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Kulturgut in Gefahr Denkmalpflege im Wandel der Zeit

Bayern hat etwa 109.500 Bau- und 49.700 Bodendenkmäler, darunter Schlösser und Kirchen, Bauern- und Bürgerhäuser, Fabriken und Villen. Kann es gelingen, dieses Erbe in Zeiten von steigenden Grundstücks- und Immobilienpreisen zu schützen?

Von: Susanne Roßbach

Stand: 25.01.2022 | Archiv

Kulturgut in Gefahr: Denkmalpflege im Wandel der Zeit

Ein grauer Tag auf dem Bamberger Domplatz. Nur wenige Menschen stehen bewundernd vor dem Dom aus dem 13. Jahrhundert. Seine beiden Ost-Türme sind seit geraumer Zeit eingerüstet. Was so mancher als lästig empfindet, ist tatsächlich ein gutes Zeichen: Der Bamberger Dom wird gepflegt und damit für spätere Generationen erhalten. Das ist die Aufgabe der Bamberger Dombauhütte. Die Werkstatt ist gleich neben dem Dom in der Alten Hofhaltung.

Arbeiten wie im Mittelalter

Steinmetzin Claudia Freundensprung

14 Handwerkerinnen und Handwerkern sind ständig darum bemüht, den Bamberger Dom zu erhalten. Darunter sind Steinmetze, Maurer, Zimmerer, ein Schreiner und ein Goldschmied. Steinmetzin Claudia Freudensprung beispielsweise arbeitet so, wie die Handwerker es im Mittelalter getan haben. Eine zeitaufwendige Arbeit.

Rund 1 Million Euro kostet es jedes Jahr, den Dom zu erhalten. Dabei zahlt den größten Teil der Freistaat, denn der Bamberger Dom gehört zwar der katholischen Kirche, für den Bauerhalt ist aber der Bayerische Staat zuständig. Daher ist die Dombauhütte Teil des Staatlichen Bauamtes Bamberg. Der Leiter der Dombauhütte Ulrich Först weiß, was dem Bauwerk zusetzt.

"Das große Gebäude ist vor allem Wind und Wetter ausgesetzt, dann die Temperaturschwankungen. Viel Schaden richtet der Frost-Tau-Wechsel an. In der Oberfläche dringt die Feuchtigkeit ein, es kommt der Frost und dann gibt es Absprengungen. Und ein großes Schadensbild haben wir mit rostenden Eisen. An den statisch wichtigen Teilen haben die einfach so ein 30 Zentimeter langes Eisenteil mit eingelegt in die Fuge, um ein Verrutschen zu vermeiden. Diese Eisen fangen das Rosten an, dadurch entsteht eine Volumenvergrößerung, diese kann gesunde Steine regelrecht auseinandersprengen."

Ulrich Först, Leiter der Dombauhütte Bamberg

109.500 Bau- und 49.700 Bodendenkmäler in Bayern

Der Bamberger Dom ist ein prominentes Beispiel für die knapp 109.500 Baudenkmäler, die es derzeit in Bayern gibt, darunter sind über 874 Ensembles, also Gruppen von Gebäuden, die als Ganzes unter Denkmalschutz stehen. Dazu kommen über 49.700 Bodendenkmäler, wie z.B. Bestattungsplätze mit Grabhügeln aus frühgeschichtlicher Zeit, und 63 bewegliche Denkmäler. Eines davon ist die Predigtstuhlbahn, die älteste im Original erhaltene Großkabinenseilbahn der Welt. Um den Erhalt dieser Denkmäler kümmert sich das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, eine Fachbehörde, die dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst zugeordnet ist.

"Denkmäler sind von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt."

Begriffsbestimmung im Bayerischen Denkmalschutzgesetz von 1973

Kleine Geschichte der Denkmalpflege Teil 1: Das Idealbild des Königs

Der Bamberger Dom - mit Gerüst.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich hierzulande das Bewusstsein für historische Bauwerke als Zeugen nationaler Größe. Dabei kam es zu einer ästhetischen Umdeutung der Baukunst des Mittelalters. Lange hatte die Gotik als hässliche Architektur gegolten, doch nun wurde sie als "Deutsche Baukunst" gefeiert. In Bayern begann die staatliche Denkmalpflege mit König Ludwig I. 1835 gründete er die "Generalinspection der plastischen Denkmale des Reiches". Der König wollte mittelalterliche Bauwerke erhalten, so verhinderte er z.B. den Abriss der Nürnberger Stadtmauer. Doch Ludwig I. war einer klassizistisch geprägten Ästhetik verbunden. Als er im Jahr 1826 den Bamberger Dom besichtigte, entsprach die damalige Ausstattung so gar nicht seinen Vorstellungen. In der Barockzeit war der Innenraum weiß gefasst worden, die Architekturglieder glänzten vergoldet und der Dom war mit zahlreichen Altären ausgestattet worden. "Raus damit und abschrubben bis der blanke Stein zu sehen ist", lautete die Anweisung des Königs. Der Dom wurde "purifiziert". Die Skulpturen aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, darunter der berühmte Bamberger Reiter, verloren so ihre ursprünglichen farbigen Fassungen. Denkmalpflege ist vom Zeitgeist abhängig.

