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Mit Comics lernen Warum feministische Comics auf die To-Read-Liste gehören

Während des Corona-Shutdowns bleibt jetzt viel Zeit zum Schmökern - und von den feministischen Comics zu lernen. Eine gute Dosis Feminismus und Empowerment - das sind die Sachcomics für den akademischen Diskurs. Hier werden Politik, Wissenschaft, klassische Kunst aus einer neuen Perspektive gezeigt - persönlich, humorvoll und ausgesprochen divers.

Von: Mariia Fedorova

Stand: 31.03.2021

Comic "Der Tausch" - Kur für das Patriarchat

Comicszenen aus "Der Tausch" von Lisa Frühbeis

Stellt euch mal vor, Menschen machen einen kleinen Tausch in Sachen männliche und weibliche Anatomie. Die Männer hätten jeden Monat ein einziges kostbares Spermium und die Frauen hätten Millionen von Eiern zur Verfügung. Was würde dann passieren?  

Comicszenen aus "Der Tausch" von Lisa Frühbeis

Dieses Szenario wird im Comic "Der Tausch" durchgespielt, am Ende sehen die Leser*innen: dem Patriarchat würde es schon gut tun, kurz in den weiblichen Körper zu schlüpfen - um am eigenen Leib zu spüren, was es bedeutet, wenn die weibliche Anatomie und Sexualität mit negativen Zuschreibungen behaftet werden. 

Aus Comics lernen: Lisa Frühbeis Weg zum Comic "Busengewunder"

Ja, solche Was-wäre-wenn-Gedankenspiele tun gut, davon ist Illustratorin und Comic-Zeichnerin Lisa Frühbeis überzeugt. "Der Tausch" ist einer von vielen feministischen und autobiographischen Comic-Kolumnen der Künstlerin, die nun als Sammelband erscheinen. Der Titel beschreibt das Programm: "Busengewunder".

"Ich wollte ein Wortspiel, ich wollte, dass Leute ein bisschen lachen. Auf dem Bild sieht man meine Figur, die Lisa-Figur, wie sie, wie der Denker da sitzt und nachdenkt. Ich fand es passend, weil das ganze Buch im weitesten Sinn über Frauen geht. Und vor allem darum, das ist ein übergreifendes Thema: Wie werden Frauen von der Gesellschaft betrachtet. Und das ist schon in dem Titel mit drin."

Lisa Frühbeis, Illustratorin und Comic-Zeichnerin

Im Sammelband "Busengewunder"

Szenen aus dem Comic "the bloody circle of life" von Lisa Frühbeis

Der Band ist eine Sammlung an kurzen Stories über die klassischen Schönheitsideale, über Körperbehaarung, über Sexismus in der Wirtschaft oder im deutschen Gesetzbuch. Was noch drin ist - eine Liste mit den Kosenamen der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane. Sie können viel über unsere Gesellschaft verraten, so Lisa Frühbeis. "Ich habe erstmal die Wörter recherchiert und sie dann gezeichnet. Erstens hatte ich natürlich eine Irrsinns-Google-Historie und dann musste ich auch etymologisch ganz viel und lange recherchieren. Aber ich genieße es total, dass ich diese nerdigen Inhalte in meinen Comics verarbeiten darf."

Szenen aus dem Comic "the bloody circle of life" von Lisa Frühbeis

Kosenamen der Geschlechtsorgane als nerdiges Wissen, als Ausflug in die Etymologie? Durch ihre Bilder greift Lisa Frühbeis in das Spannungsfeld von Geschichte, Alltagssprache, Politik und Popkultur ein. Und stößt die Figur eines klassischen Denkers, eines männlichen Wissenschaftlers und Philosophen vom Sockel - nicht nur durch das Buch-Cover, sondern auch durch die Inhalte. Damit ist sie nicht alleine. 

Aus der Nische in den Mainstream

Cover con "Das Busengewunder" von Lisa Frühbeis

Feministische Sachcomics in Deutschland - für den Mainstream nur bedingt interessant? Zumindest war das bis vor kurzem so. Die internationale Comic-Szene galt lange als Männerdomäne. In Deutschland wurde die Comic-Kunst außerdem immer mit spitzen Fingern angefasst, anders als in Frankreich oder in den USA. Comic war reine Unterhaltung, dazu noch eine subkulturelle Nische. Dieses Image ist nun teilweise überwunden. "Jetzt hat es Comic geschafft im Buchhandel und im Journalismus anzukommen - und in der Wissenschaft". bestätigt Jonas Engelmann, Autor und Verleger, der über die Gesellschaftsbilder in Comics promoviert hat. Für ihn hatte das Medium Comic schon immer einen feministischen Subtext. "In der Frühzeit des Comics waren sehr viele Frauen tatsächlich aktiv als Zeichnerinnen, als Texterinnen". In der Frühzeit, das war bevor Comics sich als ein Helden-Entertainment manifestiert haben - gemacht von Männern für die Jungs. 

Gemeinschaftsprojekt "Feminist Comic Network"

Szene aus "Girlsplaining" von Katja Kegel

Jetzt ist hierzulande eine vitale Comicszene entstanden – mit vielen Frauen. Comics sind ein Sprachohr der jungen Generation und voller politischem Content. In Deutschland organisieren sich feministische Zeichnerinnen in einem Gemeinschaftsprojekt "Feminist Comic Network". Comicmagazine, wie das feministische "Spring Magazin" sind zu etablierten Medien geworden.

Kurzum: Dass Autorinnen sich durch Comics auf anspruchsvolle Weise mit politischen, naturwissenschaftlichen, soziologischen Themen auseinandersetzen, rückt jetzt wieder mehr ins Bewusstsein. 

