behandlung von Kniearthrose durch Hyaluronsäure-Injektion
Kosten: etwa 280 Euro (für 5 Behandlungen im Abstand von einer Woche)
Hyaluronsäure ist der Hauptbestandteil von Gelenkflüssigkeit. Sie ist bei Arthrose-Patienten oft in zu geringer Konzentration vorhanden. Direkt ins Kniegelenk gespritzte Hyaluronsäure soll die Schmerzen lindern und die Beweglichkeit des Gelenks verbessern.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Ich wende seit 30 Jahren Hyaluronsäure-Injektionen bei Kniearthrose an. Die Erfolgsquote liegt bei etwa 50 Prozent. Wie lange die Linderung anhält, ist unterschiedlich. Ich persönlich würde mir immer Hyaluronsäure-Injektionen geben lassen, bevor ich mich einer Operation unterziehen würde."
Stoßwellentherapie bei der Kalkschulter
Kosten: zwischen 80 und 200 Euro
Kalkablagerungen an den Sehnen der Schultermuskulatur können gravierende Schmerzen an der betroffenen Schuler verursachen.
Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Physiotherapie und Operationen.
Die Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) ist eine IGeL. Bei dieser Methode werden die Kalkablagerungen mithilfe von kurzen, heftigen Schallstößen zertrümmert.
Dr. Tiedemanns Empfehlung: "Diese Behandlung kann ich empfehlen. Ich hatte schon eine Reihe von Patienten, denen durch die Stoßwellentherapie eine OP erspart werden konnte."
Bleiben Sie gesund! Ihr Dr. Klaus Tiedemann und "Wir in Bayern"