Bayerischer Denkmal-Atlas – für jeden im Internet einsehbar

Der Bestand denkmalgeschützter Häuser ist in der Denkmalliste verzeichnet, die als Online-Version "Bayerischer Denkmal-Atlas" im Internet verfügbar ist. Auch Objekte, die nicht aufgeführt sind, können Denkmäler sein. Anregungen können von Heimatpflegern, Eigentümern oder Dritten kommen. Wenn die Denkmaleigenschaft vorliegt, werden die Gebäude nachgetragen. Die jüngsten Denkmäler der Liste stammen aus den 1970er Jahren, wie das Olympiazentrum in München und das BMW Hochhaus. Zuletzt nachgetragen wurde das Oberammergauer Passionsspielhaus, das "aufgrund seiner besonderen Konstruktion und Gestaltung, der seltenen Technik im Bühnenhaus und seiner hohen geschichtlichen Bedeutung für das Volks- und Laientheater schützenswert ist". So begründete das Landesamt seine Entscheidung.

Kleine Geschichte der Denkmalpflege Teil 2: Der Einfluss aus Frankreich

Der erste Schritt zur institutionalisierten Denkmalpflege war mit der Erkenntnis getan, dass es alte Gebäude als Zeugnisse der eigenen Geschichte zu erhalten galt. Im Weiteren widmete man sich der Frage, wie das geschehen sollte. Ein Vorbild dafür wurde im 19. Jahrhundert europaweit der Franzose Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc. Er war mit der Restaurierung der Kathedrale Notre-Dame in Paris beauftragt worden. Sein detailreiches Wissen verführte ihn dazu, die alte Bausubstanz zu "verbessern" wo er es für notwendig hielt. So ergänzte er nicht nur fehlende Figuren, sondern fügte auch neue hinzu. Ähnlich akribisch arbeitete in Bayern Karl Alexander von Heideloff, der Nürnberger Kirchen so detailgetreu restaurierte, dass der Unterschied zwischen alt und neu kaum noch zu erkennen war.

Kleine Geschichte der Denkmalpflege Teil 3: Konservieren, nicht restaurieren

Ein grundlegender Wandel in der Auffassung, wie Denkmäler für die Nachwelt erhalten bleiben sollten, setzte um 1900 ein. Anlass war die Rekonstruktion des zerstörten Heidelberger Schlosses. Der beauftragte Architekt plante, verloren Gegangenes durch frei erfundene Neuschöpfungen zu ersetzen. Die Kritik an diesen Plänen formulierte der Kunsthistoriker Georg Dehio, der einen großen Einfluss auf das Konzept der modernen Denkmalpflege haben sollte:

"Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von historischer Pietät. Wir wollen unsere Ehre darin suchen, die Schätze der Vergangenheit möglichst unverkürzt der Zukunft zu überliefern, nicht, ihnen den Stempel irgendeiner heutigen, dem Irrtum unterworfenen Deutung aufdrücken. (…) Verlieren würden wir das Echte und gewinnen die Imitation."

Georg Dehio

Berühmt wurde sein Leitspruch "Konservieren, nicht restaurieren", wobei damals "restaurieren" die Rekonstruktion eines Denkmals meinte.

Kleine Geschichte der Denkmalpflege Teil 4: Der Krieg und seine Folgen

In der Nachkriegszeit war man mit dem Wiederaufbau beschäftigt und mit der Inventarisierung. Seit 1958 veröffentlicht das Landesamt für Denkmalpflege die Reihe "Bayerische Kunstdenkmale", eine akribische Bestandsaufnahme. Das rasche Wachstum der Wirtschaftswunderzeit und das damit verbundene Ideal der "autogerechten City" wurden zur Gefahr für viele vom Krieg verschonte Gebäude. Sie waren den Stadtplanern einfach im Weg. Der ehemalige Professor für Denkmalpflege, Achim Hubel, vermutet, "dass die Zahl der Denkmäler, die in der Nachkriegszeit zerstört wurden, durchaus an die Zahl jener Baudenkmäler herankommt, die durch die Bombenangriffe vernichtet wurden." Die größte Gefahr für Kulturgüter ist mithin: der Mensch.

Das Aufseßhöflein in Bamberg

Denkmalpflege im Wandel der Zeit | Bild: BR-Studio Franken/Susanne Roßbach

Das Aufseßhöflein vor der Renovierung.