Sartre-Denke in Comics augearbeitet

Szene aus "Ich fühls nicht" von Liv Strömquist

Die Initialzündung dafür hat unter anderem die schwedische Autorin Liv Strömquist gegeben. Ihre Comics befassen sich mit den Themen Familie, romantische Liebe, die Sichtbarkeit der Frauen. Ihre Stories sind Theorie lastig, klassische Werke der Psychoanalyse und Soziologie werden hier benutzt, um eigene Thesen aufzustellen. Für Jonas Engelmann - eine selbstbewusste Art mit der Wissenschaft umzugehen.
"Sie nimmt die Denker des 20. Jahrhunderts mit deren Aussagen wörtlich, und konfrontiert sie dann mit bestimmten problematischen Aspekten. Sartre ist zum Beispiel so ein Denker, an dem sie sich abarbeitet. Er hat auf sehr männliche Art und Weise über Frauen geschrieben. Sie lässt seine Aussagen stehen und konfrontiert sie mit dem wörtlich genommen Bild."
Dabei zeigt Strömquist die Wiedersprüche in verschiedenen Denkschulen - und erzielt hohe Verkaufszahlen mit ihren Büchern. Mittlerweile gibt es kaum Themen, die den Sachcomics verschlossen bleiben - ob Biographien historischer Persönlichkeiten, Stories über naturwissenschaftliche Entdeckungen oder die politischen Bewegungen, journalistische Reportagen oder Betrachtungen der Kulturgeschichte. 

Mit Stift und Humor aufklären 

Szene aus "Unerschrocken" von Pénélope Bagieu

Die junge Generation feiert Comic-Kunst und dafür gibt es gute Gründe. "Bild greift natürlich viel emotionaler an. Während Fakten im Kurzzeitgedächtnis landen, landen Emotionen und Stories im Langzeitgedächtnis" sagt Lisa Frühbeis. "Das Bild kann viel schneller in diesen Emotionsbereich gehen und das ansprechen." Eine Bild-Text-Symbiose, ausgeschmückt mit persönlichen Anekdoten und subjektiven Beobachtungen - ein guter Wegweiser in die Themen, die davor bleischwer, ausufernd ausgesehen haben. Comics können die Kluft überwinden. Sie transportieren Bilder von den Wissenschaften und von den Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen, deren Motivationen, Emotionen, Verdienste und Verfehlungen, glaubt Jonas Engelmann. "Ein Geschichtsbuch oder ein Dokumentarfilm über irgendwelche historischen Ereignisse tut ja immer letztendlich so, als wäre es objektiv, als würde Geschichte objektiv abgebildet werden, was ja natürlich so einfach nicht stimmt. Der Comic versucht das erst gar mal. Er geht anders mit der Geschichte um und regt vielleicht dadurch an, anders über die Geschichten nachzudenken." 

Die Learnings daraus: im besten Fall lernt man, wie man Narrative hinterfragt und die Themen aus Alltagskultur, Politik und Wissenschaft auch mal gegen den Strich liest, so Jonas Engelmann. "Weil es letztendlich darum geht, diese ganzen Theorien nicht so ehrfürchtig zu behandeln, vor allem tatsächlich mit Ihnen zu arbeiten und sie auch kritisch zu hinterfragen." 

Chance auf eine Dissertation in Comic-Form?

Die Wissenschaft hat also ihren Weg in den Comic gefunden. Ob Comics auch ihren Weg in die Wissenschaft finden? Und ob sie es überhaupt brauchen?

Jonas Engelmann, Literaturwissenschaftler, Autor und Verleger | Bild: Jonas Engelmann, Ventil Verlag

"Als Leser der Comics würde ich sagen, dass es dem Medium vielleicht gut tut, vom Rand der Gesellschaft auf die Gesellschaft zu blicken, aus der kritischen Distanz. Und nicht ganz im Mittelpunkt zu stehen. Aber vielleicht wäre es auch gut für den Comic, wenn er als Medium der Wissenschaft ernster genommen würde. Warum soll es nicht zum Beispiel eine Dissertation in Comic-Form geben, die sich einem komplexen Thema auch auf dieser Ebene nähert?"

Jonas Engelmann, Literaturwissenschaftler, Autor und Verleger

Comics - eine Definiton

Comics gibt es seit ca. 120 Jahren. Sie gehören zu den wenigen Medien, deren Entstehung nicht mit einer spezifischen technischen Erfindung oder Entwicklung einhergegangen ist. Sie sind in ihrer Entstehungsphase an das Massenmedium Zeitung gebunden gewesen und eroberten als One-Pager und Comic-Strips die US-amerikanischen Zeitungen. In den 1930er-Jahren entwickelte sich nicht zuletzt durch Vermarktungsstrategien der großen Syndikate in den USA ein neues, standardisiertes Format – das Comic Book, das Comic-Heft. Das Comic-Heft widmete sich in verschiedenen Genres Abenteuer-, Science-Fiction-, Western- und natürlich Superheldengeschichten und war damit ganz auf die jeweiligen Zielgruppen abgestimmt. Auch in Europa und damit Deutschland erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts Comic-Strips in Zeitungen, Illustrierten und Jugendmagazinen. In Europa entwickelte sich eine eigenständige Comic-Szene; insbesondere französische und belgische Produktionen sollten Erfolge weit über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus feiern.

Mehr zu der Geschichte der Sachcomics und zur Anwendung von Sachcomics im pädagogisch-didaktischen Bereich oder in der historisch-politischen Bildung findet ihr bei transkript Verlag.

Urs Hangartner / Felix Keller / Dorothea Oechslin (Hg.)
Wissen durch Bilder - Sachcomics als Medien von Bildung und Information
erschienen im transcript Verlag


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