40

Kriegsende 1945 | Der Luftkrieg (1) Leben unter Beschuss

Zwei Drittel der Weltkriegsbomben fallen von Ende 1944 bis April 1945 - besonders viele in Bayern, das lange als "Luftschutzraum" des Reiches galt. Dauersirenenton, Kellernächte und Angstzustände prägen das Leben - das Überleben ist oft Glückssache.

Von: Michael Kubitza

Stand: 02.01.2020 | Archiv

Bomberverband der US-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg | Bild: picture-alliance/dpa

Bomben über Bayern: Schwerpunkt im Bayerischen Fernsehen am 7. Januar

22.00 Uhr: Bombenkrieg: Nürnbergs Untergang
22.45 Uhr: Als die Bomben nach München kamen
23.30 Bombenkrieg in Bayern
00.00 Würzburg, 16. März 1945 - Protokoll einer Zerstörung

"Reibungslos" - so malt die Religionslehrerin Julie Kniese in ihrem "vergnüglichen Merk- und Mahnbuch" ihren Schützlingen den Luftkrieg aus.

"Du kennst, mein Lieber, deine Pflicht,
die heißt: Zur Nacht ist nirgends Licht!
Und hörst du die Sirene heulen,
dann heißt es in den Keller eilen.
Fügt sich der Ordnung Klein und Groß,
dann geht die Sache reibungslos."

Aus: 'Achtung Luftgefahr! Ein vergnügliches Merk- und Mahnbüchlein für Groß und Klein', Nürnberg 1943

Die Realität stellt sich wenig später anders dar. Der Tod aus der Luft kommt spät, dann aber umso heftiger über Bayern.

München - Hauptstadt der Sirenen

München, Alter Hof 1945

Die ersten Bombentrichter im Münchner Englischen Garten sind noch Sonntagnachmittagsattraktionen. 1942 nehmen Amerikaner und Briten die "Hauptstadt der Bewegung" massiver unter Beschuss - bald auch bei Tag und mit wachsender Häufigkeit und Dauer.

Der Historiker Max Spindler dokumentiert in seinem Briefwechsel die einzelnen Angriffe und die fortschreitende Zerstörung der Stadt, die bald keiner Logik mehr zu folgen scheint. Dreimal erwischt es ihn selbst massiv.

"Die Wände meines Schlafzimmers habe ich mit Wellpappe zugenagelt, das schützt vor Nebel und Regen... Mein Wohnzimmer bildet, da die große Türe fehlt, mit der Diele einen Raum."

5. Oktober 1943

"Ich selbst bin jetzt 'ausgebombt', bin gerade noch mit dem Leben davongekommen. Der rückwärtige Teil meines Hauses (und meines Schlafzimmers) ist eingestürzt ..."

27. April 1944

"Was soll ich von mir schreiben: Wie durch ein Wunder bin ich [im Luftschutzkeller] dem Tod entronnen, der Luftdruck der Mine war so stark, dass er die am Notausstieg außen angebrachte und nach außen aufgehende eiserne Verschlusstüre wie Papier zerknüllte und in den Keller schleuderte."

29. April 1944

Von Augsburg bis Zwiesel: Der Weg des Schreckens

1942/43 sind zunächst Augsburg, Schweinfurt und Nürnberg "targets" der allierten Bomber. Bis 1944 folgen die meisten anderen bayerischen Städte - und ein fataler Strategiewechsel der Alliierten. Zur Zerstörung von Produktionsanlagen und Infrastruktur kommt systematisches "area bombing": Die Deutschen sollen kriegsmüde geschossen werden.

Einschätzung

Historiker Gorch Pieken zu Dresden 1945 Hat die Bombardierung den Krieg verkürzt?

Am 2. Januar 1945 zerstören britische Bomber binnen 25 Minuten 95 Prozent der Nürnberger Altstadt; 1.600 Menschen kommen im Flammenmeer um. 4.000 sind es am 16. März 1945, der das Gesicht der "Mainperle" Würzburg für immer entstellt. Der Historiker Andreas Mettenleiter urteilt, Würzburg sei heute "eine Stadt der 1950er-Jahre, mit dem Stil, der damals modern war." Für beide fränkischen Städte sind diese Daten ähnlich traumatisch wie der 13. Februar für Dresden.

In den letzten Kriegsmonaten dehnt sich das Bombardement dann auch aufs "flache Land" aus. Das ist - trotz Abwesenheit der meisten Männer - nicht wirklich dünn besiedelt: Zu den Einheimischen kommen aus der Schusslinie genommene Kinder aus anderen Teilen des Reichs, dazu weitere Evakuierte und immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten; eine Million könnten es gewesen sein. Dazu kommen 400.000 ausländische Zwangsarbeiter, von denen viele im Bombenhagel den Tod finden.

