31.12.-1.1. Auf ein Neues! Neujahrskultur rund um den Globus
Vergangenes hinter sich lassen, Neues begrüßen, die Zukunft positiv beeinflussen - auf der ganzen Welt markieren Neujahrsfeste Zeiten des Übergangs, geben Sicherheit und bringen Menschen zusammen.
Kulturelle Konstanten: Rituale des Übergangs
Der Experte
Den Jahreslauf mit Festen und Bräuchen zu strukturieren, ist für den Kulturwissenschaftler Manuel Trummer eine Grundkonstante des menschlichen Zusammenlebens. Vor allem Übergangszeiten, die mit vielen Unsicherheiten verbunden sind, versuchten Menschen seit jeher, in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dazu zählt unter anderem der Jahreswechsel. "So sind weltweit Bräuche, Gebete und religiöse Feiern entstanden, die positiv auf die Zukunft einwirken sollen." Das Ritual des Bleigießens zu Silvester sei beispielsweise im Zusammenhang mit dem Phänomen der Losnächte entstanden. "Diese Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag galten in der populären christlichen Relitiösität als besonders unheimliche Nächte, in denen die Grenze zwischen gestern und heute, zwischen Leben und Tod sehr dünn war - und in denen man herauszufinden versuchte, was das kommende Jahr bringt."
Exklusives Leucht-Feuer
Feuerwerke tauchten in Europa erstmals in den adeligen Milieus des 15. Jahrhunderts auf - in großen italienischen Handelstädten wie Venedig oder Genua, die mit China in Verbindung standen. Die Vorstellung, man habe mit dem lauten Feuerwerken böse Geister vertreiben wollen, hält der Kulturwissenschaftler Manuel Trummer allerdings für wenig plausibel. "Die einfachen Bürger, die damals an böse Geister glaubten, hätten sich dieses teure Vergnügen gar nicht leisten können." Erst im 19. und 20. Jahrhundert hätten die bunten Lichtspiele die breite Bevölkerung erreicht.
Was weltweit verbindet: Familie, Glückwünsche, Speisen
Es gibt einige Grundelemente, die Neujahrsfeierlichkeiten verschiedener Kulturen gemeinsam haben. "Ein Ritual, das wir quer über den Globus haben, ist der Glückwunsch zu Neujahr", sagt Manuel Trummer. "Also den Angehörigen oder Bekannten alles Gute, Gesundheit und Wohlstand zu wünschen." Außerdem feiern viele Kulturen das neue Jahr mit einem fröhlichen Fest im Kreise der Familie oder der religiösen Gemeinschaft. "Wir haben beim chinesischen Neujahrsfest, dem Nowruz-Fest im persisch-iranisch-türkischen Raum, im europäischen Bereich und sogar beim jüdischen Neujahrsfest das Phänomen, dass die Familie zusammenkommt und es sich gut gehen lässt." In vielen Kulturkreisen seien diese Feierlichkeiten auch mit bestimmten Brauch-Speisen verbunden. "Im chinesischen Neujahrsfest hat zum Beispiel der Fisch eine ganz prominente Bedeutung. Im jüdischen Neujahrsfest sind es die Süßspeisen, die das kommende Jahr versüßen und dafür sorgen sollen, dass nichts Bitteres passiert." Und im europäisch-westlichen Raum darf zu Silvester der Sekt als Statussymbol nicht fehlen, um das neue Jahr feierlich zu begrüßen.
"Silvester ist im Westen kein kirchlich determiniertes Fest, sondern war immer schon weltlich geprägt. Es war von Anfang an ein Spektakel , verbunden mit Ausgelassenheit, Partys und Lärmbräuchen. Es hat etwas Überschwängliches, Profanes und ich denke, dass es deswegen so oft aus dem Ruder läuft, weil eben dieser ethische, moralische, religiöse Unterbau fehlt."
Manuel Trummer, Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg
Kulturelle Unterschiede: Zeitpunkt, Dauer, Anmutung
Verschiedene Kalendersysteme
Es gibt in den unterschiedlichen Kulturkreisen verschiedene Neujahrstermine, die teilweise sogar im Jahresverlauf wandern. Der islamische Neujahrstermin variiert beispielsweise jedes Jahr, da sich der islamische Kalnder am Mond orientiert und nur 355 Tage hat. Im Gegensatz dazu steht der exakt berechnete gregorianische Kalender im Westen.
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Neujahrsfesten sind in unterschiedlichen Kalendersystemen begründet. Diese können religiös oder weltlich begründet sein - Kirchenkalender, islamischer, jüdischer oder chinesischer Kalender. In China und im persisch-iranischen Kulturkreis wird Neujahr als Frühlingsfest gefeiert, markiert also den Übergang vom Winter- zum Sommerhalbjahr. Das jüdische Neujahrsfest fällt dagegen in den Herbst und damit in den Übergang zur dunkleren Jahreszeit. Hier sind wir auch gleich bei einem weiteren Unterschied: Im Gegensatz zum lauten Silvesterfest im Westen wird das jüdische Neujahr ernster und andächtiger begangen. "Hier geht es darum, inne zu halten und Rechenschaft abzulegen über Taten des vergangenen Jahres", so Trummer. Außerdem unterscheiden sich die Neujahrsfeierlichkeiten verschiedener Kulturkreise auch in ihrer Dauer: Liegt im Westen der Schwerpunkt auf dem einen singulären Event vom 31. Dezember auf den ersten Januar, zieht sich das jüdische Neujahrsfest über zehn Tage, das chinesische wird sogar 15 Tage lang gefeiert.
Die globale Standardisierung von Silvester
"Seit den letzten 100 Jahren erleben wir eine immer stärkere Ökonomisierung von Silvester", beobachtet Manuel Trummer. Dieser einmalige Übergang im Jahr sei besonders geeignet für eine eventmäßige Inszenierung. Städte und Länder versuchen, sich in der Originalität und Innovation ihrer Feierlichkeiten gegenseitig immer mehr zu übertrumpfen. Über die Events berichten die Massenmedien weltweit, Silvester wird zur reproduzierbaren Schablone. "Das führt zu einer weltweiten Standardisierung von Neujahrszeremonien, sodass inzwischen auch islamisch gepräge oder asiatische Länder das westliche Neujahrsfest übernehmen."