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Antiziganismus

RESPEKT Antiziganismus

Stand: 09.11.2022

  • Rassismus gegen Menschen, die Sinti und Roma oder Jenische sind, bezeichnet man als Antiziganismus.
  • Über Jahrhunderte hinweg waren Sinti und Roma völlig ohne Rechte. Sie wurden verfolgt, vertrieben, ermordet.
  • Sie durften keine sesshaften Berufe ausüben. Wanderberufe und Armut waren die Folge, die Menschen wurden als Landfahrer bezeichnet und mit dem Z-Wort beschimpft.
  • Die Nazis systematisierten die Verfolgungen. Sie deportierten Sinti und Roma, führten Sterilisationen an ihnen durch und ermordeten sie in Vernichtungslagern. Man schätzt, dass dabei eine halbe Million Menschen ums Leben kamen.
  • Obwohl Sinti und Roma seit Jahrhunderten in Deutschland leben und seit Jahrzehnten sesshaft sind, wirken immer noch die gleichen Klischees und Vorurteile.
  • Sinti, Roma und Jenische werden in der Schule, auf dem Wohnungsmarkt und auf Ämtern auch heute systematisch benachteiligt.

Definition

Video (1:47) Was ist Antiziganismus?

Klischees über Sinti, Roma und Jenische haben nichts mit ihrer Alltagsrealität zu tun. Trotzdem halten sich Zerrbilder und Vorurteile hartnäckig. Eine Ursache dafür ist das große Unwissen über die Geschichte von Sinti, Roma und Jenischen. Damit sich daran zumindest in den Schulen was ändert, betreibt die Organisation Madhouse Aufklärung: Madhouse-Mitarbeiter wie Benjamin Adler gehen an Schulen und halten Fortbildungen, um Vorurteile abzubauen und Wissenslücken zu schließen.

"Mein Wunsch wäre, dass das Thema bundesweit in den Lehrplan verankert wäre und dass jeder, der in Deutschland eine Schulbildung genossen hat, zumindest mal von dem Thema gehört hat. Es muss nicht jeder Expertin oder Experte zum Thema Sinti und Roma werden. Aber jeder sollte so eine Art kleines Grundwissen haben."

Benjamin Adler, Bildungsreferent, Madhouse München

Interview

Gegen Rassismus: Schul-Mediator Johann Mettbach und seine Arbeit

Sinti und Roma heute

In Europa leben ungefähr 12 Millionen Sinti und Roma. Damit sind sie die größte ethnische Minderheit Europas. Ihre Vorfahren stammen aus Indien beziehungsweise aus dem heutigen Pakistan. Darauf deutet auch die Sprache der Sinti und Roma hin: Romanes ist verwandt mit dem indischen Sanskrit.

Der Weg nach Europa

Die Sinti und Roma kamen in mehreren Wanderbewegungen seit dem achten Jahrhundert nach Europa. Erste urkundliche Erwähnung in Deutschland: 1407 in Hildesheim. Die Migration fand aber nicht aus einem Wandertrieb heraus statt. Ein Klischee, das sich bis heute hält. Grund waren vielmehr Kriege, Verfolgung und Vertreibung. Die Ankunft und der weitere Aufenthalt der Sinti und Roma in Europa verliefen widersprüchlich. Sie wurden meist zunächst als Pilger angesehen, und so bekamen sie Geleitbriefe von Königen und Fürsten, also eine Art Pass, mit dem sie sich frei von Region zu Region bewegen konnten. Doch als die Zugewanderten nicht wieder zurückgingen, sondern blieben, erfuhren sie Diskriminierung und Ablehnung und waren zu ständigen Ortswechseln gezwungen.

Zahlen und Fakten

Video (3:19): Geschichte der Sinti und Roma

Ein dunkler Höhepunkt der Verfolgungsgeschichte: der Nationalsozialismus. 1936 stuften die Nazis Sinti und Roma in den Nürnberger Gesetzen als sogenannte Artfremde ein, wie auch Jüdinnen und Juden. Es war ihnen etwa verboten, sogenannte Deutschblütige zu heiraten, da sie, wie es in der Sprache der Nazis hieß, "artfremden Blutes" waren. Ganze Familien wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Insgesamt verloren rund 500.000 Sinti und Roma aus ganz Europa durch diese systematisch geplante Vernichtung ihr Leben.

