Stiftung Kulturerbe Bayern Denkmalschutz als Bürgeraufgabe
2019 hat die Stiftung Kulturerbe Bayern ihren ersten "Schützling" gekauft: Ein halb verfallenes spätmittelalterliches Wohnhaus in Rothenburg ob der Tauber. Lorenz Storch hat dieses und ein weiteres Projekt der Stiftung besucht.
Das alte Haus liegt in einer Seitengasse Rothenburgs, von außen wirkt es eher unscheinbar. Im Januar 2019 fehlt an der Fassade der Putz, manche Stellen sind mit Planen abgedeckt. Und in der Mitte hängt ein großes Plakat: "Kulturerbe Bayern – mit Ihrer Hilfe erhalten wir dieses Denkmal".
Spektakulär wird es erst im Inneren. Bei einer Besichtigung zeigt sich Projektleiter Andreas Hänel begeistert:"die dunklen Hölzer, das ist ein originaler Dachstuhl aus dem Jahre 1409. Das heißt, der Dachstuhl ist fast vollständig erhalten, 610 Jahre alt. Ich finde, das ist gigantisch."
In der Judengasse 10 in Rothenburg wohnten im Mittelalter tatsächlich Juden. Was in diesem Haus bis heute gut nachzuvollziehen ist. Im Keller findet sich eine Mikwe, ein rituelles Bad. "Frauen vor allen Dingen, aber auch Männer, mussten sich in diesem Bad rituellen Reinigungen unterziehen."
Graben, dokumentieren, filmen
Alles in und um die erste Erwerbung der Stiftung Kulturerbe Bayern wird genau untersucht, unter anderem mit archäologischen Grabungen. "Wir wollen herausfinden, ob es in irgendeiner Form eine bauzeitliche Bodenschicht gibt", erklärt Hänel. "Unsere freiwilligen Archäologinnen und Archäologen graben sich jetzt hier nach unten, und wir sind gespannt, was wir noch finden."
Wie auch Projektleiter Händel arbeiten auch die Archäologen und ihre Helfer ehrenamtlich, auch bei den im Januar herrschenden Temperaturen um den Gefrierpunkt. Unter ihnen sind Schüler und Lehrer der Oskar-von-Miller-Realschule aus Rothenburg. Archäologie zum Anfassen – für Deutsch- und Geschichtslehrerin Simone Lindner birgt das Projekt für ihre Schützlinge viel Potenzial.
"Wir wollen das Ganze auch filmisch dokumentieren mit unserer Filmgruppe. Das hier sind meine kleinen Filmschüler, die schauen sich das Ganze heute noch an. Wir werden jetzt immer wochenweise hier reingehen, Interviews führen und einen kleinen Dokumentarfilm drehen. Einerseits über die Arbeit der Schüler, andererseits über die kulturhistorische Aufarbeitung des Hauses."
Milliarden Daten, null Kosten
Gesa Wilhelm-Katzmann ist Archäologin und koordiniert die Freiwilligen. Sie erklärt, dass es nicht darauf ankommt, Schätze zu finden, sondern genau zu dokumentieren, wie die Schichten auf dem Grund des Hauses übereinanderliegen und so mehr über seine Geschichte zu erfahren: "Das Spannende an diesem Haus ist, dass es auch durchaus auch noch ältere Teile geben kann. Wir sind im Bereich der Stadtmauer. Und das Haus könnte gerade in dieser Ecke, an dieser Stelle, auf die alte Stadtmauer drauf gebaut sein. Und das versuchen wir durch unsere Schnitte, unsere Dokumentation, zu belegen." Denn dann wäre die Grundmauer sogar noch 200 Jahre älter – aus dem 13. Jahrhundert.
Im ersten Stock des Hauses hat Ingenieur Erwin Christofori einen Laserscanner aufgestellt, der den Raum in 3D abtastet. "Wir vermessen hier etwa 2 Millionen Koordinaten pro Sekunde und erstellen damit von dem Gesamtgebäude über etwa 200 Einzel-Standpunkte durch alle Geschosse die komplette virtuelle Punktewolke, die dann als Grundlage für die Zeichnungen verwendet wird."
