Wolfgang Stark Der Schiedsrichter über Fehlentscheidungen auf dem Platz
Wolfgang Stark hat 345 Partien gepfiffen, 2017 hat er als Bundesliga-Schiedsrichter aufgehört. Mit Thorsten Otto auf der Blauen Couch redet er über Fehlentscheidungen, Toni Polster und darüber, wie der Fußball sich verändert hat.
Niederbayer Wolfgang Stark über Dialekt als Schiedsrichter in der Bundesliga
"Es hat bestimmt Situationen gegeben, wo man so kurz auf Konfrontationskurs war mit den Spielern, die zwar ungefähr gewusst haben, was ich gemeint habe, aber mich vom Dialekt her nicht verstanden haben. (…) Wenn man auf dem Platz steht, gehören Emotionen dazu, dann spricht man so, wie einem der Schnabel gewachsen ist. In Kombination mit der Körpersprache haben die Spieler auch Bayerisch verstanden."
Wie er als Schiedsrichter mit Fehlentscheidungen auf dem Platz umging
Fehler auf dem Platz sind Wolfgang Stark meist lange und intensiv nachgegangen.
"Auf dem Platz bist du zu 100 Prozent überzeugt, dass die Entscheidung richtig ist, sonst würdest du sie ja nicht treffen. Wenn du dann vom Platz in Richtung Kabine gehst, in den Kabinengang, stehen da die ganzen Presse- und Medienvertreter. Und wenn da schon die ersten Anfragen kommen an den Schiedsrichter, man hätte gern wegen der ein oder anderen Szene ein Interview, hast du schon mal grundlegend gewusst, irgendetwas war da nicht ganz richtig. Dann schaut man sich das in der Kabine nochmal an und stellt fest: 'Oh mein Gott, das hat hinten und vorne nicht gepasst.' Und dann sitzt du natürlich in der Kabine und besprichst das nochmal mit deinem Assistenten und machst dir Gedanken – wie konnte das passieren. Durch diesen Fehler ist vielleicht das Spiel entschieden worden.'"
Wolfgang Star über den perfekten Schiedsrichter
Als Schiedsrichter muss man den Kopf freihaben und darf nicht darüber nachdenken, was buchstäblich auf dem Spiel steht - viel Geld oder Karrieren zum Beispiel.
"Als Schiedsrichter muss man total ausblenden, ob es da um den Einzug in die Champions League, Meisterschaft oder zig Millionen geht. Selbst hat man ja auch den Ehrgeiz, alles richtig zu machen. Das wird es aber nicht geben: Es wird nie einen Schiedsrichter geben, der 90 Minuten alles richtig macht. Und genau so ist es beim Spieler auch. Bei dicken Fehlern ist es so, da macht man sich nach dem Spiel unheimlich viele Gedanken. Nach einem Samstagspiel ist der Sonntag gelaufen."
Stark über Bundesligaspieler, die Millionen verdienen
Wolfgang Stark hat es nie genervt, dass er als Schiedsrichter mit Spielern auf dem Platz stand, die Millionäre sind.
"Für ein Bundesligaspiel hat es schon 3.000 Euro brutto gegeben, das ist nicht schlecht. Das ist natürlich nicht vergleichbar. Wenn man jetzt einen Profischiedsrichter hat, pfeift der dann wirklich besser? Es gibt so viele Athleten gerade im Bereich Wintersport oder in der Leichtathletik, die trainieren auch im Prinzip Tag und Nacht, und verdienen auch relativ wenig. Werden Weltmeister, werden Olympiasieger – wenn man die vergleicht mit Profi-Fußballern, ist das schon erschreckend."
Der Fußball hat sich verändert - und die Spieler
Was ist der Unterschied zwischen den Spielergenerationen Matthäus, Effenberg damals und heute Manuel Neuer, Thomas Müller, Ribery, Lewandowski?
"Wenn man sich Spiele anschaut von vor zwanzig Jahren und heute, ist das gar nicht mehr vergleichbar. Das Ganze ist schneller und athletischer geworden. Und da bleibt dann oft gar nicht so viel Zeit zu kommunizieren. Die Spieler achten heutzutage auch viel mehr darauf, wie reagiert der Schiedsrichter: Ist seine Körpersprache nicht optimal, hat er keine Körperspannung. Das ist dann sofort ein Zeichen von Unsicherheit. Und das versuchen die Spieler dann auszunutzen. Früher haben das die Spieler viel häufiger den Schiedsrichter in ein Gespräch verwickelt. Man ist dem in den ersten Minuten total auf den Sack gegangen. Heute schauen die Spieler, wie bewegt sich der Schiedsrichter."
Toni Polster und Wolfgang Stark
Insgesamt hat Wolfgang Stark 345 Bundesligaspiele gepfiffen. An sein erstes Spiel erinnert er sich genau. Es war ein Probespiel, das seine Eignung als Bundesliga-Schiedsrichter zeigen sollte. Doch es gab ein Problem - den Spieler Toni Polster.
„Ich habe gleich in meinem ersten Spiel (…) ein Supererlebnis gehabt: Köln gegen MSV Duisburg. Damals hat Toni Polster bei Köln gespielt. Man hat schon immer gewusst, Toni Polster ist während der 90 Minuten nicht unbedingt ein Freund der Schiedsrichter. Und der hat in den ersten Minuten versucht, zu testen, wie weit er gehen kann. Bei einer Einwurf-Entscheidung sind wir damals so richtig aneinandergeraten und zwei, drei Minuten später habe ich mir gedacht: ‚Jetzt musst du dir irgendwas einfallen lassen, weil der macht dir vielleicht das ganze Spiel kaputt.' Bei einer Spielunterbrechung bin ich dann zum Toni Polster hingelaufen und hab gesagt: ‚Jetzt passen Sie mal auf, Herr Polster, das geht so nicht. Vor allem ist es ja so: Sie sind aus Österreich und ich bin aus Bayern. Zumindest vom Dialekt her haben wir a bisserl was gemeinsam und wir verstehen uns untereinander. Die anderen Spieler sind ja eigentlich alles „Preußn“. Und wir zwei, die wir uns vom Dialekt her gut verstehen, machen uns beide das Leben schwer.' Da hat mir der auf die Schulter geklopft und gesagt: ‚Da hast eigentlich recht.' Ab dem Zeitpunkt ist der Toni Polster vor jedem Spiel beim Warmlaufen auf mich zugekommen und hat gesagt: ‚Schiri, heut können wir uns wieder unterhalten.‘“
Führungsspieler und Schiedsrichter
Warum man als Schiedsrichter versuchen muss, die Alpha-Spieler auf seine Seite zu ziehen.
"Wenn diese Führungsspieler vor und nach dem Spiel wenig über den Schiedsrichter sprechen, dann hat man als Schiedsrichter einen guten Job gemacht. Es heißt ja auch, je weniger der Schiedsrichter auffällt, umso besser ist es."
Was ein guter Fußballschiedsrichter können muss
"Er soll einen gesunden Ehrgeiz haben. Ohne Ehrgeiz kann man nirgendwo etwas erreichen. Am besten nicht auffallen in einem Spiel, gehört auch mit dazu. Man braucht ein gewisses Management auf dem Platz. Ich brauche einen Matchplan - wie gehe ich vor. Ich muss wissen, wie ich mit den 22 verschiedenen Charakteren auf dem Platz zurecht komme. Ob man ein guter Schiedsrichter war, zeigt sich erst nach den 90 Minuten."