Wahlbeteiligung Sag mir, wo du wohnst, und ich sag dir, ob du wählst
Der Demokratie droht eine Schieflage. Denn die Wahlbeteiligung sinkt nicht nur, sie ist auch immer ungleicher über die Gesellschaft verteilt. BR Data zeigt am Beispiel Nürnberg, wie Wohnort und Wahlverhalten zusammenhängen.

Dianaplatz, vorletzte Haltestelle der Tramlinie 4. Zwei Wohnblöcke weiter rauschen Autos über den Frankenschnellweg Richtung Fürth. Menschen schleppen große Plastiktüten aus einem Einkaufszentrum. An einem Stand sammeln junge Frauen Spenden für Hungernde in Äthiopien. „Wir wählen nicht!“, schallt es ihnen an diesem Tag nicht nur einmal entgegen, obwohl ihr Stand gar nichts mit der Bundestagswahl zu tun hat. Doch die Abwehrhaltung vieler sitzt tief.
Die Wahlbeteiligung in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten nach unten entwickelt, auch wenn es 2013 einen leichten Anstieg gab. Nürnberg war bei der vergangenen Bundestagswahl die deutsche Großstadt mit dem niedrigsten Wert: 66,9 Prozent. Dabei gibt es hier auch Gegenden wo besonders viele Menschen wählen. Und es gibt den Bezirk Dianaplatz. „Nicht der Rückgang an sich ist gravierend, sondern dass er sozial ungleich verteilt ist“, sagt die Soziologin Sigrid Roßteutscher von der Universität Frankfurt.
Eine soziale Schieflage der Demokratie droht
Das Phänomen ist nicht nur in Nürnberg zu beobachten. In nahezu allen deutschen Großstädten sieht es ähnlich aus. Das führt dazu, dass Menschen aus wirtschaftlich benachteiligten Vierteln im politischen System nicht ausreichend repräsentiert sind. Eine soziale Schieflage der Demokratie droht.
Zurück am Dianaplatz. Auf dem Industriegelände hinter dem Einkaufszentrum schrauben Arbeiter Dieselmotoren zusammen. Zwei junge Männer warten auf den Bus. Sie fragen sich, ob ihr Notenschnitt für den qualifizierenden Hauptschulabschluss reicht. Rund um den Dianaplatz leben etwas mehr als tausend Wahlberechtigte, 58 Prozent von ihnen gingen zuletzt nicht zur Wahl. In den anderen Bezirken um die Nürnberger Südstadt sieht es nicht viel besser aus. Gibitzenhof, Schweinau, Sundersbühl: Auch hier gab nicht einmal jeder Zweite seine Stimme ab.
Nichtwähleranteil in Nürnberg bei der Bundestagswahl (2013)
In den dunkel eingefärbten Bezirken konzentrieren sich die Nichtwähler.
Nimmt man die Tramlinie 8 bis zur Endhaltestelle, landet man in Erlenstegen am nordöstlichen Stadtrand. Nicht der Frankenschnellweg, sondern die Pegnitz schlängelt sich einige Meter entfernt von hier Richtung Innenstadt. Ein renoviertes Fachwerkhaus beherbergt eine kleine Konditorei. Ein älteres Ehepaar gönnt sich ein Stück Kuchen. Im Durchschnitt sind die Menschen hier zwölf Jahre älter als am Dianaplatz und es gibt deutlich weniger Arbeitslose.
Das hat Einfluss auf die Wahlbeteiligung: In Erlenstegen gingen bei der letzten Bundestagswahl 80 Prozent der Wahlberechtigten wählen. Betrachtet man diesen Zusammenhang für alle Nürnberger Bezirke, zeigt sich ein eindeutiges Muster: Je höher die Arbeitslosigkeit in einem Viertel, desto niedriger ist die Wahlbeteiligung.
Wahlbeteiligung und Arbeitslosigkeit in Nürnberg (2013)
Je näher die Punkte an der Trendlinie liegen, desto stärker ist der Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Arbeitslosenquote.
Arbeitslosigkeit ist nur eine Möglichkeit, ein benachteiligtes Stadtviertel zu erkennen. Andere Faktoren wie Bildungsgrad oder Einkommen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Hier lässt sich der gleiche Zusammenhang erkennen: Je benachteiligter ein Viertel und seine Bewohner sind, desto weniger von ihnen gehen zur Wahl. Und desto weniger werden sie politisch gehört.
Doch was tun? Mehr politische Bildung? Wahlpflicht, wie es sie in einigen anderen europäischen Länder gibt? Soziologin Roßteutscher identifiziert die sozialräumliche Trennung als Ursache. Sie gelte es zu überwinden. „Menschen leben immer mehr in Kreisen, in denen sich alle für Politik interessieren oder keiner. Ein Prozess, der sich immer weiter beschleunigen wird, wenn wir die soziale Trennung nicht in den Griff bekommen.“ Keine leichte Aufgabe für die kommende Bundesregierung.
