Respekt - Respekt

Antislawismus

RESPEKT Antislawismus

Stand: 04.01.2023

  • Antislawismus bezeichnet die rassistische Diskriminierung von Menschen, denen eine Herkunft aus Osteuropa zugeschrieben wird.
  • Vorurteile gegenüber Menschen aus "dem Osten" zeigen sich häufig gemeinsam mit anderen Formen von Diskriminierung, zum Beispiel mit Armenfeindlichkeit, Antisemitismus oder Sexismus.
  • Entgegen dem Klischee von "dem" Osten Europas umfasst die Region eine große geographische, sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt.
  • Einschneidende politische Ereignisse, wie der Zerfall der Sowjetunion, die Jugoslawienkriege und der Angriffskrieg gegen die Ukraine, führten zu massenhafter Migration - auch nach Deutschland.

Mit 15 kam Polina Gordienko aus Belarus nach München. Seitdem hat die inzwischen 23-Jährige das Abitur mit Notendurchschnitt 1,0 abgeschlossen, ein Studium begonnen und wurde zur Kommunalpolitikerin gewählt. Eigentlich klingt das nach einer Erfolgsgeschichte. Aber Polinas Weg war nicht einfach. Als minderjährige Migrantin hatte sie große Schwierigkeiten, ein Visum zu bekommen. In Deutschland angekommen, stieß sie auf weitere Hürden: Unwissen und Vorurteile gegenüber Menschen aus Osteuropa.

"[...] ich wusste, dass meine Mitschüler:innen natürlich nicht das diktatorische Regime in Belarus kennen und nicht wissen, dass seit einem Vierteljahrhundert eine Diktatur mitten in Europa gedeiht. Und wenn ich gesagt habe, ich komme aus Weißrussland, haben ganz viele Menschen gedacht, das wäre eine Region in Russland, und das Wort Belarus kannte sowieso fast keiner."

Polina Gordienko, Studentin und Kommunalpolitikerin

Wie Polina Gordienko geht es vielen Menschen, die aus Osteuropa nach Deutschland eingewandert sind. Ihre tatsächliche Herkunft scheint egal, sie sind verallgemeinernden Vorurteilen und einer Form der rassistischen Diskriminierung ausgesetzt. Die wird als Antislawismus bezeichnet. Aber was bedeutet das genau?

Definition

Video (2:21): Was ist Antislawismus?

  • Wenn Menschen andere wegen ihres Äußeren, ihrer Kultur, ihrer Herkunft, ihres Namens oder ihrer Religion ausgrenzen oder abwerten, spricht man von Rassismus.
  • Mit antiosteuropäischem Rassismus oder Antislawismus bezeichnet man es, wenn Menschen, die vermeintlich aus Osteuropa kommen, negativ beurteilt und abgewertet werden.
  • Typische Vorurteile sind: Russische Männer sind aggressiv und trunksüchtig, ukrainische Frauen sind schön und hinter reichen Männern her oder polnische Menschen sind billige Arbeitskräfte und klauen.
  • Die Nazis erklärten die slawischen Völker zu minderen Rassen, auf deren Kosten sogenannter Lebensraum im Osten erobert werden sollte.
  • Aufgrund dieser Idee ermordeten die Nazis in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Millionen von Menschen.

Antiosteuropäische Diskriminierung und Sexismus

Neben Armenfeindlichkeit und Antisemitismus ist Sexismus eine häufige Ausprägung von Antislawismus. Die freie Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Anastasia Tikhomirova beschäftigt sich intensiv mit der Thematik. Sie ist nicht nur Expertin, sondern auch Betroffene. Nach dem Motto "Jetzt erst recht", tritt sie mit betont stereotypem weiblichem Look auf, quasi als Empowerment (Selbstbestimmung erreichen).

