Ängste und Hoffnungen
Gehört der Islam zu Deutschland? Oder nur seine Gläubigen? Bedroht "Islamisierung" das "Abendland" oder können wir neben der Kirche auch noch eine Moschee ins Dorf lassen? Bleiben wir dabei gelassen oder lassen wie es bleiben? Seit der Flüchtlingswelle, dem Terror des IS und dem Aufstieg der AfD wird über solche Fragen gestritten. Der Ton ist nicht selten hitzig bis hysterisch. Das hat Folgen.
Im Sommer 2015 wird die Eröffnung einer Moschee in Pfaffenhofen an der Ilm von Beschimpfungen und Morddrohungen begleitet. Im niederbayerischen Massing löst im August 2016 ein 13-Jähriger mit Spielzeugpistole vor der Moschee einen größeren Polizeieinsatz aus. Am 26. September explodiert vor einem islamischen Gotteshaus in Dresden eine Bombe, nur durch Zufall wird niemand verletzt.
Die Angst schwingt mit
Seitdem schwingt die Angst mit. Der Penzberger Imam Benjamin Idriz erzählt gegenüber BR24 von seinen gemischten Gefühlen. Die Polizei müsse sich mehr um die Sicherheit der Moscheen kümmern.
"Die Moschee ist ziemlich in einer zentralen Lage, zwar nicht im Stadtzentrum, aber auch nicht weit vom Rathaus. Das heißt, wir fühlen uns sehr wohl, auch weil um unsere Moscheen einige Einwohner sind, die keine Muslime sind und somit fühlen wir uns sehr geschützt-. Aber auf der anderen Seite, weil die Moschee sehr transparent gestaltet ist, natürlich ist die Angst manchmal da, insbesondere wenn so ein Anschlag wie in Dresden passiert, dann fühlen wir uns unsicher hier. Die Aufgabe des Staates und der Polizei ist es, sich mehr um uns zu kümmern – weil wir uns selber nicht schützen können."
Benjamin Idriz, Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg und Vorsitzender des Münchner Forums für Islam e.V.
Die Moscheen - für Europäer seit jeher geheimnisumwittert - sind zu latent bedrohten, für manche bedrohlichen Orten geworden. Am 3. Oktober - dem Tag der Deutschen Einheit - haben 1.000 Moscheen in ganz Deutschland wie wie jedes Jahr ihre Pforten geöffnet - eine Gelegenheit, die islamischen Gotteshäuser zu besuchen, kennenzulernen, mit Muslimen zu sprechen und Vorurteile abzubauen. Zum Beispiel in Deggendorf.
Rund 2.600 Moscheen gibt es in Deutschland, etwas über 400 in Bayern. Doch man sieht sie nicht. Oder erkennt sie nicht. Entweder haben sie den Schick einer Lagerhalle, was manche in der Tat früher waren. Oder sie fristen ihr Dasein in Hinterhöfen oder Gewerbegebieten am Stadtrand.
Touristen, die in Istanbul waren, schwärmen gern von der Schönheit der Blauen Moschee. Wenn es um Kuppeln und Minarette in der eigenen Nachbarschaft geht, ist es mit der Begeisterung schnell vorbei. Die im Grundgesetz verbriefte Religionsfreiheit erlaubt den Bau von Moscheen. Steht aber einer an, droht Krach mit Nicht-Muslimen.
Knackpunkt 1: Am Minarett scheiden sich die Geister
Geschätzt an die 500.000 Muslime leben in Bayern. Nicht alle sind gläubig. Aber: längst keine "Gastarbeiter" mehr, wollen sie heraus aus der Anonymität und würdige Gebetshäuser bauen. Der Krach? Hat immer dieselben Gründe: die Moschee sei zu groß, zu zentral, ein "orientalischer" Bau ein "Fremdkörper", das Stadtbild in Gefahr.
Besonders umstritten sind meist die Minarette. In der Schweiz sind sie seit einem Referendum 2009 verboten. Speziell deren Höhe wird schnell zum Problem - vor allem wenn sie Kirchtürmen "Konkurrenz" machen könnten wie in München-Sendling.
Im Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf war das goldfarbene Zierminarett neben der neuen Moschee mit 17,5 Metern rund eineinhalb Meter höher geraten als genehmigt - juristisch gesehen ein Schwarzbau. Das Minarett musste ab- und wieder aufgebaut werden. Seit dem Sommer ist es zwei Meter kürzer und ohne die umstrittene Spitze.
