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Mythos Mathematik Nur etwas für Cracks und Nerds?

Wer Mathe studiert, muss ein Talent für das Fach haben! Das Studium gilt als besonders schwer. Jeder Zweite bricht wieder ab. Damit hat Mathe die höchste Abbruchquote aller MINT-Fächer. Ist ein Mathestudium also tatsächlich nur etwas für Überflieger? Und stimmt der Ruf, dass Mathestudenten „Nerds“ sind?

Von: Friederike Kühn

Stand: 16.12.2019 | Archiv

Mythos Mathematik: Nur etwas für Cracks und Nerds?

Mathestudenten sind nicht alle Überflieger, aber gut in der Schule sollte man natürlich schon gewesen sein. Wer allerdings glaubt, mit 15 Punkten im Abitur auch im Mathestudium zu den Besten zu gehören, erlebt oft eine Enttäuschung. Denn: Mathematik an der Uni hat nur wenig mit Mathe an der Schule zu tun, meint Julia Kraus. Sie hat den Master of Science in Mathematik gemacht.  

"An der Schule lernt man, wie man rechnet. Man lernt Regeln, wie man richtig dividiert, und wenn man das oft genug übt, dann weiß man irgendwann wie das funktioniert. An der Uni hingegen lernt man, wie man zu diesen Regeln kommt, man beweist. Dieses mit Zahlen rechnen, gibt’s eigentlich nicht mehr. Es wird viel abstrakter, weniger greifbar."

  Julia Kraus, Mathematik Master of Science

Mit dieser Art von logischem, abstraktem Denken tun sich viele Studienanfänger schwer. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung DZHW bricht jeder zweite Studienanfänger ab. Nicht alles gleich zu verstehen, ist im Mathestudium aber erstmal völlig normal. Das Tempo in den Vorlesungen der Hauptfächer Lineare Algebra, Analysis und Stochastik ist hoch. Die Studierenden müssen sich den Stoff nachträglich nochmals erarbeiten. Auch Übungsaufgaben lösen, gehört zum Studium. Wichtig ist, sich mit Kommilitonen zu vernetzen, meint Niklas Weber, Mathestudent im Masterstudiengang, und sich Probleme, die man selber nicht versteht, von anderen erklären zu lassen.

"Wenn Du schon drei Stunden auf irgendeine Stelle im Buch gestarrt hast und Dir denkst, ich begreif’s nicht, dann kommt vom anderen die Nachricht: ‚Schau doch nochmal eine Stunde länger rein: Ich glaub‘, ich hab’ jetzt was verstanden.‘ Und dann investiert man vielleicht nochmal eine Stunde. So kann man sich gegenseitig puschen. Nicht weil einer besser wäre als der andere, aber man macht halt die Sprünge nicht immer gleichzeitig. So habe ich mich mit meinen Freunden ganz gut durchgehangelt."

Niklas Weber, Masterstudiengang Finanz- und Versicherungsmathematik

Um dieses schwere Studium zu bewältigen, muss man also viel Zeit investieren. Stundenlang über einzelnen Fragestellungen zu grübeln, gehört dazu. Trotzdem seien Mathematikstudenten keine „Nerds“ meint Carolin Bauernhenne, eingeschrieben im Elitestudiengang „Topmath“ an der Technischen Universität München.

„Ich würde sagen, es gibt ganz verschiedene Typen von Menschen, die im Mathestudium Platz haben.“ Wie ein Nerd sieht Carolin auch überhaupt nicht aus, obwohl sie ein echter Mathe-Crack ist. Nach dem Bachelor schreibt sie direkt ihre Doktorarbeit.

"Was meiner Meinung nach am wichtigsten ist, ist der Spaß am abstrakten Denken. Und natürlich braucht man Geduld, wenn man ein Problem nicht zu lösen schafft. Nicht auf den ersten Schritt, nicht auf den zweiten. Aber wenn man genug Spaß am abstrakten Denken hat, dann kommt die Geduld automatisch."

Carolin Bauerhenne, Topmath Technische Universität München

Inzwischen studieren viele Frauen Mathematik. Im Lehramt sind es laut Statistischem Bundesamt sogar über 60%. In den wissenschaftlichen Studiengängen, dem Bachelor und Master of Science, nur rund 35 %. Dass Mathe nichts für Mädchen ist, ist also eine der Mythen, die nicht zutreffen. Aber noch sind die Frauen in den wissenschaftlichen Studiengängen in der Minderheit.

Mathematiker haben gute Berufsaussichten

Dabei sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Mathematikerinnen und Mathematiker hervorragend. Die Arbeitslosigkeit liegt nach Schätzung der deutschen Mathematiker-Vereinigung bei nur 0,8 %. Praktisch Vollbeschäftigung. Die Absolvent*innen sind in fast allen Branchen gefragt. Weil sie strukturiert an Probleme herangehen, vor hochkomplexen Fragen nicht zurückschrecken, logisch und präzise denken können, sind sie universell einsetzbar. Und gerade im Zuge der Digitalisierung entstehen neue Arbeitsfelder, die für Mathematiker*innen geeignet sind.

Julia Kraus hat nach ihrem Abschluss gleich einen Job bei einem Unternehmen für Haushaltsgeräte in München gefunden. Sie arbeitet in der Abteilung „Data Science & Analytics Architecture“. Für das Unternehmen wertet sie mit Hilfe von Algorithmen große Datenmengen aus, die neuerdings etwa bei der zunehmend digitalisierten Produktion der Hausgeräte anfallen. Ihre Chefin, eine Wirtschaftswissenschaftlerin, schätzt die Kompetenz ihrer Mitarbeiterin.

Auch in Unternehmensberatungen, im Banken- und Versicherungswesen sind Mathematiker*innen gefragt. Deswegen gibt es inzwischen auch mathematische Studiengänge, die Mathematik mit Wirtschaftswissenschaften verbinden. In der Finanz- und Versicherungsbranche sind Mathematiker*innen wertvoll, weil sie systematisch Risiken einschätzen oder Vorhersagen treffen können.

Ein Studium der Mathematik bietet also viele Möglichkeiten und Karrierechancen. Wer Lust am abstrakten, logischen Denken hat, Ausdauer und Hartnäckigkeit mitbringt, sollte es also wagen!


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