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Ziviler Ungehorsam

RESPEKT Ziviler Ungehorsam

Stand: 21.05.2023

"Klima-Kleber" – der oft abwertend benutzte Begriff steht für vieles. Für die einen steht dieser Begriff vor allem für blockierte Straßen, frustrierte Menschen, einen Rechtsbruch. Für andere bedeutet er eine starke Protestaktion und vollen Einsatz für den Klimaschutz. Zwei gegensätzliche Standpunkte. Stellt sich die Frage: Ist diese Form des Protests in einer Demokratie eigentlich zulässig – oder gar notwendig? Spoiler: Es kommt drauf an ...

Ziviler Ungehorsam – darin stecken zwei eher gegensätzliche Worte: Zivil, das bedeutet so viel wie "bürgerlich, mit Bürgersinn" und geht in Richtung "anständig". Ungehorsam hingegen meint, dass man sich geltenden Regeln widersetzt. Organisationen wie etwa "Die Letzte Generation" oder "Extinction Rebellion" nutzen diese bürgerlich-illegale Form des Protests, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und die Gesellschaft zu verändern. Sie begehen damit gezielt einen Rechtsbruch. Was aber genau macht Ungehorsam zivil?

Definition

Video (1:59): Was ist ziviler Ungehorsam?

Was ist ziviler Ungehorsam?

  • Ziviler Ungehorsam wird als politischer Protest eingestuft.
  • Der Begriff geht auf den US-amerikanischen Schriftsteller Henry David Thoreau (1817-1862) zurück.
  • Der ließ sich lieber einsperren, statt Steuern zu zahlen, weil er nicht unterstützen wollte, dass damit Kriege und Sklaverei finanziert wurden.
  • Ziviler Ungehorsam ist öffentlich und gewaltfrei.
  • Er verursacht mit Absicht Störungen, um Druck auf den Staat auszuüben und die Aufmerksamkeit in den Medien herzustellen.
  • Durch einen Rechtsbruch soll gegen Unrecht vorgegangen werden.
  • Teilnehmende an solchen Aktionen nehmen bewusst das Risiko auf sich, verletzt, bestraft und sogar verurteilt zu werden.
  • Ziviler Ungehorsam selbst gilt zwar rechtlich weder als Ordnungswidrigkeit noch als Straftat. Häufig verletzt er aber andere Gesetze, und bedeutet dann zum Beispiel Hausfriedensbruch oder Nötigung.
  • Ziviler Ungehorsam hat zum Ziel, die Demokratie zu verbessern.

Die "Letzte Generation"

Die "Letzte Generation" geht 2021 aus einer Protestaktion, einem Hungerstreik, hervor und ist seither in Deutschland und Österreich aktiv. Sie fordert konkret die langfristige Einführung des 9-Euro-Tickets, ein Tempolimit auf Autobahnen und die Einführung eines Gesellschaftsrats Klima. Michael Frey studiert in Passau European Masters, pausiert aber zurzeit und ist stattdessen täglich für die "Letzte Generation" im Einsatz.

"Wir müssen einfach sehen, dass es genügend Leute gibt, die eigentlich Vollzeit daran arbeiten, unseren Planeten zu zerstören. Und es reicht deshalb einfach nicht mehr, sich einmal die Woche zu treffen und drei Mal die Woche zu demonstrieren, so wie 'Fridays for Future', [das ist] leider nicht genug, und deshalb machen wir eben zivilen, friedlichen Widerstand."

Michael Frey, Aktivist 'Letzte Generation'

Michael Frey und die anderen Aktivist:innen müssen sich auf ihre Protestaktionen gut vorbereiten. Gerade für Neulinge kann die Konfrontation mit Andersdenkenden belastend sein. Deshalb üben sie in Rollenspielen unterschiedliche Situationen, die ihnen auch auf der Straße begegnen können – und wie man angemessen darauf reagiert. Denn die Proteste sollen unbedingt und jederzeit gewaltfrei bleiben, auch wenn Protestierende immer wieder beschimpft oder körperlich angegriffen werden. Etwa ein Mal pro Woche finden solche Trainings in ganz Deutschland statt.

