Ungeschminkt Interview Sensitivity Beraterin Julia Monro
Sie standen als Sensitivity Beraterin den Kreativen im Entstehungsprozess von "Ungeschminkt" zur Seite, um eine authentische Darstellung der Lebensrealität von trans Personen in diesem Film zu erreichen. Wie verlief diese Zusammenarbeit, was umfasste sie und warum war sie wichtig?
Um bei einem so sensiblen Thema auch eine fachliche Expertise hinzuzuziehen, meldete sich die Produktionsfirma mit Produzentin Anna Oeller, Producerin Luisa Lioi sowie dem Regisseur Dirk Kummer schon während der Drehbuchentwicklung bei mir. Kameramann Joe Berger hatte mitbekommen, dass ich an der Entwicklung der trans Figur "Leni" in dem Kinofilm "Bis ans Ende der Nacht", für den die trans Frau Thea Ehre mit dem Silbernen Bären als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde, beteiligt war. Daraufhin hat er den Kontakt hergestellt.
Wir verstanden uns auf Anhieb gut und verabredeten eine Zusammenarbeit. Das Drehbuch habe ich intensiv durchgearbeitet und einen Bericht mit meinen Anmerkungen zurückgeschickt. Ziel ist für mich immer, die Darstellung von trans* Personen so authentisch und so wenig klischeehaft wie möglich zu gestalten, was in der Vergangenheit häufig nicht der Fall war. Um es mal plakativ zu umschreiben: weg von der ermordeten trans Frau im Rotlichtmilieu, hin zu einer realistischen Figur, wie wir sie heute auch im Alltag vorfinden. Bei "Ungeschminkt" wurde auf alle Anmerkungen eingegangen, was mich sehr gefreut hat. Die Zusammenarbeit war insgesamt von sehr viel Wertschätzung geprägt und hat sich auch im Nachgang bei einigen Filmfestivals fortgesetzt. Ich bin unendlich dankbar, diese Erfahrung machen zu dürfen und dass man mir so viel Vertrauen entgegenbringt.
Warum spielt die korrekte Verwendung von Sprache bei einem Film wie "Ungeschminkt" eine so große Rolle?
Trans Personen werden in vielen Lebenssituation durch die Verwendung von Sprache bevormundet und fremdbestimmt, was häufig zu Verletzungen führt. Das fängt beispielsweise bei den verwendeten Pronomen an, denn die meisten Menschen sortieren ihr Gegenüber anhand ihrer Sehgewohnheiten ein, welches Geschlecht das Gegenüber vermeintlich haben könnte. Wer einen Bart hat, wird automatisch mit männlichen Pronomen angesprochen, weil der Bart suggeriert, die Person sei ein Mann. Es geht aber nicht darum, wie andere Menschen uns sehen oder uns lesen, sondern darum, wie wir uns selbst verstehen. Jeder Mensch hat ein Selbstbestimmungsrecht, was uns auch gleichzeitig dazu auffordern sollte, empathischer miteinander umzugehen.
Warum ist es beispielsweise falsch, zu sagen, dass Josef Josefa WIRD? Warum sollte man nicht von einer "Geschlechtsumwandlung " sprechen? Können Sie weitere Beispiele nennen, bei denen man sensibel formulieren sollte?
Die Worte, die wir als Gesellschaft nutzen, wecken in uns Assoziationen, Bilder oder Gefühle und lenken unsere Wahrnehmung. Du musst nur mal das Wort "Zitrone" aussprechen und schauen, welche Bilder und Gefühle dadurch geweckt werden. Die einen verbinden damit etwas Leckeres, Erfrischendes, andere verziehen sofort die Miene, weil es bei ihnen Säure und Ekel hervorruft.
Das klassischste Beispiel ist das Wort "transsexuell". Da steckt immer noch die Silbe "sexuell" drin, was bei den meisten Menschen im Kopf irgendwas mit Sexualität oder sexuellen Handlungen hervorruft. Es geht bei dem trans Thema aber nicht um Sexualität, also nicht um die Frage "wen liebe ich?" oder "wen begehre ich?", sondern es geht um Identität, also die Frage "wer bin ich?". Selbst in der Medizin hat die Weltgesundheitsorganisation mittlerweile den Begriff "Transsexualität" abgeschafft und "Geschlechtsinkongruenz" eingeführt. Das beschreibt viel treffender ein Auseinanderfallen der geschlechtlichen Zuschreibung von außen und dem inneren geschlechtlichen Selbstverständnis.
Bei "Ungeschminkt" war es mir wichtig, Verletzungen von trans Personen zu vermeiden. Was die Formulierung zu Josef und Josefa betrifft: Josef WIRD nicht zu Josefa, weil es den Eindruck vermittelt, Geschlecht wäre eine freie Wahl. Das ist es aber nicht. Die Geschlechtsidentität ist fester Bestandteil der Person und schon immer vorhanden. Deshalb wird umgekehrt eher ein Schuh draus. Josefa war schon immer Josefa, sie wurde lediglich von Dritten fremdbestimmt und zu Josef gemacht. Eine "Geschlechtsumwandlung" gibt es also gar nicht, sondern die Menschen werden außen an das Innere angeglichen. Man müsste also viel eher von einer Korrektur sprechen. Die meisten verwenden die Formulierung "Geschlechtsangleichung".