Integration inklusive Moschee kann aber auch relativ reibungsfrei funktionieren. Ingolstadt oder Karlstadt am Main haben das gezeigt - und besonders das oberbayerische Penzberg, das in der Architektur ganz neue Wege ging.
Sieben Fakten: Die Moschee - Bedeutung und Architektur
- Das arabische Wort Moschee bedeutet "Ort der Niederwerfung" (zum Gebet).
- Wie christliche Kirchen ist die Moschee vor allem ein Ort des Gebets, aber auch der Zusammenkunft der Gemeinde und der Pflege der religiösen Identität.
- Der Vorbeter trägt den Titel Imam. Er ist zugleich das geistige Oberhaupt der Gemeinde in der Nachfolge Mohammeds.
- Wichtigster Raum in jeder Moschee ist der nach Mekka, also nach Osten ausgerichtete Gebetsraum. Daneben gibt es meist Räume für Unterricht, für Feierlichkeiten und für rituelle Waschungen.
- Das Minarett ("Leuchtturm") in größeren Moscheen ist traditionell und Wachturm fungiert. Einige Moscheen haben mehrere - die al-Haram-Moschee in Mekka sogar neun Minarette.
- Vom Minarett aus ruft der Muezzin in islamischen Ländern bis zu fünfmal täglich eine Art Glaubensbekenntnis herab. Auch in Deutschland ist der Ruf des Muezzin prinzipiell erlaubt, in Bayern verzichten die Moscheevereine jedoch im Sinne des Religionsfriedens darauf.
- Die erste deutsche Moschee entstand 1915 in Wünsdorf bei Berlin, die erste bayerische 1967 in München-Freimann.
Knackpunkt 2: Argwohn gegen die religiöse "Black Box"
Doch es geht längst nicht nur um architektonische Fragen. Seit 9/11 und verstärkt seit den Anschlägen der jüngsten Zeit assoziieren manche Moscheen und Terror.
Die Faktenlage: Konkrete Hinweise darauf, dass in bayerischen Moscheen Terrorpläne ausgeheckt wurden, gibt es nicht. Der afghanische Axt-Attentäter von Würzburg etwa war nach Angaben der Behörden zwar gläubiger Muslim, der aber nicht regelmäßig in die Moschee gegangen sei und privat gebetet habe. Die Moscheevereine selbst distanzieren sich von Gewalttaten. Nach den Attentaten von Paris etwa kondolierten auch die sechs Dachverbände in Bayern; nach dem - nicht religiös motivierten - Amoklauf im Münchner OEZ stellte eine Münchner Moschee Hilfesuchenden sogar ihre Räume zur Verfügung.
Generell, so eine neue Studie, organisiert sich die extremistische Szene eher in "hermetischen Privatzirkeln" oder via Internet. Und: der Einstige erfolge weniger über religiöse Indoktrination als über "'Lebenshilfe', etwa beim Friseur oder im Handyladen."
Dennoch ist anzunehmen, dass Salafisten, IS-Aktivisten oder andere religiöse Extremisten den Schutzraum der Moscheen und ihr Umfeld zur Rekrutierung nutzen. Der Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba etwa spricht von sieben bis neun Salafisten-Moscheen in Bayern. Insgesamt hat der bayerische Verfassungsschutz rund 80 Moscheen im Blick. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, nimmt die islamischen Gotteshäuser in die Pflicht: sie wüssten als erste, wenn bei ihnen Hass gepredigt werde. Beim Dachverband DITIB, zu dem die meisten deutschen Moscheen gehören, verweist man darauf, dass seit 2007 alle Predigten auf türkisch und deutsch im Netz nachzulesen seien.
Knackpunkt 3: Die Kommunikation
Was genau in der Moschee gesprochen wird und ob das alles Grundgesetz-konform ist, ist im Netz natürlich nicht dokumentiert - ebensowenig wie das, was Gläubige in einer christlichen Kirche von sich geben. Der Unterschied: In den Moscheen wird häufig türkisch gesprochen, manchmal arabisch, albanisch oder ägyptisch. Die meisten DITIB-Imame sind Beamte des türkischen Staates, werden dort ausgebildet und sprechen nicht immer fließend deutsch - ebenso manche Gläubige. Aus der CSU kommen daher Forderungen, deutsch zur Standardsprache in den Gotteshäusern zu machen. Ein Allheilmittel ist das nicht: Am meisten deutsch wird aktuell in den radikalen salafistischen Moscheen gesprochen.