Auch der beratende Ingenieur arbeitet ehrenamtlich und verlangt kein Honorar. Projektleiter Hänel ist dafür sehr dankbar: "Was wir hier gesehen haben, ist schon wirklich herausragend." Denn nur so geht das, sagt er: mit bürgerschaftlichem Engagement mit Freiwilligen, Unternehmern, Spezialisten, die keine Rechnung stellen. "Und wir gehen davon aus, dass wir auch in anderen Bereichen noch ehrenamtliche Mitarbeit generieren können, wenn es dann an die Instandsetzung geht."
Mit dem Kauf fangen die Probleme an
Auch Markus Naser ist dankbar. Er ist der Oberbürgermeister von Rothenburg und war früher Vorstand des Vereins Alt-Rothenburg. Der hatte das Haus in der Judengasse zunächst gekauft und sich damit nicht nur finanziell überhoben, erzählt Naser: "Wir haben zwei Jahre lang versucht, das Objekt auf eigene Faust herzurichten, also die Finanzierung dafür auf die Beine zu stellen. Aber Sie können sich vorstellen, dieses Gebäude übersteigt einfach unsere Möglichkeiten bei weitem. Und wir sind deswegen wirklich überglücklich, dass wir mit dem Kulturerbe Bayern einen Partner gefunden haben, in dessen Hände wie das Ganze übergeben können und wo wir auch ganz genau wissen die machen das genauso, wie wir es auch machen würden."
Der Kaufpreis war noch das Wenigste, er lag bei 75.000 Euro. Aber trotz ehrenamtlicher Hilfe sind die Arbeiten teuer, geschätzt wird ein hoher sechsstelliger Betrag. Anders gesagt: Kulturerbe Bayern braucht viel Geld. Doch als bayernweite Organisation mit dem Anspruch, Leuchttürme für das ganze Land zu schaffen, ist es auch recht erfolgreich darin, gewichtige Mitstreiter und Förderer zu gewinnen. Kulturerbe Bayern beschafft öffentliche Fördergelder für die Sanierung, ruft aber nicht nur nach dem Staat, sondern lebt auch dabei vom Engagement von Bürgern, die einen Teil ihres Vermögens für den Denkmalschutz stiften oder als die Organisation als Erbe einsetzen.
Nicht nur auf den Staat verlassen
Johann Böhm aus Unterfranken, früher Präsident des Bayerischen Landtags, war 2018 der Gründungsvorsitzende des Stiftungsvorstands bei Kulturerbe Bayern gewesen. Sich bei der Denkmalpflege nur auf das Landesamt für Denkmalpflege, die Staatliche Verwaltung für Schlösser und Seen oder die Landesstiftung zu verlassen, ist zu wenig, sagt er:
"Es gibt viele Objekte, die durch den Rost der Förderung gefallen sind. Und wir haben auch gesehen, dass sich vielerorts kleine Gruppen gebildet haben, die da und dort ein Denkmal für sich herausgesucht haben und das restaurieren. Und diese Dinge zu verbinden und das in die Bürgerschaft zu tragen, war das ungeheuer Wichtige."
Laut Gesetz müssen die Eigentümer denkmalgeschützte Gebäude erhalten. Denen fehlt aber oft das Geld oder sie sind schlicht gleichgültig. Der Freistaat soll sich laut Denkmalschutzgesetz an den Kosten dafür beteiligen – freilich nur mit den Mitteln, die im Staatshaushalt dafür ausgewiesen sind. Und die sind seit vielen Jahren knapp.
Zudem sind das meist nur Zuschüsse. Die eigentliche Baulast trägt nicht der Staat, dafür braucht es jemanden vor Ort. Lokale Initiativen, die für den Erhalt denkmalgeschützter Bauten eintreten, gibt es zwar häufig. Aber sie trauen es sich in den meisten Fällen nicht zu, ein bedrohtes Haus einfach zu kaufen und selbst zu sanieren.
Vorbild National Trust
Hier ist die Lücke, die Kulturerbe Bayern füllen will: Die Stiftung will für die bedrohten Denkmäler, die sie in ihren Schutz nimmt, die ganze Verantwortung übernehmen, indem sie die Gebäude kauft und auch auf Dauer behält. Über die Jahre sollen es immer mehr werden, das Ganze ist auf organisches Wachstum und auf Dauer angelegt.
