Tatort "Hardcore" Regisseur und Drehbuchautor Philip Koch
"Hardcore" soll einen authentischen, ehrlichen und schonungslos unverblümten Blick in diese Branche und ihre Menschen werfen, die mit unzähligen Klischees und Vorurteilen behaftet ist. Mit diesen Klischees soll aufgeräumt werden.
Der Krimi um die tote Darstellerin und Leitmayrs und Batics Suche nach dem – auch für den Zuschauer – unbekannten Mörder, ist dabei primär das äußere Gerüst der Story, Bindeglied zwischen den Figuren und Spannungsträger: "Hardcore" soll im Kern nämlich mehr sein als nur ein spannender Krimi. Er muss mehr sein, um dem gesellschaftspolitischen Anspruch gerecht zu werden.
Unter der Oberfläche der Krimihandlung soll der Film primär als Drama erzählt werden, in dem es ganz zentral um den Menschen in dieser Branche und seine Konflikte darin geht – Konflikte, die durch den Tod von Luna und die darauffolgenden Ermittlungen verstärkt werden und eskalieren. Es ist entscheidend, diesen Menschen vor und hinter der Porno-Kamera, die von vielen nur als "versaute Perverslinge" angesehen werden, ein ehrliches menschliches Gesicht zu geben. Ihnen und ihren moralischen, ethischen Konflikten soll – immer eingebettet in die Krimihandlung – mehr als üblich Raum gegeben werden.
Dieser Tatort ist ein Kaleidoskop: vier Geschichten, die alle ineinander verwoben sind, verbunden durch die Figur von Luna. Zuvorderst, um die vielen Facetten der Branche und ihre so unterschiedlichen Figuren zu erzählen und damit der so mit Klischees und überholten stereotypen Vorstellungen behafteten Branche ein authentisches, modernes Gesicht zu geben: Porno 2.0. Der Film auch als klare Milieustudie, Porno in Deutschland. Gleichzeitig stützt dieser Erzählansatz aber auch den Krimi-Spannungsbogen, denn wir haben diverse Figuren, denen wir folgen, und von denen jeder der Mörder sein könnte. Ein Who-dun-it, das sich bis zum dritten Akt durchzieht und das sowohl den Krimi-Plot stützt als auch für Spannung sorgt.
Die Entscheidung zur Authentizität erfordert den Mut, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Den Mut zum Ekel. Denn die Welt und die Praktiken sind ekelhaft – für die einen mehr, für die anderen weniger. Offen gesprochen wird kaum darüber, vor allem nicht wertfrei. Und genau das soll der Ansatz sein, für den der Tatort als etablierte Institution ideal ist. Und da er den Sex nicht zeigen darf, soll der Film die Sache knallhart aussprechen. Let’s talk Sex. Um Bewusstsein zu schaffen. Denn wo nicht über Sex, Lust und, vor allem, die prekäre Grenze zur Perversion gesprochen wird, nur dort entsteht Missbrauch. Mitten in unserer Gesellschaft. Was diesen Ansatz legitimiert sind die vielen Millionen Konsumenten. Allein in Deutschland, dem zweitgrößten Pornomarkt – der Welt.
Vorurteile, Image und Wahrheit
Die Pornobranche sieht sich mit einer Vielzahl von festgefahrenen Vorurteilen konfrontiert: als eine Welt, die bevölkert ist von Halbkriminellen, von Frauen, die genötigt, misshandelt, gezwungen und gegen ihren Willen degradiert werden; eine Welt voller Drogen, Schläger und viel billigem Reichtum... Bis auf sicher ein paar Einzelfälle entspricht das alles nicht im Geringsten den Tatsachen im deutschen Pornoland.
Selbst der Reichtum nicht, oder zumindest nicht mehr – denn früher, v.a. in den Siebzigern, war Porno wesentlich lukrativer. Reich davon wird heute kaum noch jemand. Hinter der Kamera sowie vor der Kamera. "Porno-Stars", die richtig viel verdienen mit ihrer Arbeit, gibt es heute kaum noch – schon gar keine, die einen Namen haben, der über die Branche hinaus bekannt ist. Viele Schauspieler können nicht von ihrer Arbeit leben, sondern gehen nebenher noch ganz normalen Jobs nach, um sich über Wasser zu halten. Im Kontrast zur forcierten Nötigung hat man es bei vielen also eher mit leidenschaftlichen Überzeugungstätern zu tun, die ihre Arbeit nicht wegen des Geldes machen. Viele betreiben es sogar nur hobbymäßig.