Was meint Josefa, wenn sie im Film sagt: "Das Geschlecht sitzt zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen"?
Auf diesen Abschnitt bin ich besonders stolz, weil ich ihn selber ins Drehbuch eingebracht habe. Im Drehbuch war ursprünglich eine Szene geplant, in der Josefa vor einem Publikum einen Vortrag hält und auf einer Leinwand Fotos von Operationen gezeigt werden sollten. Das habe ich kritisiert, weil es typisch für eine trans Darstellung ist. Sehr plakativ und nur auf Körperteile fixiert. Der Regisseur Dirk Kummer fragte mich, wie ich das denn stattdessen machen würde und bat mich um eine Formulierung. So kam mein Vorschlag ins Drehbuch und ich war beeindruckt, als Adele ihn wiedergegeben hat. Dieser Satz ist ein Zitat von dem berühmten Wissenschaftler Milton Diamond, der sich mit dem Thema trans beschäftigt hat. Er hat in seinen Arbeiten herausgefunden, dass Geschlecht eben nicht anhand körperlicher Merkmale von außen definiert werden kann, sondern es ist das Gehirn, welches die Basis für das eigene Geschlechtsbewusstsein bildet. Geschlecht lässt sich nicht von außen in irgendeiner Form begutachten. Und das war übrigens in den 1970er Jahren und nicht erst kürzlich. Diese Definition gibt dem Wort "Selbstbestimmung" wieder eine besondere Bedeutung und wurde auch in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder betont.
Was ist für Sie das Besondere an der Geschichte, die in "Ungeschminkt" erzählt wird?
In der Geschichte von Josefa können sich viele Menschen wiederfinden, die sich hoffentlich ermutigt fühlen, verlorengegangene Kontakte wieder aufleben zu lassen. Für mich ist es eine Geschichte, die Hoffnung spendet, dass Vergebung jederzeit möglich sein kann. Was ich auch schön finde, ist die realitätsnahe Darstellung der Wirklichkeit von trans Personen. Sei es die Sorge von Josefa vor einem Zwangsouting, als der Postbote ihr den Brief überreicht. Oder die Situation bei dem Rechtsanwalt, wo Josefa dem Rechtsanwalt widerspricht: Sie sei eine Erbin und kein Erbe. Gerade Behörden sind immer ein schwieriges Pflaster, wo man sich durchbeißen muss. Auch als Hubsi Josefa bedrängt. Das erlebt man leider im Alltag häufig. Ich find's super, dass Josefa sich dort nicht einschüchtern lässt und Stärke zeigt. Mir gefällt außerdem die Vielfalt der trans Rollen, die im Film vorkommen. Die Hauptrolle wird von einer nicht-trans Person gespielt. Ihre beste Freundin ist ebenfalls eine trans Frau und wird von einer trans Person gespielt. Darüber hinaus gibt es noch Nebenrollen, die mit trans Personen besetzt wurden und völlig selbstverständlich unter uns sind, ohne dass wir davon Kenntnis bekommen. So wie in der Realität: Es gibt trans Personen, die sichtbar sind und sich aktiv für Verbesserungen stark machen und es gibt welche, die froh sind, dass sie ihren schweren Weg hinter sich haben und es jetzt nicht mehr permanent Thema ist. Ich wette, viele Menschen sind schon mal einer trans Person begegnet, ohne es zu wissen. Ich glaube, diese gekonnte Darstellung von Realität macht den Film irgendwie vollkommen.
Was ist für Sie das Besondere an Adele Neuhausers Darstellung der Josefa?
Adele Neuhauser hat mich als Mensch und als Schauspielerin total beeindruckt: Ich saß bei der Szene in der Beratungsstelle einen Stuhl neben ihr und habe sie von der Seite beobachtet, wie sie in die Rolle der Josefa geschlüpft ist. In diesem Moment habe ich ihr jedes Wort abgekauft, als sei es Realität. Als sie mir dann noch erzählte, dass sie selbst häufig das Thema Geschlecht und die Rollen von Mann und Frau hinterfragt hatte und ihre Stimme dabei auch oft eine Rolle spielte, habe ich verstanden, dass sie selbst ein Thema damit hat und deshalb hervorragend geeignet ist für die Rolle. In meinem ersten Bericht hatte ich es noch kritisiert, dass die Hauptfigur nicht von einer trans Person besetzt wurde. Diese Kritik gibt es häufig aus meiner Community, dass trans Rollen auch von trans Menschen gespielt werden sollten. Aber in diesem Moment haben sich diese Zweifel bei mir völlig aufgelöst, und ich habe sogar ein wenig bedauert, dass ich das kritisiert hatte, denn genau das ist ja ihre Aufgabe als Schauspielerin, nämlich andere Figuren darzustellen. Adele hätte Josefas Emotionen nicht besser transportieren können. Man kann sich dank ihrer Darstellung sofort mit der Figur identifizieren und nachvollziehen, was sie durchlebt hat.