Campus Reportage Auf Leben und Tod - Pflegende Studierende
Nichts ist mehr so wie es war: Papa ist krank, schwerkrank. Was tun, wo doch das eigene Leben eigentlich gerade erst anfängt - aber man es nicht wirklich leben darf, weil Papa niemand anderen hat, der ihn pflegen kann? Der 23-jährige Murtaza Köksal ist einer von vielen Studierenden, die sich in einer universitären Grauzone befinden: sie pflegen – anstelle an die eigene Karriere zu denken.
Studierende, die die Verantwortung für ein Familienmitglied übernehmen und ganz oder teilweise pflegen, sind neben der physischen und psychischen Belastung in Bezug auf ihr Studium vor allem mit einer zeitlichen Einschränkung, was Lernen betrifft, konfrontiert. Und oft dazu in einer finanziellen Notlage, weil keine Zeit zum Jobben da ist.
Pflegende Studierende übernehmen in einem hohen Maß Verantwortung.
Studien zeigen, dass die Pflegesituation oft mit Schamgefühlen einhergeht und die eigene Leistung eher unterschätzt wird. Noch ist es zu wenig, was die Hochschulen ihnen an Unterstützung bieten können. Im Rahmen eines Pilotprojektes entwickeln die Hochschulen Hildesheim, Holzminden und Göttingen zur Zeit Unterstützungsangebote für betroffene Studierende, auch durch konkrete Zusammenarbeit mit engagierten Studierenden, die als Mentoren oder Tutoren fungieren und einen intensiveren und schnelleren Kontakt zu den pflegenden Studierenden knüpfen können.
Trotz der zeitlichen und finanziellen Not erwerben pflegende Studierende auch oft Kompetenzen: Sie gehen strukturierter an Dinge heran, übernehmen Verantwortung und lernen zielstrebig.
Murtaza Köksal ist 23 Jahre alt. Sein Wunschstudium Jura in Trier mußte er nach der Zwischenprüfung abbrechen, da die Parkinson-Erkrankung seines Vaters immer schlimmer wurde.
Er zog zurück zu seinen Eltern, begann, seinen Vater zu pflegen – und das Fernstudium Wirtschaftsrecht Master Online über die Hamburger Fernhochschule HFH. Als einziges Kind eines ehemaligen Gastarbeiters aus der Türkei sieht es Murtaza als seine Pflicht, die Verantwortung für seine Eltern über seine eigenen Karrierewünsche zu stellen.
"Hier muß sich gehörig etwas ändern! Ich darf nur 100 Euro dazuverdienen, jeder Verdienst darüber hinaus wird meinen Eltern von ihrer Unterstützung und Rente abgezogen."
Murtaza Köksal
Steffi Obster (34) pflegt ihre demenzkranke Oma und studiert berufbegleitend Pflegemanagement mit Abschluss Bachelor, ebenso im Fernstudium.
Ihre Familie pflegt sie seit 18 Jahren: zuerst fünf Jahre den Opa, dann seit 13 Jahren die Oma. Steffis Sorge gehört ihrer Mutter, die die langjährige Pflege stark mitnimmt. Kraft findet die gelernte Krankenschwester in ihrem Beruf als stellvertretende Stationsleiterin in der Inneren Medizin im Uniklinikum Regensburg, wo die Leiter ihr Studium fördern. Doch der Personalmangel verhindert, dass Steffi mehr Zeit dafür aufwenden kann.
"Meine Oma hat mich getragen, als ich klein war und war für mich da. Heute trage ich sie und bin für sie da."
Steffi Obster