Ein weiteres falsches Vorurteil, vor allem aus feministischer Ecke, ist das der Degradierung und Entwürdigung der Frau im Pornofilm, manche sprechen sogar von „Vergewaltigung“. Auch dem ist nicht so. Niemand in der Brache wird dazu gezwungen oder genötigt (wobei es wie überall sicher auch derartige Einzelfälle gibt). Die Frauen und Männer tun dies aus freien Stücken – um ihre sexuelle Lust ohne Hemmungen auszuleben, und zwar in einem sicheren Umfeld. Die Dreharbeiten eines Pornos sind nämlich die sicherste Spielwiese für die „härteren Gangarten“ der Lust: Jeder Darsteller muss einen aktuellen Gesundheitstest vorlegen (HIV, Hepatitis, u.a.), damit gesundheitlich alles sicher ist, im Vergleich zu Swinger-Clubs, Prostitution, Sex-Parties, etc..Gleichzeitig gibt es auch immer jemanden vom Filmteam, „der aufpasst“, dass alles geregelt abläuft.
Gesellschaftliche Relevanz und Tabu
Obwohl wir uns als so offene, aufgeklärte Gesellschaft geben und sehen, ist es frappierend, wie tabuisiert die Branche noch ist: Viele, besonders Schauspielerinnen, gehen ihrem Beruf hierzulande heimlich nach, ohne dass Familie, Freunde oder Arbeitgeber davon wissen – obwohl sie ironischerweise exhibitionistisch vor der Kamera Sex haben; das Damoklesschwert einer ständigen Bedrohung, entlarvt zu werden.
Auch wenn es viele offene Familien und Freundschaften gibt, ist es erstaunlich (und gesellschaftlich bezeichnend), wie viele Familien und Freunde sich von Menschen distanzieren, die sich als Darsteller in der Branche geoutet haben (das scheint Frauen ungleich öfter zu passieren). Das Spannende dabei ist, dass sie nichts Illegales tun, sondern nur ihre Sexualität offen ausleben. Es gibt viele Fälle, in denen ein Outing der Beteiligten dazu geführt hat, dass diese von Familie und Freunden verstoßen und dies sie in die Isolation und Vereinsamung geführt hat. Und das in einer Gesellschaft, die scheinbar so offen und tolerant mit Sexualität umgeht, ja die, wie so oft (und sicher auch zu Recht) als übersexualisiert kritisiert wird. Das dramaturgische Potenzial einer solchen verzweifelten Isolation erscheint sehr vielversprechend – auf Ebene des Krimiplots, genau wie auf Ebene einer sozialkritischen Erzählhaltung.
Bezeichnend hierzu auch eine Episode, die sich wirklich zugetragen hat: Aus Rache, weil eine seiner Schauspielerinnen unter Exklusivvertrag mit einer anderen Produktionsfirma einen Film gedreht hat, setzt ein wütender Produzent anstelle ihres Porno-Pseudonyms ihren echten Namen auf das Cover der Hardcore-DVD – woraufhin es nicht lange dauert, bis die geheim gehaltene Tätigkeit der Schauspielerin auffliegt...
Die Geschichte könnte eine spannende Basis zur Fiktionalisierung sein – wie reagieren Eltern, die erfahren, dass ihre 19-jährige Tochter voller Überzeugung Hardcore-Pornos dreht? Wie reagieren Freunde? Oder Arbeitgeber? Oder gar der Ehepartner? Es gibt diverse Fälle, in denen Menschen ihren Daytime-Job und damit ihre eigentliche Existenzgrundlage verloren haben, als herauskam, dass sie Pornos machen. Die meisten von ihnen gehen übrigens ganz normalen Mittelstandsjobs nach, sind Pfleger, Pädagogen, Apotheker, oder Lehrer, während Porno quer durch alle Gesellschafts- und Altersschichten konsumiert wird. Hier wird die Doppelmoral unserer Gesellschaft besonders deutlich, die im Film klar kritisiert werden soll: Porno zu konsumieren ist moralisch legitim, Porno zu machen hingegen unmoralisch, schmutzig und beschämend.
Philip Koch, Regisseur und Drehbuchautor