Es hat nicht viel gefehlt, dann hätte die Abrissbirne auch dem Aufseßhöflein in der Bamberger Nordflur den Garaus gemacht. Die Kriege hatte es überstanden, aber das kleine Schlösschen eines fränkischen Adeligen aus dem 18. Jahrhundert stand lange leer, verfiel zusehends und schien dem Untergang geweiht. Auch das ist eine Gefahr für Kulturgüter: Gleichgültigkeit. Durch einen Zeitungsartikel wurden Andrea und Stephan Fiedler auf das dahinsiechende Gebäude aufmerksam und griffen zu.

"Wir haben vor dem Gebäude schon einige andere Denkmäler saniert und haben uns da schon einiges beigebracht und Erfahrungen gesammelt. Und wir haben eine relativ große Familie mit Handwerkern, die uns auch mit unterstützt hat."

Stephan Fiedler

Das Aufseßhöflein heute.

Bis tatsächlich alles fertig war, haben die Fiedlers vier Jahre gebraucht. Finanziell unterstützt wurden sie unter anderem von der Oberfrankenstiftung. Dafür muss das Haus jetzt zum Teil der Öffentlichkeit zugänglich sein. Im stuckverzierten Gartensaal finden Kammermusikkonzerte statt und der prächtige Raum ist zur Außenstelle des Bamberger Standesamtes geworden und wird für Trauungen in einem besonderen Ambiente genutzt.

Es sind engagierte Privatleute wie die Fiedlers, die gebraucht werden, um die 70 Prozent des Denkmalbestandes in Bayern zu erhalten. Etwa zwölf Prozent der Gebäude gehören den Kirchen, nur sechs Prozent den Kommen und vier Prozent dem Staat.

Kleine Geschichte der Denkmalpflege Teil 5: Das Denkmalschutzgesetz

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre entstand eine neue Umwelt- und Sozialbewegung. Bürgerinitiativen entstanden, die sich für den Schutz von Baudenkmälern stark machten. In Bayern wurde der Denkmalschutz 1973 gesetzlich verankert. Erstmals wurden alle bayerischen Bau- und Bodendenkmäler in einer Liste aufgeführt und damit wurde verbindlich festgelegt, was schützenswert ist.

Jede Menge Leerstand

Der Strukturwandel macht sich auch beim Denkmalschutz bemerkbar. Die Menschen ziehen vom Dorf in die Stadt - mit negativen Auswirkungen auf beiden Seiten. In den Städten ist bezahlbarer Wohnraum rar, in den Dörfern verkommen die unbewohnten Häuser. Geschätzte 3.000 denkmalgeschützte Gebäude stehen in Bayern leer. Für sie versucht das Landesamt für Denkmalpflege mit seiner Denkmalbörse neue Liebhaber zu finden. Auf dieser Internetplattform können Besitzer ihr denkmalgeschütztes Objekt zum Verkauf anbieten.

Denkmäler abreißen? Eine "gefährliche" Entwicklung

Die Sorge um den Denkmalbestand im Freistaat teilt der Heimatpfleger des Bezirks Oberfranken, Günter Dippold. Er beobachtet seit Jahren eine steigende Bereitschaft, historische Bausubstanz abzureißen.

"Das ist eine gefährliche Entwicklung, weil es dazu führt, dass wir Orte haben, die ausgeleert sind. Wir haben ja heute schon Dörfer, die außer der Ortskapelle kein einziges Baudenkmal mehr haben. Da ist doch in den letzten 50, 60 Jahren irgendwas schiefgelaufen. Wie konnte das passieren? Man hat den Eindruck, als sei die Akzeptanz für Denkmalpflege in den letzten Jahrzehnten geschwunden."

Günter Dippold, Heimatpfleger des Bezirks Oberfranken

Denkmalpflege – für Hausbesitzer oft lästig

Spruch an einem Haus in der Bamberger Generalsgasse.

So manchem Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses sind die Vorgaben der Denkmalpflege lästig, sie lassen sich ihrer Meinung nach nicht mit heutigen Wohnvorstellungen vereinbaren. Fenster vergrößern? Gauben ins Dach setzen? Oft werden solche Änderungen nicht zugelassen. Die Akzeptanz für die Denkmalpflege in der Gesellschaft zu fördern, sieht Mathias Pfeil als eine seiner Hauptaufgaben. Pfeil ist der Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege und trägt den historischen Titel "Generalkonservator".

So hat die Vergangenheit eine Zukunft

Es braucht viele Menschen wie Mathias Pfeil, Ulrich Först, Stephan und Andrea Fiedler und Günter Dippold, die sich mit Leidenschaft und Verantwortungsbewusstsein für denkmalgeschützte Gebäude einsetzten; und es braucht ausreichend öffentliche Gelder, um sie zu unterstützen, - damit unsere Vergangenheit eine Zukunft hat.


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