Der Fall Bruckner Autor Dr. Hans-Ullrich Krause zum Film
Der Autor Dr. Hans-Ullrich Krause ist Leiter des Kinderhauses Berlin - Mark Brandenburg e.V., ein Verbund sozialpädagogischer Projekte, und hat sich beim Drehbuch an authentischen Fällen aus seinem Alltag als Sozialpädagoge orientiert und zusammen mit der Autorin Cooky Ziesche den Stoff für Corinna Harfouch in der Rolle der Katharina Bruckner entwickelt. Hier schreibt er über seinen Ansatz beim Verfassen des Drehbuchs.
Ich wollte ein Filmdrehbuch schreiben, in welchem ein realeres Bild von der Arbeit in einem Jugendamt gezeichnet wird, als das gemeinhin geschieht. Natürlich begegnet auch mir in der alltäglichen beruflichen Zusammenarbeit als Leiter einer großen Berliner Jugendhilfeeinrichtung mit dem Jugendamt Zynismus, Abgeklärtheit, Desinteresse und Kontrollwahn. Aber es gibt da auch Frauen und Männer, die den Mut nicht sinken lassen, auch wenn es in einer Familie drunter und drüber geht oder sogar gefährlich wird. Die nicht locker lassen, wenn alle anderen schon genervt die Arme heben. Die jene Kinder, die sie betreuen, wirklich mögen, auch wenn die schmuddelig, laut, unerzogen sind. Die verzweifelte Mütter dazu bringen, sich am Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen und wild agierende Väter im guten Sinne zurechtstutzen, so dass man wieder mit ihnen reden kann.
Katharina Bruckner, um die es in diesem Film geht, ist so jemand. Nichts kann sie davon abhalten, sich für ein Kind einzusetzen, dem es schlecht ergeht. Ja, sie ist so etwas, was früher als Heldin bezeichnet wurde. Jemand, vor dem man sozusagen den Hut zieht.
Aber wie das eben nun mal ist, haben die Klischees von widerborstigen, bösen Jugendamtsmitarbeiterinnen, die Kinder aus Familien holen oder eben doch wieder zu lange zögern, wo doch klar ist, dass eingegriffen werden muss (Jugendämter kommen immer zu früh oder zu spät), gute Überlebenschancen. Interessiert sich die Öffentlichkeit eher für jene Fälle, die schief gehen, die dramatisch enden, ist die Sucht nach dicken Schlagzeilen allmächtig. Und Presseberichte über Kinder, die trotz Betreuung durch das Jugendamt zu Tode gekommen sind, hat es in den letzten Jahren zu Hauf gegeben. Trotz neuem Kinderschutzgesetz und stetig ausgebautem Kinderschutzsystem.
Auch bei unserer Heldin Katharina Bruckner (hervorragend gespielt von Corinna Harfouch), droht so einiges schief zu gehen. Nicht nur im Jugendamt, auch in ihrer eigenen Familie. Und ja, auch das ist wahr. Bekanntlich tun die meisten Menschen so, als seien sie gefeit gegen alle Konflikte, die in Jugendhilfefamilien an der Tagesordnung stehen. Doch niemand kann sich sicher sein! Nicht einmal jene, die sich als Expertinnen für das Wohl und Weh von Familien einsetzen. Katharina erkennt, dass ihre Ehe am zerbrechen ist und dass die heimlichen Vorwürfe ihrer inzwischen erwachsenen Tochter mit eigenem Kind nicht so grundlos sind. War sie, die Jugendamtsexpertin, eigentlich selbst eine gute Mutter? Und was ist das überhaupt? Eine gute Mutter? Ein guter Vater? Wie wird man das?