Die Aktivist:innen haben historischen Vorbilder. Die haben Gesellschaften immer wieder verändert und modernisiert:

Zahlen und Fakten

Video (2:14): Beispiele für zivilen Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam macht Geschichte

  • Frauenwahlrecht: Anfang des 20. Jahrhunderts kämpfen Frauen in England für ihr Recht zu wählen. Um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen, spucken sie Polizisten ins Gesicht, schlagen Fenster ein oder stören Versammlungen. Sie werden "Suffragetten" (von engl.: suffrage = Wahlrecht) genannt. 1928 bekommen alle britischen Frauen ab 21 Jahren das Wahlrecht.
  • Nein zur Rassentrennung: In den USA der 1950er-Jahre gilt die Rassentrennung, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln. Rosa Parks weigert sich, im Bus ihren Platz für eine weiße Person frei zu machen. Ihrem Vorbild folgen viele und kämpfen damit gegen die Ungerechtigkeit. Bis 1964 wird in den USA schrittweise die Rassentrennung gesetzlich verboten.
  • Gegen Atomkraft: In Deutschland setzen sich Menschen seit den 1960er-Jahren gegen Atomkraft ein – zunehmend auch mit Blockaden und anderen Formen zivilen Ungehorsams. Sie ketten sich etwa in Gorleben an Bahngleise, weil dorthin Atommüll transportiert werden soll. Oder sie belagern Baugelände, wie in den 1980er Jahren in Wackersdorf, wo eine Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll gebaut werden soll. Sie verhindern diese Anlage. Und bereiten den Boden für den allgemeinen Atomausstieg Deutschlands. Den beschließt 2011 eine CDU-FDP-Regierung.

Quellen: "Zahlen und Fakten: Ziviler Ungehorsam" Format: PDF Größe: 303,93 KB

Folgen der Proteste

Aktionen zivilen Ungehorsams haben häufig Auswirkungen für die Bevölkerung. Im Falle der "Letzten Generation" äußert sich das etwa in langen Staus auf den Straßen. Dadurch entsteht großer Unmut, denn für viele Menschen bedeutet das, dass sie nicht pünktlich zur Arbeit, zu Arztterminen oder anderen Verabredungen kommen. Ihr Recht auf Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt. Auf der anderen Seite haben die Protestierenden ein Recht auf Versammlungsfreiheit, und dabei dürfen sie auch den Ort frei wählen, an dem sie demonstrieren möchten. Und sei es mitten auf der Straße, wo sie wahrgenommen werden.
Noch kommen die Aktivist:innen deswegen häufig mit dem Gesetz in Konflikt. Aber das könnte sich bald ändern, meint der Politikwissenschaftler Christian Volk:

"Im März 2021 wurde das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung für verfassungswidrig erklärt. (…) Ein zentrales Argument (…) war, dass diese Art von Klimaschutz, die quasi das Gesetz gestaltet, nicht ausreicht, um die desaströsen Folgen für zukünftige Generationen abzuwenden. Und dadurch schränkt man den Gestaltungsspielraum, den Freiheitsspielraum zukünftiger Generationen auf eine Weise ein, die nicht mit dem Grundgesetz kompatibel ist. Und ich kann mir vorstellen, dass das nicht die letzte Entscheidung in diese Richtung gehend sein wird. Also dass es dazu kommt, diese Aktionen anders einzuordnen, nämlich beispielsweise als nicht strafwürdige Aktionen, sondern als rechtfertigbar vor dem Hintergrund der Situation, in der wir uns derzeit befinden."

Professor Christian Volk

Eine Straftat begehen die "Klima-Kleber" also nicht unbedingt. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass Verkehrsteilnehmende die Polizei benachrichtigen. Diese sorgt dann dafür, dass der Verkehr wieder weiterlaufen kann. Sie weist den Demonstrierenden oft einen anderen Platz zu. Weigern sich die zu gehen, kann die Polizei sie entfernen. Häufig endet es damit, dass die Aktivist:innen auf die Wache genommen werden. Trotz eines solch abrupten Endes erreichen die Aktivist:innen aber ein Ziel: Sie sind im Gespräch. Und damit bleiben auch ihre Themen in unserem Bewusstsein und damit auch auf der Agenda der Politik. Was immer auch der Protest der "Klima-Kleber" letztlich bewirkt: Ziviler Ungehorsam ist wichtig für Demokratie.

Autor:innen: Redaktion Lernen und Wissenslab / lmh

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