Studieren in China Mit der Studienstiftung ins Reich der Mitte
Maren Ring studiert Mathematik und war mit der Studienstiftung und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in Nanjing. Sie hat das Einmaleins der Chinesischen Sprache und einen Berg an Erfahrungen mitgebracht.
"Noch vor ein paar Tagen habe ich mich einsam gefühlt. Jetzt komme ich gerade von Freunden, laufe durch die engen dunklen Gassen, vorbei am Marktplatz, am noch beleuchteten Obststand, wo ein Mädchen Äpfel kauft. Der Wind ist noch heiß vom Tag, chinesische Worte schwirren mir durch den Kopf, ein Lachen kommt mir bei Gedanken an Szenen des Abends. Ein Mann hat sein T-Shirt hochgerafft, um seinem Bauch etwas Abkühlung zu verschaffen, er ruft eine Katze und grinst mich an, als ich verwundert schaue. Als die Katze tatsächlich hergelaufen kommt, reckt er seinen Bauch stolz gen Nachthimmel. Auf einer schwach leuchtenden Neonreklame stehen die Zeichen für Zigaretten, Alkohol, Milch und Tee geschrieben, in einer Gasse weiter sind mit einer roten Leuchtkette die Zeichen für Fußmassage. Ich freue mich, dass ich es alles verstehe, gehe weiter, auf Zehenspitzen durch den Dreck der Baustelle vor meinem Haus, schaue dem Hund am Hauseingang nach, der sich vor mir verkriecht, gehe die unbeleuchtete, schmutzige Treppe aus rohem Beton hoch in den fünften Stock, dem Stockwerk, wo das Gerümpel am Zwischenabsatz steht. Ich klappe die nicht mehr schließende Eisentür auf, schließe dahinter die Holztür auf, ziehe mir die Schuhe aus, sage meiner Mitbewohnerin ‚晚安' – 'Gute Nacht', lasse mich auf mein Bett fallen und denke mir - hier bin ich zu Hause."
Maren Ring
Vom Alien zum "Local" – Wie ich mich in China eingelebt habe
Ich weiß nicht, seit wann – diese Szene habe ich nach etwa sechs bis sieben Monaten in China aufgeschrieben – aber irgendwann fing ich an, mich in China zu Hause zu fühlen. Nach den ersten Monaten der Euphorie war es eine Zeit lang nicht leicht, sich in China wohlzufühlen. Chinesisch lernen geht tatsächlich sehr langsam, man macht sich Sorgen um seine Gesundheit wegen Hygiene, Wasser- und Luftverschmutzung und mit blonden Haaren fällt man auch unter einer Million Menschen noch auf. Auf der Straße schauen mir auch immer noch Leute nach, in Geschäften flüchten immer noch Verkäuferinnen, bis ich ihnen durch Hinterherreden verständlich mache, dass ich Chinesisch sprechen kann und am Bahnhof muss ich mich immer noch am Schalter statt am Automaten anstellen, um mein Bahnticket mit ausländischem Pass abholen zu können. Aber etwas hat sich verändert. Viele Blicke in vollen Bussen nehme ich einfach nicht mehr wahr und ich spreche gelassener Chinesisch, sodass mir nicht wie einem tauben Menschen mit Händen, Füßen und lauten Wortfetzen geantwortet wird. Ich bin auch nicht mehr nervös, wenn ich Dinge übers Telefon regeln muss, zumindest nicht nervöser, als ich es sowieso am Telefon bin, auch wenn ich Deutsch sprechen kann. Unter chinesischen Freunden bin ich kein herausstechender Alien mehr, sie wundern sich mittlerweile selbst manchmal, wenn sich Leute mit mir fotografieren lassen wollen.
Mein Stipendium und der Entschluss nach China zu reisen
Im dritten Semester meines Mathematik-Studiums in München begann ich, Chinesisch zu lernen. Der Grund war relativ banal: Weil es ging. Mehr und mehr faszinierten mich Sprache und Land und ich wollte China kennenlernen und die Sprache 'richtig' lernen. Als ich die Beschreibung des China-Stipendien-Programmes der Studienstiftung und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung sah, war ich sehr begeistert. Ein komplett finanziertes, individuell gestaltbares Jahr in China, mit Studium, Praktikum und Reisen, mit vorab Intensivkursen in Sprache und Landeskunde – wie kann man ein Land besser kennenlernen? Ich rechnete mir nicht besonders hohe Chancen aus, aber nach einem langen Auswahlverfahren wurde ich genommen. Zusammen mit zehn Stipendiaten fuhr ich nach China. Die anderen Stipendiaten zu kennen, gab mir sehr viel Sicherheit. Auch wenn sie in verschiedenen Städten waren, konnte man sich mit ihnen austauschen, zusammen reisen, sich gegenseitig helfen sich zu integrieren und hatte einen Rückhalt für Krankheit und Notfälle.