"Ich habe oft damit zu kämpfen gehabt, dass Männer mich hypersexualisieren, aufgrund dessen, dass ich eine slawische Frau, eine russische Frau bin. […] Mir passiert das seit ich 13 bin, dass ich schon in der Schule als Russenschlampe, Russentussi beleidigt wurde."

Anastasia Tikhomirova, Freie Journalistin und Kulturwissenschaftlerin

Anastasia erlebt, dass es vielen Frauen mit osteuropäischem Migrationshintergrund so ergeht. Ihnen werden offenbar andere Normen und Werte zugeschrieben als Frauen mit einem westlichen Namen, sie werden entmenschlicht und objektifiziert. Menschen mit vermuteten Wurzeln im Osten Europas werden oft über einen Kamm geschoren. Dabei besitzt die Region – sie reicht vom Polarkreis bis ans Mittelmeer – eine große ethnische, historische, kulturelle und religiöse Vielfalt:

Zahlen und Fakten

Video (3:31): Europas Osten - Vielfalt statt Klischees

Quellen: "Europas Osten - Vielfalt statt Klischees" Format: PDF Größe: 102,67 KB

Identitätsverlust statt Diskriminierung?

Um sich von vornherein vor jeglicher Ausgrenzung zu schützen, hat sich die Familie von Liza Schwarz bei der Migration nach Deutschland dazu entschlossen, statt des russischen Namens einen deutschen Namen anzunehmen. Liza wurde damals der deutsche Name Lisa-Marie gegeben. Doch jetzt möchte sie ihren alten Namen wieder zurückhaben. Warum?

"Bezüglich meines jetzigen neuen eingedeutschten Namens, Lisa-Marie Schwarz, hab ich halt das Gefühl, Leute nehmen mich wahr wie ein reiches Mädchen Lisa-Marie aus einem Vorort. Und das macht total unsichtbar, dass meine Eltern eben aus der Sowjetunion, also aus der sowjetischen Ukraine, migriert sind und ihre Abschlüsse nicht anerkannt wurden in Deutschland. Meine Familie, meine Eltern haben als Müllmann und als Tupperparty-Veranstalterin gearbeitet, obwohl sie eigentlich studierte Leute waren."

Liza Schwarz, ihr Name wurde eingedeutscht

Antislawismus und der Ukraine-Krieg

Zurück zu Polina Gordienko: Damit andere es besser haben als sie damals, engagiert sich die Kommunalpolitikerin in einem Jugendzentrum für geflüchtete Jugendliche aus der Ukraine. Die sagen ihr, dass zwar nicht alles perfekt läuft, aber im Großen und Ganzen fühlen sie sich angenommen und nicht etwa diskriminiert. Im Gegenteil: Die Schüler:innen finden sogar, dass die Integration in der Schule gut läuft und waren überrascht davon, wie offen und tolerant auch mit Mitschüler:innen umgegangen wird, die beispielsweise schwarz sind oder gehörlos. Was sagt Polina Gordienko dazu, die selbst vor wenigen Jahren noch sehr unter Diskriminierung zu leiden hatte?

"Ja, also ich bin tatsächlich sehr positiv überrascht. Ich fand es sehr schön zu hören, dass die Kinder sich hier sehr wohl fühlen in der Schule und auch gut aufgenommen wurden. Sie haben ja auch berichtet, dass die deutschen Mitschüler:innen viel geholfen haben, auch mit dem Dolmetschen. Und ganz viele haben gesagt, wir möchten hierbleiben. Wenn man die Familie hierherbringen könnte, dann wäre das perfekt. Mit der Integration ist es immer so, je jünger man kommt, desto besser."

Polina Gordienko, Kommunalpolitikerin und Studentin

Polina Gordienko sieht damit gute Chancen für die langfristige Integration der ukrainischen Jugendlichen. Bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass diese positiven Erfahrungen anhalten und dass die Jugendlichen weiterhin ohne Diskriminierungserfahrungen in Deutschland leben.

Autor:innen: Redaktion Lernen und Wissenslab / js, jzw

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