Anti-Salafismus-Netzwerk Bayern Wenn junge Menschen abdriften ...
Mehmet aus einem Ort nahe Weiden wollte ein "echter Mann" sein. Deshalb zog er in den Dschihad nach Syrien, um als Märtyrer zu sterben. Der Freistaat will solche Radikalisierungen mit einem Anti-Salafismus-Netzwerk verhindern. Aber wie gut ist dieses Netzwerk? BR-Recherche und das Politikmagazin Kontrovers fragen nach.
Mehmet war der Star in seiner Fußballmannschaft. "In einer Saison hat er schon mal mehr als 20 Buden gemacht", sagt sein ehemaliger Trainer.
Der Deutschtürke Mehmet spielte sieben Jahre lang in einem Verein nahe Weiden. Seine Liga war die Kreisklasse. Viele sind davon überzeugt, er hätte einige Klassen höher spielen können. Aber er wollte nicht, war bescheiden.
Seine Freunde beschreiben ihn als lebenslustig, als jemanden, der früher auch Alkohol trank, Partys feierte oder bei Faschingszügen mitmachte. Aber irgendwann begann Mehmet, sich zu verändern.
"Jetzt im Nachhinein, da bringt man ein paar Situationen zusammen. Es gab Situationen, da hat er nach dem Training nur noch in Unterwäsche mitgeduscht."
Ein Freund
Mehmet ist vermutlich tot
Nur Erinnerungen und ein paar Fotos sind dem Freund geblieben. Er kann nicht verstehen, was mit Mehmet passiert ist. Höchstwahrscheinlich wird er ihn nie wieder sehen. Er gilt als tot, soll vor zwei Jahren in Syrien als Kämpfer der islamistischen Organisation "Junud al-Sham" gefallen sein. Ein Foto zeugt von Mehmets Leben als Krieger. Er nennt sich Muhammed Al Turki und schultert eine Panzerfaust. Daneben ein Schriftzug:
"Echte Männer erkennst du in harten Zeiten."
Junud Ash-Sham
Irfan Peci hat Mehmet gut gekannt und ideologisch beeinflusst. Er stammt ebenfalls aus Weiden, war Salafist, ist inzwischen ausgestiegen.
Radikalisiert, sagt Peci, wurde er vor allem durch das Internet. Als er dort nach Informationen über den Islam suchte, sei er auf die "falschen Leute" gestoßen. Es endete damit, das er von Weiden aus die deutschen Propagandaseiten von Al-Kaida koordinierte.
Irfan Peci stammt aus Bosnien. Seine Familie flüchtete vor dem Balkankrieg, als er zwei Jahre alt war. Ihre Religion, der Islam, spielte zu Hause fast keine Rolle. Der Junge besuchte sogar den katholischen Kindergarten. Doch er fühlte sich immer als Außenseiter.
"Du gehörst nicht dazu, du bist nicht Teil der Gesellschaft, du gehörst zu jemand anderes. Auf dieser Suche bin ich dann bei den Extremisten gelandet."
Irfan Peci
Ein bürgerliches Leben
Peci will in den Dschihad ziehen. Doch dazu kommt es nicht. Er fliegt auf, als er den Besitzer eines Handyladens, von dem er sich beleidigt fühlte, attackiert. Er kommt ins Gefängnis. In der Isolation ändert Irfan Peci seine Einstellung, wechselt die Seiten, arbeitet als V-Mann für den Verfassungsschutz. Seine Entradikalisierung war aber ein langer Prozess.
Mittlerweile führt der Aussteiger aus Weiden ein bürgerliches Leben. Er sagt, hätte er als Jugendlicher professionelle Hilfe bekommen, wäre er nicht so abgedriftet.
Wieso ziehen Jugendliche in den Dschihad?
Was bringt deutsche Jugendliche dazu, in den Dschihad zu ziehen? Der Psychologe Wolfgang Frindte hat fast 700 Biographien analysiert. Schwere familiäre Probleme - das verbindet die meisten, sagt er. Der radikale Islam ist dann oft ein Seelentröster.
"Weil er plötzlich Halt anbietet, den die jungen Leute vermissen, Halt, Sicherheit und Zukunftsorientierung, die sogar soweit geht, dass der Salafismus ihnen auch sagt, was nach dem Tode passiert."
Wolfgang Frindte
Ein "Entradikalisierer" in Bayern
Die Staatsregierung hat inzwischen erkannt, dass sie handeln muss. Vor einigen Monaten wurde ein Anti-Salafismus-Netzwerk installiert. So gibt es beispielsweise eine Islamwissenschaftlerin, die Gefängnispersonal schult. Sie soll so helfen, den Einfluss von Salafisten auf andere muslimische Gefangene zu unterbinden. Eine wichtige Rolle spielt außerdem die Arbeit mit gefährdeten jungen Menschen.
Dafür ist Korhan Erdön zuständig. Er ist bisher der erste und einzige "Entradikalisierer" in Bayern. Momentan betreut er 35 sogenannte Gefährder. Hunderte Kilometer legt Erdön Woche für Woche zurück, quer durch Bayern. Er fährt zu den gefährdeten Jugendlichen, die meisten sind zwischen 14 und 18 Jahren alt.