Es ist nicht nur dass Sprachproblem, dass zu Missverständnissen führt. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Kultusministeriums beobachtet, dass von Seiten der Behörden oft der Sicherheitsaspekt in den Vordergrund gerückt wird, während es den muslimischen Seite vor allem um gesellschaftliche Teilhabe geht. Und:
"Viele potentielle Kooperationspartner sind zudem in orientalischen Kommunikationskulturen sozialisiert, in denen direkte sachliche Kritik ohne vorherigen Aufbau persönlichen Vertrauens als beleidigend empfunden wird. Dies dürfte in der Regel nicht offen artikuliert werden, führt aber faktisch zum Rückzug."
Professor Matthias Rohde, Co-Autor einer neuen Studie zum 'Muslimischen Leben in Bayern'.
Knackpunkt 4: Finanzierung und Personal
Anfang Juni ist auch der zweite Anlauf zum Bau einer neuen Moschee in München gescheitert. Nach dem Aus für das umstrittene Projekt am Gotzingerplatz in Sendling im Jahr 2007 wollte das Münchner Forum für Islam (MFI) in Neuhausen - unweit des Goethe-Instituts - ein großes Islam-Zentrum mit Moschee errichten. Doch es fehlt das Geld.
4,5 Millionen Euro hätte das MFI aufbringen müssen, um den Baugrund aus städtischem Besitz zu erwerben, die Gesamtkosten hätten bei geschätzt 30 Millionen gelegen. Die waren trotz zahlreicher Spenden- auch von Nicht-Muslimen - nicht aufzubringen. Im vergangenen Jahr hatte ein Geldgeber aus Saudi-Arabien während einer medizinischen Behandlung in München spontan drei Millionen Euro zugesagt und sein Angebot wieder zurückgezogen, weil die saudische Regierung die Unterstützung des Projekts verhindert habe.
Das Münchner Beispiel verweist auf ein grundsätzliches Problem: anders als die staatlich alimentierten christlichen Kirchen sind die 2.600 Moscheegemeinden in Deutschland auf Zuwendungen der Gläubigen und oder aus dem Ausland - etwa aus der Türkei oder arabischen Staaten - angewiesen. Rechtlich aber können in Deutschland nur Religionsgemeinschaften eine Steuer vom Staat einziehen lassen, die als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt sind. Das sind die meisten muslimischen Verbände nicht. Die meisten Muslime sind wiederum nicht Mitglied in einem Moscheeverein. Überlegungen, das deutsche Miteinander von Kirche und Staat Kirchensteuermodell Pläne für eine Art Moscheesteuer stoßen überwiegend auf Ablehnung.
"Es gibt kein islamisches Land, wo es eine ähnliche Struktur gibt. Und daher wäre es sehr befremdlich für die Muslime in Deutschland, eine Moscheesteuer zu zahlen."
Aykan Inan, Türkisch-islamische Union der Anstalt der für Relgion (Ditib)
Derweilen leiden viele Moscheen weiter unter Geldknappheit, Raumnot und hohem Bedarf an ehrenamtlichen Mitarbeitern - während der deutsche Staat mit der Tatsache leben muss, dass mit den Geldflüssen auch inhaltliche Einflüsse aus anderen Staaten zu uns kommen.
Damit eng verbunden ist das Problem fehlender Ausbildungsmöglichkeiten. Zwar gibt es inzwischen fünf Lehrstühle für Islamische Theologie an deutschen Unis - in Bayern: Nürnberg-Erlangen - doch die Ausbildung zum Imam ist bisher kaum möglich.
Sieben Fakten: Muslime in Bayern
- In Deutschland gibt es rund 2.600 Moscheen und Gebetsräume, in Bayern sind es früheren Schätzungen zufolge 400.
- 2010 lebten gut 500.000 Muslime im Freistaat. Eine Forschergruppe ermittelt derzeit im Auftrag des Kultusministeriums neue Zahlen.
- Maximal jeder vierte Muslim in Bayern ist Mitglied in einer islamischen Gemeinde.
- Rund drei von vier Anhängern des Islam in Bayern gehören der Glaubensrichtung der Sunniten an, die auch weltweit die Mehrheit unter den Muslimen stellt. Mit weitem Abstand folgen Aleviten und Schiiten.
- Die beiden Dachverbände der Muslime sind der Zentralrat der Muslime in Deutschland und der konservarivere Islamrat der Bundesrepublik Deutschland.
- Der mitgliederstärkste Einzelverband in Deutschland ist die zum Zentralrat gehörende "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" (DITIB), die etwa 900 Moschee-Vereine vertritt. DITIB untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet, also dem türkischen Staat.