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Dschihadisten-Prozess in München Einst IS-Kämpfer, jetzt selbst gefährdet

Er wollte offenbar nur seine Kinder aus Syrien zurückholen. Trotzdem arbeitete der 32-jährige Ali R. laut Anklage für den IS als Terrorhelfer. Jetzt ist sein Leben wohl so gefährdet, dass die Öffentlichkeit in Teilen vom Verfahren ausgeschlossen wird.

Von: Joseph Röhmel

Stand: 08.09.2016 | Archiv

Der Angeklagte Ali R. im Oberlandesgericht | Bild: picture-alliance/dpa | Sven Hoppe

Der 32-Jährige deutsche Staatsbürger Ali R. verdeckt sein Gesicht mit einer blauen Mappe, als er den Gerichtsaal betritt. Der schlanke Mann hat einen dichten Vollbart, der bis zur Brust reicht, und einen Pferdeschwanz. Ansonsten ist er eher unauffällig gekleidet, trägt eine schwarze Jeans und ein graues Sweatshirt. Regungslos verfolgt er die Verlesung der Anklage.

Immer wieder wird die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen. Würden Teile des Anklagesatzes öffentlich, könnten sie das Leben des 32-Jährigen gefährden, argumentiert die Verteidigung. Genaue Angaben machen die Anwälte aber nicht. Prozessbeobachter sind verwundert über die Vorgehensweise. In vorherigen Dschihadisten-Prozessen hatten sich die Angeklagten recht offen geäußert.

Die Vorwürfe

Ali R. soll sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben. Laut Bundesanwaltschaft hat er sich damit der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Paragraf 129 a und b) sowie der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraf 89 a) schuldig gemacht. Der IS ziele unter anderem auf die Zerschlagung des syrischen Regimes und die Errichtung eines Gottesstaates.

Die Anwälte des Mannes zweifeln die Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen 89 a an und beantragen, das Verfahren auszusetzen, bis diese Frage höchstrichterlich geklärt sei. Der Paragraf grenze strafbare Handlungen nicht klar von Alltagshandlungen ab.

Mehrfach war bei diesem Straftatbestand schon kritisiert worden, dass der Gesetzgeber ein bestimmtes Handeln, das auch ein nicht gewalttätiges Ziel haben kann, als Vorbereitung einer Tat postuliert - und ein gar nicht vollzogenes Verbrechen bestraft. Die Anwälte argumentieren weiter, der Paragraf betreffe zudem präventive Sicherheitsfragen, die gar nicht Sache des Bundes, sondern der Länder seien. Am Ende wird das Verfahren in München aber fortgesetzt.

Zwischenzeitlich in den Libanon gezogen

Der Angeklagte Ali R. stammt eigentlich aus Berlin. Dort arbeitete er wohl zunächst als Taxiunternehmer. Hinweise darauf sind immer noch im Internet zu finden. Außerdem hatte er laut Anklage Kontakte in die Salafisten-Szene. Nach islamischem Recht ist er mit Layla Z. verheiratet. Sie haben drei Kinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren.

Offenbar betrachtete es seine Frau als religiöse Pflicht, in einem islamischen Land zu leben. Deshalb gab es einen Umzug: Im Juni 2014 soll Ali R. mit seiner Familie zunächst in die Türkei und dann zu Verwandten in den Libanon gereist sein. Dort lebten sie aber nicht lange. Laut Anklage hätten die Verwandten der Familie nahegelegt, "aufgrund der Vollverschleierung seiner Frau und des äußeren Erscheinungsbildes des Angeschuldigten", das Land wieder zu verlassen.

Nach der Rückkehr soll die Ehefrau Layla Z. eine eigene Wohnung bezogen haben. Schließlich brach sie dann offenbar Ende Herbst 2014 mit den gemeinsamen Kindern nach Syrien auf - wohl ohne das Wissen des Angeklagten. Ihr Ziel war dem Vernehmen nach die Stadt Rakka, schon zu diesem Zeitpunkt kontrolliert von der Terrormiliz IS.