"Es sind natürlich Leute dabei, die ausreisen wollten. Wir haben auch Klienten, die aus den Kriegsregionen wieder zurückgekehrt sind. Die kann man mit Sicherheit als harte Fälle bezeichnen!"
Korhan Erdön
Erdön ist selbst gläubiger Muslim, das erleichtert ihm den Zugang. Auch wenn die Radikalisierten meist wenig fundiertes Wissen über den Islam hätten, berichtet er. Die Hälfte von ihnen seien Konvertiten.
"Wir arbeiten nicht konfrontativ mit den Leuten , wir setzen die nicht unter Druck, sondern es sind lange und ausführliche Gespräche. Und lange ausführliche Prozesse, in denen wir wollen, dass die Leute ihr Gehirn einschalten, selber denken und nicht vorgefertigtes Wissen bekommen und verarbeiten können."
Korhan Erdön
Nach vielen Schulungen arbeitet Korhan Erdön als "Entradikalisierer" für das sogenannte Violence Prevention Network (VPN).
Deradikalisierung ist im Freistaat eine neue Strategie. Erst vor einem Monat wurde VPN vom Bayerischen Innenministerium beauftragt. Ein Wandel im Umgang mit Islamisten? Offensichtlich.
Die Geschichte um Erhan A.
Vor zwei Jahren wurde der Allgäuer Salafist Erhan A. in sein Heimatland, die Türkei, ausgewiesen. In einem Interview hatte er zuvor das Töten im Namen Allahs verteidigt. Nun deuten Facebook-Posts darauf hin, dass Erhan nach Syrien ausgereist ist und sich dort einer Al-Kaida-nahen Organisation angeschlossen hat.
Neuerdings zeigt er sich auch mit Waffe. War die Ausweisung eine Fehler? Der Psychologe Wolfgang Frindte hält wenig von dieser Strategie.
"Ich denke, es spielt nicht nur eine psychologische, sondern auch eine soziologische Rolle. Wenn sie ausgewiesen werden, dann werden sie zu Märtyrern gemacht, es nutzt also gar nichts."
Wolfgang Frindte
Bis heute steht Innenminister Joachim Herrmann zu der Ausweisung Erhans. Auch wenn Herrmann einräumt: "Er ist insgesamt als zunehmend noch gefährlicher einzuschätzen, und deshalb ist er auch im Blick der Sicherheitsbehörden in Deutschland und auch außerhalb."
Der "Entradikalisierer" Korhan Erdön hat Erhan gekannt, seine Radikalisierung mit erlebt. Erdön war damals Vorstand in einer Moschee in Kempten.
"Wir wussten dann einfach nicht, was wir als Moscheegemeinde tun müssen, wir haben geschaut, was können wir machen und haben gesehen, dass es damals in Bayern kein Angebot gab."
Korhan Erdön
Erdön kümmert sich um prominenten 14-Jährigen
Das ist nun anders. Erdön hofft, dass er seinen Beitrag dazu leisten kann, dass sich weniger junge Menschen radikalisieren. Jetzt kümmert er sich auch um einen prominenten Fall - der 14-Jährige aus München, der zum Islamischen Staat nach Syrien wollte und etwa neun Monate in der Türkei festsaß. Über den Fall sprechen darf Erdön nicht. Aber er berichtet über Lies – die umstrittene Koranverteilaktion, an der auch der 14-Jährige mitwirkte.
"Sie denken, dass sie was Gutes für die Religion tun in dem Augenblick. Sie sind eigentlich mit positiven Vorzeichen unterwegs, denken sich dabei nichts Schlechtes. Gucken dabei nicht über den Tellerrand hinaus, wie stell' ich eigentlich meine Religion im Gesamten dar, wenn ich an so etwas teilnehme."
Korhan Erdön
Bilder zeigen den 14-Jährigen am Lies-Stand in München. Wir konfrontieren die Lies-Leute, zeigen ihnen die Fotos:
"Wir haben ihn zweimal gesehen. Das war ja früher der Fehler von uns. Wir haben bei uns Leute mitmachen lassen, ohne dass wir sie kennen, und dann haben sich auch Leute eingeschlichen, die schlechte Meinungen haben. Wir Brüder, die wir hier stehen, wir sind gegen den Terror. Wir sind gegen den IS, wir sind gegen solche Sachen, dass man Unschuldige tötet. Bei uns haben sich dann irgendwann Leute eingeschlichen, die dafür sind, wir wussten das meistens nicht."
Teilnehmer 'Lies-Stand'
Abou Nagie und die Islamisten
Doch so harmlos, wie der Koranverteiler die Aktion darstellt, scheint sie nicht zu sein. Der 14-Jährige ist nicht der Einzige, der hier mitmachte und später in den Dschihad wollte. Der Gründer der Lies-Aktion, Abou Nagie , wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
Wie kann man verhindern, dass sich junge Menschen radikalisieren? Reichen die derzeitigen Programme aus? Eine schwierige Frage, auf die derzeit auch Experten keine abschließende Antwort haben. Immerhin: Die Politik hat erkannt, dass man sich intensiv um die gefährdeten Jugendlichen kümmern muss. Damit sie nicht irgendwann uns gefährden.