Kommentieren
Markus, Mittwoch, 20.September 2017, 08:29 Uhr
1. Die Grafik freut mich!
Endlich mal wieder schafft es eine lineare Regression als Streupunktdiagramm in das mediale Interesse. Sehr schön
Antwort von Christoph Spilker, Mittwoch, 20.September, 08:47 Uhr anzeigen
Da hilft nur noch Wahlpflicht, wie in einigen anderen Ländern.
Antwort von PeterZä, Mittwoch, 20.September, 09:28 Uhr anzeigen
Vorsicht Christoph, so geraten sie schnell in Verdacht !
Erst neulich hat jemand aus dem Kanzleramt gesagt es sei gar nicht so schlecht für die (seine) Demokratie, würden mehr Menschen nicht zur Wahl gehen!
Interessantes Verständnis von "Demokratie", aber scheinbar voll ok, da es keinen Skandal gab.
Antwort von Truderinger, Mittwoch, 20.September, 09:47 Uhr anzeigen
@Zä: Immer wieder schön, wie das AfD-Volk die Wahrveit verbiegt! Altmeier sagte, es sei ihm lieber, jemand wählt gar nicht als die AfD. Dieser Aussage stimme ich zu! Was wäre Deutschland alles erspart geblieben, wären 1933 NSDAP-Wähler 1933 nicht zur Wahl gegangen. Rechtsextreme Parteien zu wählen ist gestern wie heute ein Ausdruck antidemokratischer Gesinnung!
Antwort von Lohengrin, Mittwoch, 20.September, 09:50 Uhr anzeigen
@PeterZä: Ist aber ein Skandal und alles andere als ok. Danke für Ihren Beitrag.
Antwort von Endlosschleife , Mittwoch, 20.September, 10:29 Uhr anzeigen
@Truderinger
Was haben Sie immer jeden Tag von früh bis in die Nacht gegen die AfD?
Verdienen Sie mit Asyl Geld oder sind Sie sozialromantisch veranlagt?
Die Asylkosten werden sozialisiert und die Gewinne mit Asyl werden privatisiert.
Antwort von RobertH, Mittwoch, 20.September, 10:43 Uhr anzeigen
Das erinnert mich an was...an einen ehemaligen Trainer vom FC Bayern....."Was erlauben Struuunz..."....Was erlauben Altmaier...Es ist doch ein Hohn so eine Aussage...ein Offenbarungseid an die eigens gestalltete Politik. Die beste Möglichkeit die AfD zu verhindern ist doch die eigene politische Arbeit und nicht die Aussage "Bitte geht nicht wählen bevor ihr die AfD wählt"....nur noch jämmerlich die Figuren welche angeben Politiker zu sein. Hätten diese ihre Arbeit gut gemacht wäre es nicht ansatzweise so gekommen das mit hoher Wahrscheinlichkeit die AfD im Bundestag vertreten ist. Ja lieber Truderinger...treten Sie mal den etablierten Parteien in den "Hintern"...dann müssten Sie nicht die ewige Leier von 1933 wiederholen...dies würde sich dann nämlich erübrigen.
Antwort von Nordtveit vs. Wahrveit, Mittwoch, 20.September, 11:04 Uhr anzeigen
@Truderinger: Sie und die AfD, das nehme ich jetzt mal zum Anlass....Anstatt sich mal konstruktiv damit auseinanderzusetzen, welche Umstände diese Partei im Entstehen befördert haben, und das mache ich jetzt nicht allein an der Zuwanderungskrise oder am €-Dauer-Dilemma fest, beschimpfen Sie permanent diese Partei und ihre potentiellen Wähler aufs Heftigste.
So penetrant wie sie diese Partei und ihre "Fäns" verfolgen, hat das in meinen Augen fast schon leicht pathologische Züge.
Sorry, aber diese Ferndiagnose erlaube ich mir jetzt einfach mal in dem Kontext.
Ich traue mich wetten, dass der absolut überwiegendste Teil der Sympathisanten dieser Partei tadellose Staatsbürger sind, frei von xenophobischen Ansichten.
Wir haben seit Beginn des weltweiten Turbokapitalismus, Anfang der 1990-Jahre m.M.nach zu datieren, eine massive politische Vertrauenskrise, und Demokratieproblem.
Die AfD ist nicht die Ursache, sondern ein Symptom dieser Entwicklung, siehe auch Trump in USA usw.
