Tatort München: Dreams Fragen an Regisseur Boris Kunz
Was hat Sie am Thema "Luzides Träumen" aus filmischer Sicht gereizt?
Boris Kunz: Das Thema von "Dreams", luzides Träumen, hat mich sofort angesprochen, weil ich mich damit persönlich schon seit Jahren auseinandersetze. Ich habe selbst schon mehrere Anläufe unternommen, mir das Luzide Träumen beizubringen und bin dem Klartraum dabei einige Male schon recht nahe gekommen. Leider scheine ich aber nicht der geborene Klarträumer zu sein. Mich fasziniert dabei vor allem der Gedanke, in fremde Welten abtauchen zu können, und eine gewisse Kontrolle über all die verrückten Dinge zu erlangen, die einem im Traum begegnen. Den Gedanken, dass jemand der das Klarträumen beherrscht und praktiziert, am Ende aber nicht mehr weiß, ob er einen Mord nur im Traum oder in Wirklichkeit begangen hat, fand ich deshalb sofort faszinierend. Im Film geht es darum, dass es einigen der Figuren zunehmend schwerfällt, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Es geht also um das Durchdringen mehrerer Realitätsebenen, die aufeinander einwirken.
Wie wurden diese verschiedenen Realitätsebenen filmisch-visuell umgesetzt?
Boris Kunz: Wir haben versucht, dazu eine filmische Entsprechung zu finden, indem wir nach Architektur mit Glas und halbtransparenten Flächen gesucht haben, so dass sich auch visuell mehrere Eben übereinander legen, der Durchblick durch eine Scheibe und die Spiegelung in einer Scheibe. Auch geht es viel um Monitore, Bildschirme, Leinwände, Projektionen und Reflexionen. Wir wollten dabei eher subtil und unaufdringlich ein Gefühl von einer Welt erzeugen, in der die Realität sich immer ein wenig in Auflösung befindet. Ähnliches geschieht übrigens auch auf der Tonebene, wo die Filmmusik und die im Film gespielte Klassik einander ebenfalls durchdringen und so zwei unterschiedliche Welten zu einer verschmelzen lassen. Besonders reizvoll fand ich die Darstellung von Träumen. Der Witz bei luziden Träumen ist zwar, dass sie sich eigentlich gar nicht mehr wie Träume darstellen, aber hin und wieder wird im Film der Klartraum auch zu einem Alptraum. Den Traum durch besonders überhöhte, verzerrte oder künstlich wirkende Bilder auszustellen, wäre für mich ein grundfalscher Ansatz gewesen. Das besondere an Träumen ist doch, dass sie sich während des Träumens vollkommen echt und überzeugend anfühlen und eher selten aus phantastischen und surrealen Elementen bestehen. Im Traum kann ich auf dem Dach des Gasteigs stehen, mich umdrehen und plötzlich hinter mir das Meer sehen. Bestand habe eigentlich nur ich selbst als Person. Die konsequente filmische Umsetzung dessen heißt für mich: Die träumende Figur ist die Konstante in der Szene. Ihre Bewegungen, ihre Handlungen haben Kontinuität, während alles andere – vom Bildhintergrund bis zum Kostüm – sich in jedem Moment verändert, in dem die Figur ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtet. Die Schauspielerin muss also eine durchgehende Handlung spielen, während wir sie für jede Aufnahme an einen anderen Ort verfrachten. Das klingt verrückter als es ist, so funktioniert Filmemachen ja im Grunde sowieso. Normalerweise achtet man aber penibel auf die Stimmigkeit der sogenannten Continuity. Das absichtlich zu brechen und beispielsweise einem Darsteller mitten in der Szene Stück für Stück ein anderes Kostüm zu geben, geht sozusagen gegen den Instinkt des Kostümdepartments. Die mussten dann darauf vertrauen, dass der Zuschauer das später nicht als technischen Fehler sondern als Teil der Geschichte wahrnimmt.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Kommissaren und den jungen Hauptdarstellerinnen?
Boris Kunz: Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl kennen ihre Figuren so gut, dass ich ihre Anregungen und Anmerkungen in Bezug darauf, wie die zwei Kommissare in gewissen Situationen handeln würden, immer sehr ernst genommen habe. Dazu kommt, dass die zwei mittlerweile auch selbst sehr geschult darin sind, kriminalistisch zu denken, was sehr dabei hilft, die Stimmigkeit der Ermittlungen und der Logik des Drehbuchs zu überprüfen. Und sie bereichern die Inszenierung immer wieder um ein paar schöne, komödiantische Einfälle, die spontan am Set entstehen.
Gleichzeitig entdecken wir in diesem Film einige junge Gesichter, allen voran Jara Bihler und Dorothée Neff, die es beide auf ihre Weise schaffen, ihren Figuren eine ungeheure Präsenz zu geben. Wir hatten für alle ihre Musik-Szenen ein Double am Set, aber am liebsten möchte man der Figur natürlich beim Musizieren ins Gesicht sehen können. Es spricht sehr für Jara, wie selten wir ihr Double überhaupt einsetzen mussten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir von beiden Schauspielerinnen noch viel Spannendes zu sehen bekommen werden.
Wie lief der Dreh unter Corona-Bedingungen ab?
Boris Kunz: Drehen unter Corona-Bedingungen – vor allem zu einem Zeitpunkt, als wir mit den Impfungen noch lange nicht so weit waren, wie wir es jetzt sind – ist natürlich kein Spaß: Aber in unserem speziellen Fall war die Pandemie fast schon ein Glücksfall, denn wir konnten knapp eineinhalb Wochen lang den Gasteig als Drehort nutzen: Die Philharmonie, den Carl-Orff Saal, Probenbühnen, die Dachterrassen etc. Das wäre unter normalem Betrieb vermutlich logistisch ein Ding der Unmöglichkeit geworden, man hätte sich nach anderen Locations umsehen müssen, um eine Geschichte zu erzählen, von der zumindest jeder Münchner Zuschauer sagen wird, dass sie doch eigentlich an den Gasteig gehört. Jetzt hatten wir die Möglichkeit, dort tatsächlich auch zu drehen. Wir hatten dabei zwei Tage lang das Münchner Rundfunkorchester bei uns am Set, die in ihrer Arbeit extrem professionell sind. Das erste Mal, wenn die Kamera läuft und das Orchester sein Crescendo spielt, ist schon ein Gänsehaut-Moment.