Vor diesen Fragen steht auch die zweite Hauptfigur Jacqueline Bremer (wunderbar in Szene gesetzt von Christiane Paul). Und auch hier bürstet der Film gegen den Strich. Es mag ja stimmen, dass die meisten Kinderschutzfälle in Familien registriert werden, die als arm, zerrüttet, sozial schwach gelten. Der neueste Begriff lautet wohl „bildungsfern“. Doch Kinderschutzfälle gibt es auch in den sogenannten Mittelschicht- und Oberschichtfamilien. Da gibt es dann zwar mehr Ressourcen zum Ausgleich und bessere Möglichkeiten, drohende Rechtsverfolgung abzuwehren. Doch die Konflikte und Gefahren für Kinder sind deshalb nicht wirklich weniger. Kinderschutz in diesen Familien durchzusetzen ist schwieriger, weil die Beteiligten eher in der Lage sind, Hilfe und Vorwürfe abzuwehren.
Katharina Bruckner erkennt, dass der Sohn der alleinerziehenden Architektin Jacqueline Bremer, der kleine Joe, in akuter Gefahr ist, sie lässt sich von der Redegewandtheit der Mutter, von deren Rechtsanwalt und ihren kühlen und geschickten Drohungen nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Sie will es wissen, will erkennen, was Joe zu Hause in der elterlichen Wohnung widerfährt. Jacqueline Bremer wehrt das alles ab. Sie geht ihrerseits gegen das Jugendamt und die Mitarbeiterin vor und bringt Katharina Bruckner an den Rand ihrer beruflichen Existenz. Spätestens nun hätte so mancher Mitarbeiter des Jugendamtes vielleicht klein beigegeben, hätte nach Vorschrift gehandelt und das Spiel gespielt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Nicht so die Bruckner. Die gibt nicht nach. Ein Kind ist in Not, da kann sie nicht anders, da muss sie handeln und wenn sie dabei Kopf und Kragen riskiert. Und sie tut gut daran, denn Jugendämter sollen schließlich die Garanten für die Durchsetzung von Kindeswohl sein. Auch im staatlichen Auftrag. Das unterscheidet sie ja auch von anderen Helfern, seien es nun Kindertagesstätten, ambulante Familienhelferinnen oder auch Schulsozialarbeiter.
Überhaupt kann man den Film auch als Einblick in die Arbeitswelt eines Jugendamtes begreifen.
Zum Glück sind nicht alle Fälle, mit denen Jugendamtsmitarbeiterinnen konfrontiert sind, so hart wie der der Familie Bremer. Jugendhilfe insgesamt ist nicht nur Noteinsatz und Krisenaktion. Es geht nicht fortwährend darum, Kinder zu retten. Da wird auch Alltag bewältigt und Zukunft entwickelt, da werden Tränen getrocknet und da wird auch gelacht. Laut und herzlich. Das kann die Bruckner auch. Und man sieht ihr an: Das ist ihr Job! Das ist ihre Welt! Das ist IHR Jugendamt! Hier gehört sie hin! Und auch die sogenannten Klienten spüren, dass die Bruckner nicht nur Verstand hat, sondern auch Herz.
Der Film, den Cooky Ziesche und ich gemeinsam geschrieben haben, erzählt einen konkreten, dramatischen Fall. Er eröffnet aber eben auch Blicke in den Alltag, in die Arbeit der Jugendhilfe ganz allgemein. Hier hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Heimerziehung beispielsweise ist nicht mehr die Anstaltserziehung der sechziger, siebziger Jahre. Heute werden z.B. selbst in schwierigsten Lagen Familien beieinander gelassen und in Einrichtungen gemeinsam betreut, auch, um diese Familien am Ende eben doch zu erhalten. Und das ist sehr erfolgreich.
Das weiß auch Katharina Bruckner und greift also nicht nur ein und rettet Joe, sondern sucht nach einer wirklichen Lösung. Das macht ihre Haltung deutlich. Aus dem scheinbar rigiden Vorgehen des Amtes wird am Ende eine wirklich menschliche, solidarische Aktion.
Wohl dem, der in eigener schwieriger Lage auf jemanden trifft, der wie die Bruckner ist. Die ist wirklich toll! Und das muss doch mal gesagt und gezeigt werden!