Schreiber-Prozess Fahndung und Flucht nach Kanada
Kryptische Kalendereinträge, ominöse Konten, Decknamen: 1995 begann das Augsburger Landgericht mit den Ermittlungen gegen Schreiber. Der setzte sich 1999 nach Kanada ab, von wo aus er sich zehn Jahre erfolgreich gegen seine Auslieferung wehrte.
Schreiber selbst war es offenbar, der - ungewollt - den Stein ins Rollen brachte. Am 3. Februar 1995 wurde er persönlich bei der Augsburger Steuerfahndungsstelle vorstellig, um eine Geschichte mit Provisionsabwicklungen aus der Welt zu schaffen. Sein Erscheinen muss in der Amtsstube bleibenden Eindruck hinterlassen haben: "Der Auftritt ist so bizarr, dass Steuerfahnder Winfried Kindler unter dem Zeichen FR 080/95 eine Akte anlegt", schilderte der "Spiegel" vom 19. Januar 2004 anlässlich des Prozesses gegen Strauß-Sohn Max jenes Ereignis.
Kalender-Geschichten
Bei den Behörden wurde man also stutzig. Acht Monate später, im Oktober 1995, durchsuchten Ermittler des Augsburger Landgerichts die Villa von Schreiber in Kaufering. Dabei fanden sie auch dessen Tischkalender aus den Jahren 1991 und 1994 - mit Einträgen, die ihren Argwohn zu bestätigen schienen. Unter anderem stießen sie auf Namen von Managern und Politikern.
Ominöse Konten
Desweiteren enthielten die Kalender auch Decknamen, deren Bedeutung sich nicht sogleich erschloss: "Waldherr" etwa, "Holgart", "Jürglund" oder "Winter". Die Ermittler fanden heraus, dass es sich dabei um Tarnbezeichnungen für Konten in der Schweiz und Liechtenstein handelte. Doch warum trugen die Konten diese seltsamen Bezeichnungen? Aus Ermittlern wurden Detektive, die kombinierten. "Waldherr" für Walther Leisler Kiep, "Holgart" für Ludwig-Holger Pfahls oder "Jürglund" für den ehemaligen Thyssen-Manager Jürgen Maßmann habe man entschlüsselt, sagte Maximilian Hofmeister, Vorsitzender Richter im Prozess gegen Max Strauß.
Schreiber verwendete die Provisionen also offenbar nicht nur für sich, sondern ließ Millionen - vermutlich Honorare aus Verkäufen von Panzern, Flugzeugen, etc. - an diese sogenannten Rubrikkonten (Unterkonten) fließen. Ein ungeheurer Verdacht musste in den Köpfen der Ermittler aufkeimen: Hinterlegte Schreiber in der Schweiz und Liechtenstein Bestechungsgelder für deutsche Politiker?
Urteile gegen Pfahls und Ex-Thyssen-Manager
Eine Frage, die auch die Gerichte in späteren Prozessen beschäftigte, zum Beispiel im Fall des ehemaligen CSU-Spitzenpolitikers Pfahls. Von 1987 bis 1992 unter der Kohl-Regierung Staatssekretär im Verteidigungsministerium, ging er den Fahndern 2004 nach fünf Jahren Flucht ins Netz. 2005 wurde ihm in Augsburg der Prozess gemacht. Er gestand, für seine "Lobby-Arbeit" beim Verkauf der Thyssen-Spürpanzer 1991 nach Saudi-Arabien von Schreiber Schmiergeld erhalten zu haben. Das Gericht verurteilte ihn wegen Steuerhinterziehung und Vorteilsnahme zu 27 Monaten Haft.
Auch die beiden Ex-Thyssen-Manager Jürgen Maßmann und Winfried Haastert mussten sich 2005 vor dem Augsburger Landgericht wegen der Annahme von Schmiergeldern in Höhe von insgesamt 12,5 Millionen Mark verantworten. Sie gaben zu, von Schreiber Geld kassiert zu haben und wurden zunächst zu Haftstrafen wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob jedoch die Urteile später weitgehend auf und reduzierte das Strafmaß. Maßmann focht auch das vor dem Bundesverfassungsgericht an, dessen Entscheidung steht noch aus.
Freispruch für Max Strauß
Die Schreiber-Affäre erreichte auch Max Strauß. Auslöser war das berühmte Konto "Maxwell", auf dem 5,2 Millionen Mark lagen. Das Augsburger Landgericht ordnete es Max Strauß zu und verurteilte ihn zunächst 2004 wegen Steuerhinterziehung. Dem Bundesgerichtshof ging das zu weit, er kassierte das Urteil. Max Strauß wurde in einem zweiten Prozess 2007 freigesprochen.
In Folge der Schreiber-Affäre gab es mehrere Prozesse. Das Landgericht Augsburg konnte in einigen Fällen Steuerhinterziehung nachweisen, in keinem einzigen jedoch Bestechlichkeit von Politikern bzw. Mitgliedern der Bundesregierung.
Ruhiger und schöner wohnen in der Schweiz
Zurück zur Razzia in Schreibers Villa im Oktober 1995: Ihn selbst hatten die Ermittler dort nicht angetroffen. Er setzte sich erstmal nach Pontresina im schönen Schweizer Oberengadin ab.
Kanadisches Pingpong mit der Justiz
Ein paar Monate lang konnte er sich in Nordamerika unbehelligt aufhalten, aber am 31. August 1999 nahm die kanadische Polizei den per internationalem Haftbefehl Gesuchten in einem Hotel in Toronto fest. Nach einer Woche kam er gegen eine Kaution von 740.000 Euro wieder frei.
Deutschland beantragte seine Auslieferung, am 17. März 2000 erhob die Augsburger Staatsanwaltschaft Anklage wegen Steuerhinterziehung, Bestechung, Beihilfe zur Untreue und gemeinschaftlichen Betrugs. Vor allem der Augsburger Staatsanwalt Reinhard Nemetz kämpfte jahrelang darum, dass Schreiber nach Deutschland überstellt wird.
Doch dem gewieften Ex-Lobbyisten und seinen Anwälten gelang es mit einem trickreichen Instanzen-Poker, ein Jahrzehnt in Kanada auszuharren. Erst am 3. August 2009 waren alle Rechtsmittel ausgeschöpft, er wurde abgeschoben und in die Justizvollzugsanstalt in Augsburg gebracht.