Kinderschutzbund entsetzt Kleiner Bub als Botschafter des Salafismus
Münchner Koranverteiler werben im Internet mit einem etwa drei Jahre alten Buben für ihre salafistischen Ideen. Der Bayerische Kinderschutzbund - vom Bayerischen Rundfunk auf den Fall aufmerksam gemacht - reagiert empört.
Auf den ersten Blick wirkt das Bild auf der Facebook-Seite der umstrittenen salafistischen Aktion "Lies" harmlos: Ein etwa dreijähriger Bub hält einen Koran in der Hand - weißes Cover, golden verziert. Allerdings ist genau dieser Koran typisch für die Aktion "Lies". Sie gilt als Brutstätte für islamistisches Gedankengut. Umso mehr ist der Bayerische Kinderschutzbund entsetzt - ein Kleinkind auf der Facebookseite einer offensichtlich radikalen Gruppe.
"Das Kind weiß nicht, was es tut. Es wird von Erwachsenen dazu benutzt, eine Werbebotschaft zu vermitteln. Das ist nicht in Ordnung. Lies den Koran, sagt dieses Kind, wenn es so da steht, obwohl es mit Sicherheit nicht weiß, was es in der Hand hält und welche Botschaft es in der Hand hält."
Margot Czekal, Geschäftsführerin vom Bayerischen Kinderschutzbund
13-Jähriger fast in Syrien
Wochenende für Wochenende verteilen junge Menschen in Innenstädten Korane - unter anderem in Berlin, München oder Nürnberg.
Ein Mann, der nach BR-Informationen die Facebook-Gruppe von "Lies"-München verwaltet, teilt im Internet einfache Gebete, Koranverse und auch diese Botschaft: "Wahrlich die Steinigung steht im Buch Allahs und ist eine gerechte Strafe für diejenigen Männer und Frauen, die Unzucht begehen." Ein anderer Koranverteiler, er heißt Ibrahim S., erklärt bei einem Besuch am "Lies"-Stand, die Moschee, die er gerne besuchen würde, gebe es hier nicht und würde es auch niemals geben. Ansonsten hätten die Behörden diese Moschee schon längst dicht gemacht. Nach Beeindigung seines Studiums wolle er nach Syrien zum IS.
Welchen Einfluss haben solche Worte auf Kinder? Sie sind leicht manipulierbar und damit besonders empfänglich für radikale Botschaften. Ein 13-jähriger Koranverteiler aus München stand schon an der türkisch-syrischen Grenze mit dem Ziel Islamischer Staat. Türkische und deutsche Behörden konnten ihn mit Hilfe des Fachblogs Erasmus Monitor gerade noch stoppen.
Auch andere junge Menschen zwischen 12 und 15 Jahren verteilen für "Lies" Korane. Gemeinsam mit älteren jungen Männern und Frauen stehen sie an manchen Samstagen am Stand. Das beweisen Fotos, die dem Bayerischen Rundfunk vorliegen. Margot Czekal, Geschäftsführerin vom Bayerischen Kinderschutzbund, sagt, jeder habe das Recht, seine Religion frei auszuleben. Aber:
"Jede Instrumentalisierung von Kindern beunruhigt uns. Denn Kinder sollen nicht dazu missbraucht werden, Ziele oder Wertvorstellungen durchzusetzen. Kinder und Teenager sollen unterstützt werden, sich mit ihrer eigenen Entscheidung zu entwickeln."
Margot Czekal, Geschäftsführerin vom Bayerischen Kinderschutzbund
Ein eigenes Netzwerk
In München und Bayern hat die Politik erkannt, dass sie reagieren muss. Die Fachstelle für Rechtsextremismus in München heißt jetzt Fachstelle für Demokratie, widmet sich inzwischen auch dem Thema Salafismus. Seit Herbst 2014 hat die Fachstelle mehrere Fortbildungsveranstaltungen organisiert, unter anderem für Lehrer.
Außerdem installiert Bayern gerade ein eigenes Netzwerk, entwickelt von Justiz-, Kultus-, Innen- und Sozialministerium.
So hat das Landeskriminalamt ein Kompetenzzentrum gegen Salafismus aufgebaut, jährlich finanziert mit 400.000 Euro aus dem Polizeihaushalt.
Das Zentrum soll künftig mit einem Träger zusammenarbeiten. Der wird sich, so der Plan, unter anderem um junge Menschen kümmern, die schon abgedriftet sind und womöglich über eine Ausreise nach Syrien zum Islamischen Staat nachdenken.
Als einer der möglichen Kooperationspartner gilt der Verein Violence Prevention Network, kurz VPN, spezialisiert auf die Arbeit mit religiösen Extremisten. Nach BR-Informationen beschäftigt dieser Verein schon einen Mitarbeiter in Bayern. Momentan auf Spendenbasis. Wann und ob der Freistaat in die Kooperation mit VPN einsteigt, ist momentan noch unklar.
Begriff Salafismus:
Salafisten berufen sich auf die Gemeinschaft Muhammads (Sahaba) und die darauf folgenden zwei Generationen. Sie interpretieren den Koran in der Tradition der frühen islamischen Bewegung. Daher lehnen Demokratie ab.
Die salafistische Bewegung ist keinesfalls homogen. Zu den Hauptgruppen zählen Puristen, politische Salafisten und die jihadistisch orientierte Bewegung. Nur ein kleiner Teil der Salafisten gilt jedoch als gewaltbereit. Doch da die unterschiedliche Strömungen häufig Berührungspunkte miteinander haben, bereitet die salafistische Bewegung nicht nur Sicherheitsbehörden sondern auch Pädagogen Sorgen.