Zahlen und Fakten: Quellen (pdf)

Quellen "Geschichte der Sinti und Roma" Format: PDF Größe: 147,31 KB

Geschützte Minderheit

In Deutschland wurden diese Gräueltaten gegenüber dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erst 1982 durch Bundeskanzler Helmut Schmidt offiziell als Völkermord benannt. Außerdem gibt es heute das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten. Für Deutschland ist es 1998 in Kraft getreten und hat Geltung im Rang eines Bundesgesetzes. Konkret heißt das: Die deutschen Sinti und Roma sind eine der vier anerkannten Minderheiten in Deutschland neben den Lausitzer Sorben, der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe. Jegliche Diskriminierung dieser Minderheiten ist damit ausdrücklich verboten. Der Staat ist sogar verpflichtet, die jeweilige Kultur, Sprache und Identität offiziell zu schützen und zu fördern.

Sinti, Roma und Jenische?

Roma ist ein Oberbegriff für eine Reihe von Bevölkerungsgruppen, denen eine Sprache, Romanes, und mutmaßlich auch eine historisch-geographischer Herkunft gemeinsam ist. Roma sind seit mindestens 700 Jahren in Europa beheimatet, sind in ihren jeweiligen Heimatländern stets Minderheiten und bilden keine geschlossene Gesellschaft: Roma teilen sich in zahlreiche unterschiedliche Gruppen mit vielfältigen, von Sprache, Kultur und Geschichte ihres jeweiligen Heimatlandes geprägten Besonderheiten. Der weibliche Singular ist Romni, (Mehrzahl: Romnija) der männliche Singular ist Rom, auch Roma (Mehrzahl: Roma, auch Rom).

Sinti ist eine Eigenbezeichnung für eine Volksgruppe, die die Sprache Romanes spricht und seit dem Spätmittelalter in West- und Mitteleuropa und im deutschsprachigen Raum beheimatet ist. Der weibliche Singular ist Sintizza (Mehrzahl: Sintizze), der männliche Singular ist Sinto (Mehrzahl: Sinti). 

Die Jenischen gehören nicht zu den Sinti und Roma. Ihre Vorfahren stammen aus Europa, wo sie als "Fahrende" in vielen Ländern eine Minderheit bilden, die wie die Sinti und Roma sozial ausgegrenzt und verfolgt wurde.

Die Diskriminierung geht weiter

Chantal ist eine ganz normale Mitschülerin. Dass sie auch eine Jenische ist, erfahren Mitschüler:innen erst, als sich eine Freundin verplappert.

"Das war dann sehr schnell in der Schule verbreitet, im Pausenhof haben mich dann viele ganz komisch angeguckt. Und ich habe mich dann nur gefragt: Warum? Bis mir dann halt kam, weshalb. Weil die Mitschülerin dann sagte, warum werden die dich wohl so angucken? Es ging mir lange nicht in den Kopf."

Chantal

In der Schule will niemand mehr neben ihr sitzen, der Lehrer verhält sich ihr gegenüber anders als vorher, Mitschüler:innen spucken vor ihr aus oder rufen, sie solle vergast werden. Drei Jahre wird Chantal gemobbt und beleidigt, ohne dass die Lehrkräfte oder die Schulleitung einschreiten oder auch nur zuhören. Als ihr Tisch schließlich mit einem Hakenkreuz und dem Z-Wort beschmiert wird, sucht sie außerhalb der Schule Hilfe: Über einen Bekannten wendet sich Chantals Mutter an den Landesverband der Sinti und Roma in Bayern. Der stellt Strafanzeige, die Polizei ermittelt wegen des Hakenkreuzes. Und Patrycja Kowalska von einer Beratungsstelle für Opfer rechter Diskriminierung und Gewalt schaltet sich ein.

Erste Hilfe für Betroffene: zuhören, ernst nehmen

"Wir erleben oft, dass Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt nicht die Unterstützung erfahren, die sie eigentlich brauchen. Sie werden nicht ernst genommen, ignoriert, ihnen wird nicht geglaubt. Es wird nicht als relevant betrachtet, oder den Betroffenen wird abgesprochen, dass sie beispielsweise eine rassistische Erfahrung gemacht haben."

Patrycja Kowalska, Opferberatung B.U.D. Bayern

Ähnliche Erfahrungen hat auch der Mannheimer Rapper RealTschawo erlebt. Sein Sprachrohr ist die Musik und damit verschafft er sich Gehör, bei den Jugendlichen, aber auch bei Älteren. RealTschawo rappt davon, ein stolzer Sinto zu sein, weil es zu seiner Identität, zu seinem Leben gehört. Er wünscht sich, dass bald niemand mehr verbergen oder verheimlichen muss, wer und was man ist und wo man herkommt, und:

"Dass wir alle miteinander können. Dass wir in Frieden, Liebe und Harmonie miteinander leben können, nicht immer das Negative sehen. Und dass wir es irgendwann mal schaffen, in der Gesellschaft voll integriert und auch anerkannt zu sein."

RealTschawo, Musiker

Autor:in: Redaktion Lernen und Wissenlab / jzw

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