Der Fall Chodorkowski Der Autor im Gespräch
Fünf Jahre lang recherchierte und drehte der FilmemacherCyril Tuschi in Russland, Deutschland, Israel und den USA. Er interviewte Zeitzeugen, Freunde, Kritiker und Familienmitglieder Chodorkowskis. 180 Stunden Interviews wurden zu spannenden 111 Minuten verdichtet. Am Ende des Films spricht Michail Chodorkowski selbst aus dem Glaskasten im Gerichtssaal direkt in die Kamera.
Sprechen Sie Russisch?
Cyril Tuschi (CT): Ich habe mit diesem Film angefangen, die Sprache zu erlernen. Meine Urgroßeltern stammen aus Sankt Petersburg und Twer, so bin ich russophil erzogen worden, was die Kultur und Literatur betrifft. Aber meine Eltern können kein Wort Russisch. Ich werde jetzt auch wieder intensiver Unterricht nehmen und liebe die Sprache sehr.
Wie hat sich während der langen Filmarbeit ihre Meinung über Michail Chodorkowski verändert?
CT: Ganz am Anfang hatte ich gar keine Ahnung und las über Chodorkowski nur im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, dass er als großer, russischer Investor versucht, auch im Westen Fuß zu fassen. Dann sah ich ihn als Opfer. Ich bemerkte jedoch schnell, dass er ein klassischer Kapitalist war, der seit Mitte der 1990er Jahre seine Pfründe auch verteidigte. Ab dem Jahr 2000 unterstützte er dann jedoch verstärkt auch die Bildung und so lernte ich viele seiner Facetten nacheinander kennen.
Meine Hoffnung war, dass man alle Wandlungen und die verschiedenen Aspekte, die ich erst in einem Zeitraum von fünf Jahren erkannte, in 100 Filmminuten erzählen kann.
Inwiefern ist Chodorkowski auch ein Gauner? Sie gehen in Ihrem Film relativ wohlwollend mit ihm um.
CT: Ich finde es unfair, wenn jemand auf dem Boden liegt, noch auf ihn einzutreten. Chodorkowski ist ja nun wirklich im Gefängnis. Hier in Europa haben wir die etwas andere Wahrnehmung, nämlich die, dass viele Menschen in Russland in ihm einen Helden sehen. Ich war selber überrascht, wie viele Leute in Russland ihn hassen, oder dass Chodorkowski ihnen egal ist. Das verblüffte mich sehr. Nach ersten Testscreenings meinten auch einige Zuschauer, wir würden nur die guten Seiten zeigen. Daraufhin haben wir im Schnitt noch mehr kritische Aspekte eingefügt, um so dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben sich selbst ein Bild zu machen. Dennoch meinen immer noch viele, wir seien „Pro-Chodorkowski”.
Dieser Eindruck entsteht wahrscheinlich auch dadurch, dass Michail Chodorkowski so charismatisch ist. Das merkt man vor allem in der verblüffenden Schlusssequenz, als Sie ihn in seinem Glaskasten beim 2. Moskauer Prozess interviewen durften.
CT: Wir waren für das Interview zur rechten Zeit am rechten Ort. Und wir fragten einfach nach. Das hatte fünf Jahre lang niemand mehr versucht. Daraufhin wusste der Richter nicht so genau, wie er reagieren sollte. Im Anschluss war das auch nicht mehr möglich. Wir hatten genau 10 Minuten Zeit, in der Mittagspause, in diesem schäbigen, kleinen Gerichtssaal, immer mit den Wachen im Rücken.
Der Hass auf Chodorkowski von offizieller Seite ist ja immens. Sind Sie jetzt eine Persona Non Grata in Russland?
CT: Der Hass ist ja nicht offen, und man geht ja sehr intelligent mit dem Fall Chodorkowski um. Julien Assange sagte kürzlich: “Schweigen ist ein Ausdruck von Macht“. So kommt es mir in Russland immer vor. Sie machen nichts und sitzen es so „Helmut-Kohl-mäßig“ aus. Das macht sie stark.
Mein Visum für Russland ist gerade ausgelaufen, aber ich glaube, dass ich keine Probleme haben werde. Die Propaganda-Abteilungen heißen jetzt PR-Abteilung, und sie haben viel dazu gelernt. Es ist zum Beispiel für den Staatssender Russia Today ein großer Coup, dass sie mit Julian Assange, über den ich meinen nächsten Spielfilm mache, eine Cooperation haben. So können sie überall auf der Welt beweisen, wie offen und liberal sie doch eigentlich sind.
Warum gab es dann diesen legendären Einbruch kurz vor der Berlinale Uraufführung Ihres Films 2011, als man Ihnen die Computer stahl auf denen sich die Endfassung von "Der Fall Chodorkowski" befand?
CT: Ich glaube, die Einbrecher wollten nur ein paar Macintosh Computer haben. Komischerweise gab es zwei Einbrüche, das war mir ein Zufall zu viel. Ich habe es aber versucht nicht so ernst zu nehmen. Bezeichnender ist, dass alle Russen sofort gesagt haben: Das war der KGB. Das zeigt, wie wenig Vertrauen die Russen zu ihrer Regierung haben.
Wie stellten Sie den Kontakt zu Chodorkowski und den anderen Interviewpartnern her?
CT: Bei Kreml Politikern war ich nicht erfolgreich. Auch die Oligarchen sagten alle höflich ab. Personen aus dem inneren Zirkel von Chodorkowski waren zunächst sehr vorsichtig. Es dauerte lange, dort Vertrauen aufzubauen.
Auch Michail Gorbatschow war nicht bereit für ein Interview?
CT: Wir denken ja im Westen immer, er war der Mann, der Russland liberalisierte und öffnete. Er sieht ja auch so sympathisch aus. Deswegen war ich umso enttäuschter, dass er nicht zum Gespräch bereit war und auch sonst nur für sehr viel Geld bereit ist, Interviews zu geben.
Joschka Fischer war erstaunlich offen und auskunftsbereit. Wie haben Sie das geschafft?
CT: Mir gelang es über einen privaten Kontakt, Joschka Fischer bei sich zu Hause zu interviewen. Wenn er davon berichtet, wie Putin vor Schröder und ihm angab, wie der russische Staat Chodorkowski die Firma abluchsen würde, dann hat das aufklärerischen Charakter. Da überraschte es mich vor allem, wie offen Putin den beiden gegenüber war. Das ist eine wirklich explosive, politische Szene im Film.
Konnte Ihr Film in Russland legal gezeigt werden?
CT: Eine russische Verleiherin hat die Rechte gekauft und beantragt eine offizielle Kinoauswertungslizenz. Der Film wird am 2. Dezember auf dem russischen Artdocfest von Vitaly Mansky gezeigt und seine Premiere in Russland haben. Ich bin überrascht und bereite mich darauf vor, dort hin zu fahren. Ich bin aber schon sehr gespannt, ob der Film dann auch wirklich in den Kinos gezeigt wird.