Reportage über den NSU Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos - und wer noch?
Wie konnte der NSU jahrelang unentdeckt morden? Welche Rolle spielten die deutschen Sicherheitsbehörden? Und bestand der NSU tatsächlich nur aus drei Personen? Eine BR-Reportage hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht.
Jahre später bleibt vieles an der Affäre rätselhaft. Der NSU war möglicherweise viel stärker in transnationale Neonazi-Netzwerke eingebunden als bisher bekannt. Das haben Recherchen des BR für das ARD-Radiofeature ergeben. Inzwischen mehren sich die Indizien auf nationale und internationale Kontakte - insbesondere zu der in Deutschland verbotenen Neonazi-Organisation "Blood and Honour" - ein weltweit operierendes Netzwerk, in dem seit den 1980er-Jahren nicht nur extrem rechte Musik und Propaganda kursieren, sondern auch Terroranleitungen und Waffen.
"Ohne 'Blood and Honour' hätte es den NSU so nicht gegeben"
Ein "Blood and Honour"-Mitglied besorgte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ihren ersten Sprengstoff. Als ihre Bombenwerkstatt in Jena im Januar 1998 aufflog, fanden die drei Unterschlupf bei "Blood and Honour"-Aktivisten. Diese versorgten sie mit konspirativen Wohnungen und neuen Identitäten. "Das sind die Strukturen, auf die konnten sie zurückgreifen, in der Phase vor ihrem und nach ihrem Untertauchen", sagt der Rechtsextremismus-Experte Michael Weiss. "Ohne 'Blood and Honour' hätte es den NSU so nicht gegeben." Davon ist Weiss überzeugt.
Kaum ein Wort zu "Blood and Honour"
In der Anklageschrift im Münchner NSU-Prozess kommt "Blood and Honour" dennoch nur am Rande vor. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der NSU nur aus dem Trio Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe bestand - unterstützt von wenigen Helfern. "Wir haben bei den Ermittlungen ja auch umfassend das Umfeld des Trios durchleuchtet", betont Bundesanwalt Herbert Diemer. "Eine Vernetzung des NSU in andere rechtsextremistische Netzwerke oder Gruppierungen, sei es 'Blood and Honour' oder andere, hat nicht stattgefunden nach unseren Erkenntnissen", so Diemer weiter. Ganz anders sehen das viele Nebenkläger im NSU-Prozess. "Wir sind der Meinung, dass der NSU natürlich nicht nur aus drei Personen bestanden hat, sondern aus sehr viel mehr", sagt Rechtsanwältin Angelika Lex. Sie vertritt die Witwe des Münchner NSU-Opfers Theodoris Boulgarides. "Und ob diese Strukturen noch immer intakt sind, das wäre auch ein Anliegen, das in diesem Verfahren zu klären wäre."
Neonazis vor Gericht: Das Kartell des Schweigens
Nach bald anderthalb Jahren Prozessdauer scheint auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl umzudenken. Zu Anfang wehrte er viele Fragen der Nebenkläger zur Vernetzung des NSU ab. Inzwischen hakt er selbst nach und lädt immer öfter Zeugen aus dem "Blood and Honour"-Umfeld vor. Doch die Neonazis schweigen vor Gericht oder geben vor, sich an nichts zu erinnern. So wurde vergangene Woche in München der früherer Rechtsrock-Unternehmer Jan W. aus Chemnitz vorgeladen. Er war Ende der 1990er-Jahre sächsischer Sektionschef von "Blood and Honour". Laut brandenburgischem Verfassungsschutz hatte er den Auftrag, Waffen für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu besorgen.
Doch Jan W. schweigt, genauso wie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Trotz des Schweigekartells: Die Zweifel daran, dass der NSU nur ein Trio war, wachsen. Die frühere Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Eva Högl, glaubt inzwischen nicht mehr, dass der NSU "aus nur drei Personen mit einem kleinen Helferkreis bestand". Und auch Clemens Binninger, Obmann der Union im NSU-Untersuchungsausschuss sagt: "Man muss da einfach sehen, dass wir uns das Wissen über diesen NSU und seine Unterstützerszene beim Untertauchen ja erst erarbeiten musste. Und am Anfang standen eben nur die drei Namen im Mittelpunkt, dann kamen durch polizeiliche Ermittlungen ein paar dazu. Und im Laufe der Zeit hat das neugewonnene Wissen geholfen, Zusammenhänge anders zu bewerten."