Die akademische Welt Chinas
Ich ging nach Nanjing, eine Großstadt am Jangtse-Fluss, wo ich eine WG mit einer Chinesin in meinem Alter fand und ein Semester lang jeden Tag Sprachkurse besuchte. Die Sprachkurse waren sehr verschult, aber gut. Nach und nach begann ich Mathematik-Professoren anzuschreiben und konnte dann auch Mathe-Vorlesungen hören. An den Fachkursen verwunderte mich am meisten, wie ähnlich sie zu denen in Deutschland waren. Eine Vorlesung über Lie-Algebren, die ich hörte, hätte eins-zu-eins auch so in Deutschland gehalten werden können, sowohl inhaltlich, als auch vom Unterrichtsstil her. Es ergab sich schließlich auch die Möglichkeit für mich, meine Masterarbeit an der Nanjing University zu schreiben, sodass ich im zweiten Semester statt des vorgesehenen Praktikums die akademische Welt Chinas kennenlernen konnte.
Der Alltag in Nanjing, meiner Wahlheimat in China
Mein Alltag begann morgens in der Regel mit einer Nudelsuppe mit meiner Mitbewohnerin Xu Xu (徐栩). Dann ging ich in die Bibliothek, ins Büro des betreuenden Professors oder ins Café, um an meiner Masterarbeit zu schreiben und besuchte Vorlesungen und Sprachkurse. Die Abende verbrachte ich mit Freunden, vor allem Hong (洪) und Xiao Gao (小高), die regelmäßig bei mir übernachteten, weil meine Wohnung im Zentrum der Stadt lag. Von ihnen lernte ich viel über die chinesische Kultur und das Brauchtum. Das Drachenbootfest zum Beispiel: Es wird zu Ehren des Dichters QuYuan gefeiert, der im Jangtse-Fluss ertrunken sein soll. Damit die Fische den Leichnam nicht aßen, fuhren die Leute mit Booten aufs Wasser und warfen Reisbällchen hinein.
Wir gingen in Parks, in Shoppingmalls, auf Nightmarkets, ins Kino, zum Karaoke, in Restaurants, kochten gemeinsam, trafen uns in Bars oder Cafés, spielten Badminton, gingen in die Kletterhalle, wanderten auf Nanjings Stadtberg oder schlenderten durch die Straßen. Am Wochenende und zwischendurch konnten wir viel reisen. Wenn man einigermaßen Chinesisch spricht, ist China das perfekte Reiseland: Transport, Essen und Unterkunft sind sehr günstig und sowohl landschaftlich, als auch kulturell gibt es eine riesige Vielfalt zu entdecken.
China ist ein Land der Gegensätze
Das Leben auf dem Land, wie hier bei der Familie von Marens neuer Freundin Hong in der Provinz Anhui, steht im krassen Kontrast zur Großstadt.
In China findet man riesige Großstädte, einsame Bergregionen, Urwald, Wüste, Reisterrassen, einsame Klöster, ethnische Minderheiten mit völlig eigener Kultur, die Terrakotta Armee und die große Mauer und noch viel mehr. Besonders schön fand ich es, wenn Freunde mich zu ihren Familien einluden. Es war für mich schwer zu begreifen, dass meine Freunde, die in der Großstadt studieren und arbeiten, die die gleichen Hobbies haben wie ich und sehr auf Smartphones und neueste Technik abfahren, von Höfen ohne fließendes Wasser kommen, wo morgens die Wasserbüffel spazieren geführt werden, wo es keine Toilette gibt, sondern man aufs Feld geht, wo neben dem Hoftor ein kleines Tor für die frei herumlaufenden Hühner und Enten ist.
Man hört immer wieder, China sei ein Land der Gegensätze. Und das stimmt. Für jedes Klischee, das man kennt, findet man Beispiele und wenn man nochmal hinschaut zur gleichen Zeit mindestens genauso viele Gegenbeispiele.
Länderinfo: China
- In der Volksrepublik China leben circa 1,4 Milliarden Menschen. Hier werden neben dem Hochchinesischen ("Putonghua") auch Dialekte des Chinesischen und verschiedene Minderheitensprachen wie Mongolisch, Tibetisch, Uigurisch, Turksprachen und Koreanisch gesprochen.
- Nach Russland, Kanada und den USA ist China flächenmäßig das viertgrößte Land der Welt.
- Im Norden grenzt China an die Kirgisische Republik, an Kasachstan, die Mongolei und die Russische Föderation, im Osten an das Gelbe Meer und das Ostchinesische Meer sowie an Nord-Korea, im Süden an Vietnam, Laos, Myanmar, Indien, Bhutan und Nepal und im Westen an Tadschikistan, Afghanistan und Pakistan.
- An den meisten staatlichen Hochschulen wird momentan ausschließlich in chinesischer Sprache gelehrt. Für Studierende, die ein Auslandssemester in China absolvieren möchten, gibt es an einigen chinesischen Hochschulen jedoch zum Teil ein speziell für sie erstelltes englischsprachiges Studienangebot.
- Das akademische Jahr in China ist in zwei Semester unterteilt, die von Mitte Februar / Anfang März bis Juli und von September bis Mitte Januar / Anfang Februar dauern.