Antwort von RobertH, Mittwoch, 20.September, 11:28 Uhr anzeigen
@Nordtveit vs. Wahrveit
ein guter Kommentar...da stimme ich Ihnen vollends zu!
Antwort von Leser, Mittwoch, 20.September, 11:32 Uhr anzeigen
Mit Truderinger ist keine Diskussion möglich, er schwenkt gleich die Nazikeule. Alles AFD, Braune und Nazis. Jeden Tag das Gleiche, wie ein kaputter Plattenspieler.
Antwort von Wiggerl, Mittwoch, 20.September, 11:51 Uhr anzeigen
@ Christoph Spilker
Wahlpflicht für die Bürger und Kommentar-Lesepflicht (z.B. BR, WDR, NDR) für die Politiker, damit diese wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon haben, was die Wähler bewegt.
Antwort von Unparteiischer, Mittwoch, 20.September, 12:00 Uhr anzeigen
Ganz einfach AfD:
Nazis raus und demokratisch werden. Dann gleichen sich die Wunschzettel einiger Parteien an. Mit Nazis, no way!
Antwort von Leonia, Mittwoch, 20.September, 12:28 Uhr anzeigen
Genau, Unparteiischer, und keine Naziparolen, keine rassistischen Thesen mehr verbreiten. Denn wer Naziparolen verbreitet oder bejubelt, darf sich nicht wundern, wenn man denjenigen einen Nazi nennt. Und das hat mit der gern postulierten "Nazikeule" nichts zu tun, denn die wahre Nazikeule sind diejenigen, die Naziparolen verbreiten.
Antwort von PeterZä, Mittwoch, 20.September, 12:30 Uhr anzeigen
Interessant, ist ihre Aussage doch in Übereinstimmung mit meiner Aussage.
Nur ihre Interpretation ist vollkommen anders. Zu meiner Überraschung stimmt die Tagespresse heute mit mir überein.
Wie ich zuvor schon geschrieben habe, (aber wegen Plausibilität zensiert) gab es im Museum Ingolstadt vor ein paar Jahren mal eine Ausstellung zum Thema Rassismus im Dritten Reich und den USA.
Bevor die Bürgerrechtsbewegung aufkam wurde von Rassisten argumentiert es wäre für die Afroamerikanern besser nicht zur Wahl zu gehen, sie stimmen ja bereits durch ihre "Nichtwahl" der aktuellen Politik zu.
Wollen sie nun also sagen , die systematische, jahrzehntelange Vorenthaltung des Wahlrechtes und anderer Bürgerrechte gegenüber den Afroamerikanern wäre sinnvoll gewesen?
Antwort von Rainer, Mittwoch, 20.September, 12:53 Uhr anzeigen
Ob eine Partei für mich wählbar ist oder nicht, mache ich an deren politischer Gesinnung fest. Wie hält sie es mit den Grundwerten unserer Verfassung, respektiert sie die menschliche Würde, und kann sie alle Menschen unabhängig von Rasse, Religion, Geschlecht und politischen Überzeugungen gleich behandeln? Es ist noch nicht allzu lange her, da haben sich u.a. Frauke Petry und Beatrix von Storch für den Einsatz von Waffengewalt gegen Flüchtlinge an der deutschen Grenze auch gegen Frauen und Kinder ausgesprochen, um die Grenzen gegen ihrer Ansicht nach illegale Übertritte zu schützen. Wenn eine Partei Vertreter_innen mit solchen Ansichten in ihren eigenen Reihen nicht nur duldet, sondern sogar in herausgehobene Positionen befördert, dann ist für mich die Grenze zur Unwählbarkeit weit überschritten!
Antwort von Unparteiischer, Mittwoch, 20.September, 13:33 Uhr anzeigen
Ja, Leonia, genau so ist es. Warum sind sie eigentlich nicht in der Politik?
Ich würde sie glatt wählen :-)
Antwort von Haderner, Mittwoch, 20.September, 14:58 Uhr anzeigen
Unparteiischer
Da wäre ich doch sofort dabei !
Es gibt leider viel zuwenige, die Verstand haben !
Antwort von Unparteiischer, Mittwoch, 20.September, 16:19 Uhr anzeigen
Haderner,
das liegt am Netz. Das Internet verblödet, wenn man nicht damit umgehen kann. Sozialkompetenz ist wichtig, aber zunehmend wichtiger wird die Internetkompetenz.
Man muss wissen, wer einem was und warum unterjubeln will. Wer hat Vorteile daraus, wer Nachteile und wer ist die Quelle der Nachricht.
Social Media mag unterhaltsam sein, aber als Nachrichtenquelle taugt sie nicht. Zu viele Gaukler treiben sich dort herum. Nicht für ernstzunehmende Nachrichten bei der der Urheber nicht feststeht..