Das große Vorbild für eine bürgerschaftliche Stiftung wie das Kulturerbe Bayern ist der National Trust in Großbritannien, dort eine der größten Organisationen des Landes, die sich dem Denkmal- und Naturschutz verschrieben hat. Präsident ist kein geringerer als Karl III., König des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, der frühere Prinz Charles.
Eine große Inspiration, so Ex-Gründungsvorsitzender Böhm: "An diesem Beispiel sieht man, dass man Erfolg haben kann mit einer solchen Aktion. Also, wenn das in England oder Schottland Erfolg hat, warum soll das nicht in Bayern gelingen?" Über vier Millionen Mitglieder hat der National Trust, und er verwaltet hunderte historische Gebäude. Der Weg zu solchen Größenordnungen ist für Kulturerbe Bayern noch weit. Aber die Briten haben ja auch Vorsprung: 123 Jahre, um genau zu sein.
Gesamtkunstwerk Schloss Erkersreuth
Inzwischen hat Kulturerbe Bayern immerhin eine Handvoll Denkmal-Schützlinge. Unter anderem Schloss Erkersreuth bei Selb. Das eher kleine Barockschloss von 1748 war einst der Wohnsitz Philip Rosenthals und damit ein Monument deutscher Wirtschaftsgeschichte. Hier wurde der Weltkonzern als kleine Porzellanmalerei gegründet und hier traf der Porzellanunternehmer und SPD-Politiker unter anderem Franz-Josef Strauß, Helmut Schmidt, Walter Gropius und Andy Warhol.
Auch baulich etwas ganz Besonderes: Wer durch die Tür aus silbernem Edelstahl ins Schloss geht, betritt ein Gesamtkunstwerk, erklärt Bernhard Averbeck-Kellner, der Geschäftsführer bei Kulturerbe Bayern. "wir befinden uns jetzt in der Eingangshalle, die sehr untypisch für ein Barockschloss ist. Die Eingangssituation wurde gestaltet von Günther Ferdinand Ries, und das ist auch eine Lichtinstallation, und zu dieser Lichtinstallation gibt es noch eine Klanginstallation von Hans Werner Henze und die Gäste wurden hier also empfangen durch ein Lichtspiel und durch Musik."
Averbeck-Kellner ist begeistert von diesem Schloss. Überall gibt es zeitgenössische Kunst der Nachkriegszeit – exquisit, denn moderne Kunst und Design war ja das Markenzeichen, mit dem Philip Rosenthal seine Porzellanfabrik in den Wirtschaftswunderjahren großgemacht hat.
"Das Motto war immer, das Alte mit dem Neuen kombinieren. Und das ist ja manchmal auch aus der Not heraus entstanden." Denn als Rosenthal das Schloss in den 1950er-Jahren übernommen hat, wartete überall Arbeit. Und der neue Hausherr fand kreative Leistungen. "Er hat die Fußbodenbretter schlicht und ergreifend an die Decke geschraubt und hat auf den Fußboden mit Kupfermünzen einen Kupferboden gemacht. Also, der hat sich das getraut." So entstand ein Ort, an dem man diese Brüche laut Averbeck-Kellner sehr gut erkennt "und dass sich dadurch zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfügt."
Doch auch am Neuen nagt der Zahn der Zeit. Schon an der Fassade zeigt sich bröckelnder Putz, undichte Dachrinnen, weitere Wasserschäden. "Es gibt ein paar Risse und Sprünge im Porzellanschloss", formuliert es Kulturerbe-Geschäftsführer Averbeck-Kellner. Die Renovierung wird einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Dafür gibt es zwar auch viele Zuschüsse, auf die Hilfe des Staats ist Kulturerbe Bayern hier aber angewiesen, und hofft auch auf Großspenden lokaler Unternehmen. Denn bei Vorhaben von solcher Größe und Schwierigkeit kann das Ehrenamt zwar einen Beitrag leisten – den Großteil müssen aber bezahlte Profis übernehmen.
Das kriegen wir hin, sagt der Geschäftsführer. "Wir wollen Erkersreuth wirklich zu einem besonderen Ort machen im Sinne und Geist von Philip Rosenthal. Das war ja ein großer Denker. Und auch wenn jemand, der hier Menschen aus der ganzen Welt zusammengebracht hat und daraus sind ja diese ganzen kreativen Prozesse entstanden, das ist die Idee und die uns hier trägt."