Von Landsberg bis Zwiesel

Die erste bayerische Stadt, die im Bombenkrieg eine Hauptrolle spielt, ist Landsberg am Lech - allerdings nicht als Ziel. Am 10. Mai 1940 starten von hier 45 Flugzeuge mit dem Auftrag, das französische Dijon zu bombardieren. In einem Gewitter gerät der Navigation Freiburg im Breisgau ins Fadenkreuz - ein Irrtum, der 57 Menschenleben kostet. Goebbels lügt den deutschen Fehlschlag zu einem alliierten Terrorangriff um, der Vergeltung fordere. Die ersten Städte, die der Luftkrieg verwüstet, heißen Warschau und Belgrad, Birmingham und Coventry, Rotterdam und Enschede.

"Luftschutzraum" unter Beschuss

Bis 1943 ist Bayern im Luftkampf nur Nebenkriegsschauplatz. Vor allem der lange Weg von der britischen Insel macht Süddeutschland zu einem schwierigen Ziel und Bayern zum "Luftschutzraum" des Reichs. Das ändert sich, als die Amerikaner in den Krieg eintreten, die Briten neue Flugzege einsetzen und Italien alliierter Luftstützpunkt wird. Nicht nur die "Hauptstadt der Bewegung" wird ab 1943 zerbombt, sondern auch Ansbach, Aschaffenburg, Augsburg, Bayreuth, Erlangen, Fürth, Ingolstadt, Kitzingen, Memmingen, Nürnberg, Schweinfurt. Bis 1945 folgen fast alle anderen bayerischen Städte.

Der Zunder der Geschichte

Bei Kriegsende hat das "Bomber Command" grausame Effizienz entwickelt. Mit Leuchtmunition - landläufig als "Lametta" bekannt - werden die Zielgebiete markiert, in die "Blockbuster"-Bomben mit gewaltiger Sprengkraft erste Lücken reißen. In diesen "Kaminen" entzündet die nächste Angriffswelle mit Stabbrandbomben Feuersbrünste, die sich in den dichtbebauten und holzreichen Altstädten rasch ausbreiten. Zusätzliche Sprengladungen mit Zeitzünder sorgen dafür, dass Lösch- und Rettungsversuche zu lebensgefährlichen Manövern werden.

Je weiter die Zerstörung voranschreitet, desto schwieriger gestaltet sich für die Löschzüge das Durchkommen, desto mehr wachsen die brennenden Trümmerhaufen zu Flächenbränden zusammen. Keller und Splittergräben verwandeln sich in tödliche Fallen: Die meisten Opfer verbrennen nicht, sondern ersticken in diesen vermeintlich sicheren "Luftschutzräumen" oder werden verschüttet.

Infografik: Die Spur der Verwüstung

Überleben Glückssache

Reich und Führer tragen zum Überleben des Volkes wenig bei. Es gibt Bastelbögen von Luftschutzräumen, Leuchtfarbe und Löschsandkästen in den Kellern und gute Ratschläge wie den, bei Explosionen den Mund offenhalten, um eine Schädigung des Trommelfells zu vermeiden. Bunker und wirklich sichere Luftschutzräume gibt es wenige: Nürnberg liegt ist mit 20 Luftschutzräumen Spitzenreiter. Häufig spielt der Zufall die entscheidende Rolle.

"Am (Münchner) Bahnhof überrascht uns ein Fliegeralarm. Luftschutzwarte wollen mich in einen Hotel-Luftschutzkeller schleppen. Ich reiße mich los, laufe weg. Als ich abends wieder dort vorbeikomme, ist da statt dem Hotel ein tiefes Loch."

Helmut Emmerich (geb. 1930) Miesbach, 1944 als Lehrer nach München abkommandiert.

"auf / zu": Die richtige Stellung der Bunkertürverriegelung entscheidet über Leben und Tod

Auch das Wetter spielt mit - im guten wie im schlechten Sinn. Im dichten Donaunebel fliegen britische Flieger 1942 glatt an Regensburg vorbei. In Würzburg herrscht am 16. März 1945 schönstes Frühlingswetter - wer Glück hat, ist zum Zeitpunkt des Angriffs noch nicht von seiner Landpartie zurück. Anders in Nürnberg: Dort überrascht der Angriff am 2. Januar 1945 die Menschen beim Abendessen; der Weg in die Luftschutzräume gestaltet sich auf den dunklen und vereisten Straßen so mühsam, dass viele dann vor verschlossenen Stahltüren stehen. In Augsburg ist es ein knappes Jahr zuvor derartig kalt, dass das Löschwasser in den Schläuchen zu einem drucklosen Eisbrei gefriert.

Zermürbungskrieg: Die Luftangriffe des Jahres 1945
DatumOrt
2. JanuarNürnberg
7. JanuarMünchen
14. FebruarHof
22./23. FebruarAschaffenburg - Kitzingen
25. FebruarMünchen
16. MärzWürzburg
19. MärzMühldorf - Landshut
31. MärzRothenburg o.d. Tauber
2. AprilHof
11./19. AprilDonauwörth
18. AprilStraubing
20. AprilAugsburg - Nördlingen
25. AprilBad Reichenhall

40