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Francesco, Freitag, 22.April 2016, 08:53 Uhr
5. Orientierung ??
Eine Politik, die viele Fragen aufwirft bzw. unbeantwortet lässt, ist aus meiner Sicht eines der wesentlichen Grundübel unserer Zeit (Flüchtlingspolitik, EU-Finanzkrise und -Uneinigkeit, Altersarmut, Pflegenotstand, Bildungspolitik, etc.). Es ist keinerlei Lösungsansatz / -Strategie erkennbar und was nicht ist, kann man auch nicht erklären. Wie soll denn bitte das Volk - und hier insbesondere die "nachwachsenden Generationen" - für sich Perspektiven und Zukunftschancen erkennen ? Die gefährlichsten Menschen sind die, die nichts zu verlieren haben. Dieser Personenkreis ist leider auch der, der am besten zu beeinflussen ist. Und was machen unsere Politiker ? Anstatt gemeinsam die Probleme zu lösen, macht man ausschließlich Parteipolitik, streitet untereinander (ohne jeglichen Mehrwert für das Volk !!) macht populistische Aussagen / versprechen, etc. Im Kern geht es aber ausschließlich um Wählerstimmen und dass man seinen Platz am üppigen Futtertrog (Mandat und Versorgung) nicht verliert.
Oliver S., Mittwoch, 20.April 2016, 22:06 Uhr
4. Was jammern wir?
Unsere eigene Freiheit ermöglicht die Verbreitung solcher Ideologien. Wir wissen schon länger, wie diese Ideologien verbreitet werden: durch öffentliche Propaganda in Fußgängerzonen und über soziale Medien. Alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Aber wehedem, der es wagt den Vorschlagzu machen, genau dieses zu unterbinden - z.B. durch Sperren und Löschen von Webseiten - der wurde/wird nieder gebrüllt von Oppositionsparteien und Medien als Gegner der Meinungsfreiheit. Ich denke wir werden lernen müssen, dass unsere Freiheit Grenzen braucht, wenn wir diese erhalten wollen. Und wenn jemand Ideologien verbreitet, welche die wahre Freiheit gefährden, dann gehört das rigoros unterbunden.
Paul, Mittwoch, 20.April 2016, 21:18 Uhr
3. Wer Saudis als Partner im Kampf gegen den Terror ansieht dem ist nicht zu helfen
Merkel sieht Saudi-Arabien als "Insel der Stabilität" und lässt fleisig Waffen dorthin liefern.
Wir alle stützen beim Tanken Saudi-Arabien.
Saudi-Arabien aber stützt mal mehr mal weniger verdeckt IS-Terroristen und Al-Kaida.
Zur Erinnerung 15 der 19 Flugzeug-Entführer von 9/11 waren Saudis.
In der Welt erschien heute ein Artikel
So halfen saudische Agenten den 9/11-Terroristen
Darin wird über Demokrat Bob Graham berichtet.
Graham ist oder war ein Mitglied des US-Senats und Kontrolleur der Geheimdienste
Er legt offen daß saudische Geheimdienste und Diplomaten den Attentätern bei ihrem 'Projekt' halfen.
Sie sorgten z.B. für Wohnungen, Dolmetscher bei ihren Flugschule-Aufenthalt in den USA.
Es ist ein offenes Geheimnis das Saudi-Arabien den radikalen Islam im Ausland unterstützt.
Ebenso ist bekannt daß Demokratie und Menschenrechte in diesem Land unerwüscht sind.
Trotzdem treten eine Reihe von Politikern immer wieder dafür ein dieses Regime hochzurüsten.
Meine Prognose: Das wird sich rächen.
present&future, Mittwoch, 20.April 2016, 21:10 Uhr
2. Erklärung schafft Klarsicht
Junge Menschen die nach Freiheit streben
und dabei die Erfahrung suchen das die hähren Ziele ethisch und moralisch irgendwann Anerkennung finden.
irgendwie ist es Jugendliche Verblendung die meint mit selbstzerstörrischen
Aktionen Klarheit zu schaffen.
Selbst der IS ist manipuliert, ein Fundamentalismus der sich ideologisch erklärt..
Leider bin ich ein alter Mann und ich kann
nicht mehr Soziologie studieren..aber
wieso sollte ich, Terror ist eine Maschine die nicht nach Menschenleben fragt.
Joe, Mittwoch, 20.April 2016, 20:29 Uhr
1.
Die Suche nach "Religiöse Verfolgung Bayern" bringt ans Licht, der Freistaat verfolgt Menschen die einen Radikalen Pazifismus leben. Von Personen die von der Polizei gedrängt werden, ihr öffentliches Statement zur Gewaltlosigkeit zurückzunehmen. Diese Staatsregierung ist eines, unglaubwürdig.