Das ganze Areal soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, auch die Nebengebäude mit Tenne, Brauhaus und das Brunnenhaus, dem älteste Gebäude von Erkersreuth. "Es soll ein offener Ort werden." In Selb sind sie darüber sehr froh. Bevor Kulturerbe Bayern Schloss Erkersreuth übernommen hat, gingen Gerüchte über chinesische Investoren um, die das Anwesen für private Zwecke hätten umbauen wollen.
Und in der Judengasse Nr. 10?
Juli 2021. In der Judengasse 10 in Rothenburg ob der Tauber, hat sich im Dachstuhl einiges verändert. Zimmerer bohren in ein neues, helles Balkenstück, das in einen alten Balken eingesetzt ist. Zusammengehalten wird das Ganze mit Eisenstiften. Nicht gerade historische Handwerkstechnik, gibt Zimmerer Patrick Parisch zu: "Früher hätte man das mit einem Holznagel gemacht. Aber die hätten das gar nicht gekonnt, sondern den Balken komplett ausgetauscht."
Holz kann ewig halten – wenn es trocken und belüftet ist. Wasser ist der größte Feind des Holzes, sagt Bauleiterin Anna-Mareike Butzer – und es gibt typische Stellen, wo es in alten Häusern angreift: "Oft an den Traufen, wo oft das Wasser eindringt und ständige Feuchtigkeit herrscht und die Hölzer dann eben Schaden nehmen über die Jahrhunderte."
Und so sieht das Gebälk im Dachstuhl gescheckt aus: dunkle alte Balken, auf der Hälfte zusammengefügt mit hellen neuen. Die Zimmerer geben sich größte Mühe, Brauchbares nicht einfach auszutauschen, sondern so viele Reste des Originalmaterials zu erhalten wie möglich. "Wir haben hier in der Statik tatsächlich sogar extra deswegen die Details komplett anders ausgearbeitet, um alte historische Zeichen auf den Hölzern und Oberflächen zu retten, die sonst nicht rettbar gewesen wären. Also eine wahnsinnig komplizierte Aufgabe für die Statik."
Da muss man was machen ... seit 600 Jahren
Apropos Statik. Im Erdgeschoss ist ein ganzer Wald aus Stahlstützen gewachsen. Sie sorgen dafür, dass das Haus nicht einstürzt. Die Statik ist prekär, "und zwar nicht erst seit jetzt, sondern seit ungefähr 600 Jahren. Wir haben erhebliche Verformungen, und die kommen irgendwann an ihre Grenzen. Und diese Grenzen waren hier überschritten", sagt Architekt Andreas Konopatzki. Ganz offensichtlich verzeiht so eine mittelalterliche Fachwerkkonstruktion einiges. Die Balken stützen sich gegenseitig, weswegen so ein Haus krumm und schief sein kann und trotzdem erst nach Jahrhunderten wirklich zusammenfällt.
In so einem Mittelalterhaus ist eben alles auf Langlebigkeit ausgelegt. Das gilt auch für Renovierungsarbeiten. Seit bald einem Jahr steht das Gerüst und die Handwerker arbeiten, trotzdem bleibt noch sehr viel zu tun. Die Coronakrise macht es auch nicht einfacher. Wenn am Ende Wiedereinweihung gefeiert worden ist, soll hier unter anderem die Geschäftsstelle des Vereins Alt-Rothenburg einziehen. Besucher sind dann willkommen. Sie werden auch besichtigen können, wie eine mustergültige Denkmalrenovierung aussieht.
Und genau darauf kommt es bei Kulturerbe Bayern an, sagt Geschäftsführer Bernhard Averbeck-Kellner: "Die große Chance in unserer Arbeit besteht darin, dass wir zeigen, wie es geht. Also, auch bei hoffnungslosen Fällen – beim Haus in der Judengasse 10 ist 20 Jahre das Wasser durchs Dach gelaufen. Dass, wenn es fertig ist, dann die meisten sagen: Boah, hätte ich nicht gedacht, dass man das daraus machen kann. Und die Menschen auch verführt, sich für diese Dinge zu begeistern."