Brexit Rosenkrieg ante portas?
Kaum ist der erste Schock verdaut, schon gibt es Streit zwischen der EU und den abtrünnigen Briten. In erster Linie geht es um den Scheidungsbrief, den die EU so schnell wie möglich in den Händen haben will, die Briten aber erst frühestens im Herbst abschicken wollen.

Unschöne Geschichten über Ehen, die geschieden werden, gibt es zuhauf. Vor allem dann, wenn eine Seite die Scheidung einreicht - und die andere die Trennung eigentlich nie gewollt hat. Was Großbritannien und die EU betrifft, so lässt sich eins bereits jetzt sagen: Begonnen hat der Prozess, der ja durchaus langwierig werden könnte, schonmal äußerst unharmonisch:
"Ich verstehe nicht, wieso die britische Regierung bis Oktober braucht, um zu entscheiden, ob sie den Scheidungsbrief nach Brüssel schickt. Ich hätte den gerne sofort."
Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionschef
Erklärte EU-Kommissionschef Juncker in der ARD. Und reagierte damit auf Signale aus London - sowohl vom Noch-Premier Cameron als auch vom neuen Favoriten auf dessen Posten, Johnson – dass die Briten gedächten, mit der offiziellen Mitteilung, die EU zu verlassen, bis Oktober zu warten.
Wann kommt der Scheidungsbrief?
Erst mit diesem "Scheidungsbrief", wie Juncker ihn nennt, beginnt nämlich die Stoppuhr zu laufen.
Laut den EU-Verträgen haben beide Seiten dann zwei Jahre Zeit, die Trennung zu vollziehen und auszuhandeln, wie ihr Verhältnis künftig aussehen soll.
"Wir müssen eine lange Phase der Unsicherheit vermeiden. Es kann nicht ein ganzer Kontinent von einer internen Machtfrage der britischen Tory-Partei in Anspruch genommen werden, bei der es darum geht, wer der nächste Premier Großbritanniens wird."
Manfred Weber, CSU
EU-Spitzen drängen zur Eile
Mit diesen Worten drängte der Chef der konservativen EVP-Fraktion, der größten im EU-Parlament, Manfred Weber, die Briten zur Eile. Durchaus scharf im Ton fiel in der Zeitfrage die gemeinsame Erklärung sämtlicher EU-Spitzen aus.
So kurz wie möglich wollen die Europäer die Periode der Verunsicherung gerade für die Unternehmen halten. Denn dass der Brexit nicht nur die britische Wirtschaft trifft, ist klar. Ein Hauch nachträgliche Kränkung mag da auch noch mitschwingen, wenn Juncker sagt:
"Es ist keine einvernehmliche Scheidung. Aber es war ja auch nie ein enges Liebesverhältnis."
Jean-Claude Juncker
Viel mehr als diplomatisch Druck machen kann die EU derzeit allerdings nicht: Jedenfalls wird sie nicht müde werden, die Briten daran zu erinnern, dass sie es ja waren, die gar nicht erwarten konnten, auf die Ausgangstür zuzurennen. Nun müssten sie dann bitte auch schnell hindurchgehen.
Holpriger Start des Scheidungsverfahrens
Die Gespräche über die Scheidungs-Vereinbarung beginnen also holprig – ob die am Ende wirklich so knallhart für die Briten ausfallen wird, wie viele derzeit fordern, ist aber völlig offen. Die Verhandlungen jedoch dürften durchaus hier und da Rosenkriegs-Charakter annehmen.
Eine weitere Fragen dürftn interessant bleiben in den kommenden Wochen, vermutlich gar Jahren: Wie will die EU den Nachahmungs-Effekt vermeiden? Sprich: verhindern, dass nun die gesamte Union auseinander bröckelt?
Das Wort "Reform" ist in aller Munde. Nur wie die aussehen wird, darüber gibt es mindestens 27 unterschiedliche Ansichten. Der Direktor des Programms "Europas Zukunft" bei der Bertelsmann-Stiftung, Joachim Fritz-Vannahme sieht im ARD-Hörfunk-Interview zumindest Osteuropa betreffend, was Ausstiegs-Tendenzen angeht, keine unmittelbare Gefahr.
"Vielleicht mögen sie das ideologisch in Budapest und Warschau so sehen, dass der Traum von einem Leben ohne die EU für sie ein schönerer wäre - aber da gibt es ja noch den schnöden Mammon: Das sind ja alles Länder, die massiv von den EU-Geldern profitieren, auch von den Marktzugängen."
Joachim Fritz-Vannahme
Die EU wird ohne die Briten kleiner und damit automatisch eine andere werden. Wie sehr sich aber die verbliebenen 27 in den nächsten Jahren wandeln werden, ist derzeit eine völlig offene Frage.