Neuankömmlinge betreut

Noch im gleichen Jahr soll Ali R. seiner Ehefrau nach Syrien gefolgt sein. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft schloss er sich ebenfalls der Terrormiliz an. Dort habe er den Verantwortlichen seinen deutschen Reisepass, seine Mobiltelefone und eine Kamera übergeben.

Offenbar betreute er in der Stadt Rakka zunächst ankommende Rekruten. Er soll ihnen Verhaltensregeln erklärt und für den Verwalter eines Gästehauses, der weder deutsch oder englisch beherrschte, als Übersetzer tätig gewesen sein. Auch war er offenbar für die Kontrolle der Neuankömmlinge verantwortlich, die das Gästehaus nur nach vorheriger Eintragung in Listen und in der Regel nicht alleine verlassen durften.

Handgranaten und eine Magazinweste

Der Anklage zufolge absolvierte Ali R. dann im Januar oder Anfang Februar 2015 eine Ideologieschulung und legte im Anschluss den Treueeid auf IS-Anführer Abu Bakr- Al Baghdadi ab. In der Folge habe er einen Ausweis erhalten sowie ein monatliches Gehalt in Höhe von 205 Dollar.

Zudem, so der Vorwurf, erhielt er eine dreitägige Schulung an der Schusswaffe. Sein Vorgesetzter habe ihn vor allem in der sicheren Handhabung und Verwendung der Kalaschnikow unterwiesen. Anschließend sollen Ali R. ein Schnellfeuergewehr AK 47, zwei Handgranaten und eine Magazinweste mit fünf Magazinen Munition zur Verfügung gestellt worden sein - eine Ausstattung, die in der Regel alle IS-Kämpfer erhalten.

Auch hat Ali R. wohl von Mai bis August 2015 gelernt, wie man mit einem russischen PKC-Maschinengewehr und einem RPG-Granatwerfer umgeht. Anschließend soll er dann sechs Monate lang Sprengvorrichtungen produziert haben. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft stellte er zusammen mit etwa 20 Kämpfern und 100 Zivilisten drei verschiedene Arten von sogenannten Zündauslösevorrichtungen her. Pro Tag seien 1.000 bis 1.600 Sprengfallen entstanden. Der Angeklagte habe gewusst, dass die Sprengfallen zur Tötung von Menschen eingesetzt werden sollten.

Seit Herbst 2015 ist Ali R. wieder in Deutschland. Warum seine Rückkehr erfolgte, ist bisher unklar. Mit dabei waren wohl seine drei Kinder. Am Münchner Flughafen schließlich wurde der Angeklagte verhaftet. Deshalb findet der Prozess auch in München statt. Es ist keineswegs der erste Prozess dieser Art in München. Ein Islamist, der am Sturm auf das Gefängnis von Aleppo beteiligt war, bekam elf Jahre Haft. Ein anderer wurde schon bei der Ausreise festgenommen und zu zweieinhalb Jahren verurteilt.

Todesfälle und Rückkehrer

Insgesamt sind aus Deutschland in den letzten Jahren laut Bundeskriminalamt (BKA) mehr als 850 Personen nach Syrien ausgereist. Etwa 20 Prozent davon sind Frauen, der überwiegende Teil ist jünger als 30 Jahre. Rund 140 Personen sind ums Leben gekommen.

Etwa ein Drittel ist dagegen nach Deutschland zurückgekehrt. 25 Männer und Frauen stammen aus Bayern. Bei über 70 Personen geht das BKA davon aus, dass sie sich aktiv am Dschihad beteiligt haben. Aber nicht gegen alle laufen Verfahren. Man muss den Angeklagten nachweisen können, dass sie sich wirklich in Syrien in einem Terrorcamp aufgehalten haben und dort eine staatsgefährdende Gewalttat geplant haben. Das ist nicht immer möglich.

Wie eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft dem BR auf Anfrage mitteilt, waren Anfang 2014 im Zusammenhang mit dem Konflikt in Syrien und im Irak nur fünf Verfahren anhängig. Inzwischen ist die Zahl deutlich angestiegen. Die Bundesanwaltschaft führt gegenwärtig rund 130 Ermittlungs- und Strafverfahren. Bisher wurden 22 Anklagen erhoben. Rund 15 Urteile sind ergangen.


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